Ernestine Wyatt ist die Erleichterung deutlich anzumerken. Ihre Augen strahlen. Die 66-Jährige ist sich sicher: „Wir sind auf der Zielgeraden. Tante Harriet kommt auf den neuen Zwanziger, das ist jetzt eine beschlossene Sache.“ Jahrzehntelang ist die Ur-Ur-Ur-Großnichte von Harriet Tubman nicht müde geworden, auf die Bedeutung der schwarzen Bürgerrechtlerin hinzuweisen und für die Anerkennung ihrer berühmten Ahnin zu kämpfen: „Sie ist Teil der US-amerikanischen Geschichte, besonders für die afroamerikanische Gemeinschaft. Sie hat es geschafft, Hindernisse zu überwinden.“

Sklavenhalter auf Dollarnoten

In den Vereinigten Staaten ist sie eine Legende, in Europa kennen die 1822 als Sklavin geborene Freiheitskämpferin nur wenige: Tubman war Mitte des 19. Jahrhunderts Motor und Antreiberin der Underground Railroad – eines Netzwerks von Helfern, die geheime Verstecke organisierten und einander verschlüsselte Nachrichten zukommen ließen. Die Organisation half entlaufenen Sklavinnen und Sklaven, in sichere Bundesstaaten zu kommen.

Harriet Tubman auf einem historischen Foto aus der Zeit zwischen 1860 und 1870

Harriet Tubman auf einem historischen Foto aus der Zeit zwischen 1860 und 1870

Jetzt soll ihr Porträt auf der neuen 20-Dollarnote verewigt werden. Die Altherrenriege bekommt Konkurrenz, so hat es Joe Biden kürzlich entschieden. Bisher sind auf US-Banknoten vor allem Gesichter weißer Präsidenten oder Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung zu sehen. Die stehen zwar für den Aufbau und die Wirtschaftskraft der USA, aber eben auch für die Sklaverei: George Washington, Thomas Jefferson, James Monroe, Andrew Jackson, Ulysses S. Grant: 12 von 18 US-Präsidenten zwischen 1789 und 1877 waren Sklavenhalter.

Patriotin und Sklavenbefreierin

„Niemand ist besser geeignet, auf der neuen 20-Dollarnote abgebildet zu werden, als eine Sklavin, die sich selbst befreite“, davon ist Ernestine Wyatt überzeugt. „Harriet war eine echte US-amerikanische Patriotin, die nicht nur für sich kämpfte, sondern auch für andere und die unserem Land half, die Einheit zu bewahren.“

2016 war es die Obama-Administration, die das markante Gesicht Tubmans auf die US-Banknote bringen wollte – anstelle des umstrittenen einstigen Sklavenhalters, Indianerhassers und siebenten US-Präsidenten Andrew Jackson, der seit 1928 die Vorderseite der 20-Dollarnote ziert. „Zum ersten Mal seit über 100 Jahren werden wir wieder eine Frau auf unseren Banknoten abbilden“, verkündete Obamas Finanzminister Jack Lew damals. „Das war auch höchste Zeit, schließlich hat sich viel verändert. Das zeigen auch die vielen zustimmenden Reaktionen.“

Ernestine Wyatt pflegt das Vermächtnis ihrer Ur-Ahnin

Ernestine Wyatt pflegt das Vermächtnis ihrer Ur-Ahnin

Pure political correctness?

Der Gedanke elektrisierte die afroamerikanische Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten. Doch die Nachfolge-Regierung machte die Pläne wieder rückgängig und ließ die millionenfach per Online-Voting bejahte Initiative wieder stoppen. Donald Trump wollte tilgen und vergessen machen, was ihm sein Vorgänger hinterließ. Als pure political correctness – reine politische Korrektheit – denunzierte er das Tubman-Projekt. Dabei habe Trump mit seinem Rückzieher auch rassistische Einstellungen von Teilen seiner Wählerschaft bedient, kritisieren die Bürgerrechtler und Mitglieder der Demokratischen Partei.

Schon als Vize-Präsident unter Obama hatte Joe Biden den Tubman-Zwanziger unterstützt. „Es ist wichtig, dass unsere Banknoten die Geschichte und Diversität unseres Landes zeigen“, erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses kurz nach Bidens Amtseinführung im Januar: „Harriet Tubmans Gesicht auf der 20-Dollarnote steht genau dafür.“

Druck von Dollarnoten in der US-Bundesdruckerei

Druck von Dollarnoten in der US-Bundesdruckerei

Nachlassverwalterin

Ironie der Geschichte oder späte Wiedergutmachung: Während der Sklavenhalter Jackson auf die Rückseite der neuen 20-Dollarnote kommen wird, soll die Anti-Sklaverei-Aktivistin Tubman die Vorderseite zieren. „Das Ganze ist längst überfällig“, ließ kürzlich der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, die Öffentlichkeit wissen. Ihm sei das ganze ein besonderes Anliegen, da Tubman in Auburn im Bundesstaat New York gelebt hat, sozusagen vor seiner Haustür, wo er sich jahrelang dafür engagierte, ihr Wohnhaus in ein nationales historisches Denkmal umzuwandeln.

Harriet Tubman habe so viel mehr erreicht als nur die Befreiung von Sklaven, sagt Ernestine Wyatt, die in Washington D.C. lebt. Hier kümmert sie sich um den Nachlass ihrer Großtante, organisiert Harriet Tubman-Gedenktage und Live-Streams. Historikerinnen und Historiker sowie Museumsmitarbeitende steht sie regelmäßig Rede und Antwort.

Fertig zur Auslieferung: Eingeschweißte 20-Dollar-Noten

Fertig zur Auslieferung: Eingeschweißte 20-Dollar-Noten

Unangemessenes Portrait?

Früher habe sie gedacht, die afroamerikanische Gemeinschaft bräuchte nur jemanden wie Präsident Obama, das wäre doch ein Signal. „Aber das hat nicht gereicht.“ Wyatt erwähnt die ungleiche Behandlung von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern etwa im US-Gesundheitssystem. Gerechtigkeit sei wichtig – gerade jetzt, in Zeiten von Black Lives Matter. Es gehe nicht darum, ob jemand richtig oder falsch gehandelt habe, sagt sie. Man müsse einander respektvoll behandeln. „Ist es die Aufgabe der Polizei, Menschenleben auszulöschen? Darüber müssen wir nachdenken.“

Sie ist überzeugt davon, dass viel mehr unternommen werden muss, als das Porträt von Harriet Tubman auf den Zwanziger zu drucken. „Die Trump-Ära hat uns zurückgeworfen, jetzt müssen wir die gespaltene US-Gesellschaft wieder zusammenbringen, um Wunden zu heilen.“ Auch gebe es viele, die den neuen Dollarschein kritisch sehen. „Sie finden das Porträt von Harriet Tubman auf einer Banknote unangemessen, weil es sich um ein Zahlungsmittel handelt. Damit konnte man einst auch Menschen kaufen“, so Wyatt.

Dollarnoten als Geschichtsbuch

Diese Diversität der US-amerikanischen Gesellschaft will Ernestine Wyatt auch auf der US-Währung repräsentiert sehen. Geschichte und Gestaltung von Zahlungsmitteln untersucht in der US-Bundesdruckerei, im Zentrum von Washington D.C., dort wo die frisch gedruckten neuen Dollarnoten bald vom Band laufen werden, der Historiker Frank Noll: „Vor- und Rückseite des Zahlungsmittels spiegeln die Wertvorstellungen der US-amerikanischen Gesellschaft“, erklärt er. Die abgebildeten Persönlichkeiten könnten in historischer Perspektive wie ein Geschichtsbuch gelesen werden.

Gebäude der US-Bundesdruckerei in Washington

Gebäude der US-Bundesdruckerei in Washington

Bisher war es nur zwei Frauen vorbehalten, als Motiv US-Banknoten zu zieren: Martha Washington und Pocahontas. Beide Noten werden seit über 100 Jahren nicht mehr gedruckt. Noll: „Die Welt verändert sich, zum Beispiel durch die Veränderung der Geschlechterbeziehungen oder den Feminismus. Man sollte meinen, dass auch der Dollar diese gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegeln würde.“ Für Noll sind die Motive auf der Währung und damit deren kulturelle Bedeutung streitbar. Gleichzeitig sind sie ein Kommunikationsmittel: „Mit den abgebildeten Personen wird ein Zeichen gesetzt.“

Neue Banknote zum 200. Geburtstag

Dieses Zeichen schulden die Vereinigten Staaten Harriet Tubman, als späte Anerkennung, davon ist Ernestine Wyatt überzeugt. Tubman verhalf nicht nur Hunderten Landsleuten in die Freiheit, sie kämpfte auch im Bürgerkrieg für die Union gegen die Südstaaten. Tubman befreite Gefangene, pflegte als Krankenschwester verwundete Soldaten und kundschaftete unter Lebensgefahr Stellungen der konföderierten Feindarmee aus. Dafür erhielt sie erst im hohen Alter kurz vor ihrem Tod 1913 eine monatliche Veteranen-Rente von 20 US-Dollar.

Heute haben die USA eine echte Chance, ein bisher vernachlässigtes Kapitel ihrer Geschichte aufzuarbeiten – davon ist Ernestine Wyatt überzeugt. Und für dieses Narrativ stehe der neue, schöne Zwanziger mit Harriet Tubman. Wann er herauskommt, dafür wurde noch kein Datum fixiert. Viele hoffen, dass es schon nächstes Jahr soweit sein könnte. Dann jährt sich Tubmans Geburtstag zum 200. Mal.

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