Corona-Nachhilfe „Es wäre Zeit für einen großen Wurf“: Wieso Geld alleine für die Bildung nicht reicht

Digitaler Unterricht via Teams
Sehen Sie im Video: So funktioniert digitaler Unterricht – eine Schule in Neu-Ulm macht’s vor. Videoquelle: RTL.de

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Der Bund will eine Milliarde Euro für ein Corona-Nachhilfeprogramm ausgeben. Ein gutes Signal, findet unsere Autorin. Doch darf der Fokus dabei nicht nur auf den Abschlussklassen und den Kernfächern liegen.

Der Bund gibt Geld für Nachhilfe. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat angekündigt, eine Milliarde Euro für ein bundesweites Nachhilfeprogramm ausgeben zu wollen. Das ist ein gutes Signal. Denn es erkennt an, dass die Schulen nach einem Jahr mit Corona nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren können.

Je nach Bundesland sind bisher 300 bis 600 Unterrichtsstunden ausgefallen. Es gibt jedoch noch keine Studie darüber, wie der Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler ist, sondern allenfalls Schätzungen.

Lehrerverband fordert mindestens zwei Milliarden

Bereits vor einem Jahr, während des ersten Lockdowns im April 2020, äußerten 36 Prozent aller Lehrkräfte bei einer Forsa-Umfrage die Sorge, dass ihre Schülerinnen und Schüler Lernrückstände haben könnten. Daher ist es auch gut, wenn nun per Lernstandserhebung untersucht werden soll, wieweit die Kinder und Jugendlichen im Stoff sind.

Laut Karliczek hätten vermutlich 20 bis 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler große Lernrückstände, „vielleicht sogar dramatische“, so die Bildungsministerin. Eingesetzt werden könnten Lehramtsstudierende, pensionierte Lehrkräfte, Bildungsstiftungen und private Anbieter, viele Details der Initiative sind aber noch unklar.

Doch statt darüber nachzudenken, wie das Geld aus Berlin sinnvoll ausgegeben werden kann – der Bund kann in Sachen Bildung immer nur das Geld geben, umsetzen müssen es die Länder – meldete sich der Deutsche Lehrerverband sogleich mit der Forderung: Das Geld reiche nicht, es brauche mindestens zwei Milliarden Euro. Ähnliche Zahlen hat auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) errechnet: 1,5 Milliarden Euro seien nötig, Förderbedarf hätten vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten, so die Experten vom IW.

Was ist mit Geschichte, Kunst und Sport?

Schade ist, dass es bei dem Vorschlag aus dem Bundesbildungsministerium in erster Linie um die Kernfächer Mathe und Deutsch gehen soll. Dabei haben sich viele Schulen auf diese Fächer im Homeschooling konzentriert. Es gehören doch aber auch Geschichte, Geografie, Philosophie und Kunst oder Musik zur Bildung. Und was ist mit Sport? Schließlich waren nicht nur die Sportstunden gestrichen, sondern auch Sportvereine und Fitnessstudios geschlossen.

Dass vorrangig Jungen und Mädchen in Übergangs- und Abschlussklassen gefördert werden sollen, sendet leider vor allem das Signal: Bildung zählt in erster Linie fürs Abschlusszeugnis, für den Lebenslauf.

Unterschätzt wird dabei, wie wichtig Lernen für das Erwachsenwerden generell ist. Und es ist respektlos gegenüber den Anstrengungen, die Millionen von Schülerinnen und Schülern in den letzten Monaten allein zu Hause unternommen haben – auch gegenüber ihren Lehrerinnen und Lehrern.

Was hat die Bildungspolitik in den letzten Monaten eigentlich gemacht?

Für den aktuellen Abschlussjahrgang kommt die Hilfe sowieso zu spät. Die Abiklausuren und Prüfungen für den Mittleren Abschluss beginnen in einigen Ländern in rund vier Wochen. Das Corona-Nachhilfeprogramm soll jedoch erst zu Beginn des nächsten Schuljahres nach dem Sommer gestartet werden. Bis es losgehen wird, dauert es also noch Monate. Doch schon jetzt fragen sich viele Eltern: Was haben die Bildungspolitiker in den letzten Monaten eigentlich gemacht, um uns und unsere Kinder zu unterstützen?

Wichtig ist außerdem, dass die Corona-Nachhilfe nicht zur Beschämung für die Schülerinnen und Schüler wird (keiner bekennt gern, dass er oder sie zur Nachhilfe geht), sondern sie es als Chance begreifen. Für die Schulen könnte Corona die Chance bieten, die Lehrpläne zu aktualisieren und zu überlegen: Welche Schule brauchen wir? Welche Schule wollen wir?

Denn eines haben Lockdown und Home-Schooling gezeigt: Für die Kinder und Jugendlichen kommt es vor allem auf die Fähigkeit an, selbstständig zu lernen, Verantwortung für die Lernprozesse zu übernehmen und die eigene Arbeit zu strukturieren – und dafür ist im Unterricht bei vielen Schulen noch deutlich Luft nach oben. Statt also über Formalien zu streiten (wie viele Nachhilfestunden lassen sich mit einer Milliarde Euro finanzieren?), wäre es erfrischend, mal über eine Debatte für kreative Ansätze zu lesen, die einen Aufbruch in den deutschen Schulen signalisiert.

Es wäre Zeit für einen großen Wurf. Dann wäre das Geld richtig gut investiert.

les

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