Draußen schien die Sonne, und drinnen im „Interconti Berlin“ herrschte entspannte Stimmung. Als die EU-Finanzminister sich am Wochenende zum ersten Mal seit Ausbruch der Corona-Krise wieder persönlich getroffen haben, waren einige wohl selbst erstaunt, wie sehr ihnen der persönliche Kontakt gefehlt hatte. Es sei schön, sich wiederzusehen, sagten die Teilnehmer. Auch Gernot Blümel ging es so, trotzdem hat er für das Gespräch mit WELT das gemeinsame Mittagessen früher beendet.

WELT: Die Corona-Lage in Österreich ist derzeit angespannt. Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte am Wochenende, das Land mache eine zweite Infektionswelle mit. Geht Deutschland besser mit dem Virus um, wie eine österreichische Zeitung jüngst titelte?

Gernot Blümel: Wir haben in der Corona-Krise vieles richtig gemacht, dürfen jetzt aber nicht das Erreichte wieder kaputt machen. Wir haben daher diese Woche die Regeln wieder verschärft, weil wir Corona in den Griff bekommen müssen. Ein großer Teil unserer Wirtschaft hängt am Tourismus, vor allem am Wintersport. Die Hälfte der Europäer, die Skiurlaub machen, kommen nach Österreich. Deshalb ist es so wichtig, dass die Betriebe so gut es geht durch die Wintersaison kommen. Wenn andere Länder gerade dann davor warnen müssten, zu uns zu kommen, wäre das ein Fiasko – und das müssen vermeiden.

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WELT: Sie haben sich bereits vergangene Woche festgelegt, die Skigebiete im Winter zu öffnen. Ist das nicht ein wenig voreilig? Die Situation könnte sich bis dahin ja noch verschärfen.

Blümel: Es ist notwendig und richtig, sich darauf vorzubereiten, dass Wintertourismus stattfinden wird. Alles andere wäre volkswirtschaftlich ein Problem und auch psychologisch. Wir müssen zwar vorsichtig sein und die Regeln verschärfen, aber wir dürfen nicht ständig Panik schüren. Unsicherheit ist Gift für die Konjunktur. Die Sparquote steigt, weil die Menschen sich nicht trauen, Geld auszugeben, weil sie nicht wissen, was kommt. Falsche Panikmache würgt die Konjunktur ab, und das ist schlecht. Verschärfte Maßnahmen und Vorfreude auf das Skifahren; beides hilft der Wirtschaft.

WELT: Auf EU-Ebene soll die wirtschaftliche Erholung mit einem gewaltigen Konjunkturpaket unterstützt werden. Auf dem Marathongipfel im Juli, auf dem der 750-Milliarden-Plan beschlossen wurde, hat die Gruppe der sogenannten sparsamen vier oder fünf, zu der auch Ihr Land zählte, lautstark Widerstand geleistet gegen den Plan von Angela Merkel und Emmanuel Macron. Sind die Zeiten vorbei, in denen Deutschland und Frankreich etwas beschließen und die übrigen EU-Länder mitziehen?

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Blümel: Unterschiedliche Staaten haben unterschiedliche Interessen, und deswegen gibt es bei den EU-Themen wechselnde Allianzen. Wir haben uns nicht selbst die sparsamen fünf genannt, das haben andere getan. Wir sprechen laut aus, was andere hinter vorgehaltener Hand kritisieren: In der EU werden regelmäßig die Regeln gebrochen, und das geht einfach nicht. Die großen Länder machen häufiger als die kleinen, was sie wollen, einfach weil sie damit durchkommen. Auch deshalb regt sich Widerstand gegen die Großen.

WELT: Verbindet die Mitglieder der Gruppe also mehr als nur der Drang, sich den Ausgabenwünschen aus Berlin, Rom, Madrid und Paris entgegenzustemmen?

Blümel: Auf dem Gipfel ging es natürlich darum, wie die Hilfen aussehen, unter welchen Bedingungen sie fließen und wie das Geld zurückgezahlt werden soll. Die Wahl des Präsidenten der Euro-Gruppe war ein ähnliches Beispiel. Da hat am Ende des Tages nicht die Kandidatin gewonnen, die von den sogenannten Großen unterstützt wurde, sondern Paschal Donohoe, den wir unterstützt haben. Die Dominanz der großen EU-Länder ist nicht mehr unwidersprochen, das haben wir auch da deutlich gezeigt.

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WELT: Wie offen ist Ihre lockere Gruppierung denn für andere Mitglieder? Wären auch Regierungen aus Mittel- und Osteuropa willkommen?

Blümel: Das ist ja kein geschlossener Klub. Wir freuen uns, wenn sich andere Länder uns anschließen, und schließen niemanden von vornherein aus. Da geht es um eine Grundhaltung, die bestehenden Regeln einzuhalten und langfristig solide Finanzen zu verfolgen. Viele EU-Länder haben diese oder eine ähnliche wirtschaftspolitische Haltung. Finnland ist immer wieder dabei, aber auch andere Länder hegen Sympathien für Haltungen, die wir vertreten. Nicht alle sagen das aber so deutlich wie wir.

WELT: Glauben Sie, die Bundesregierung hat sich im Sommer ein Stück weit darauf verlassen, dass die sparsamen vier schon als Korrektiv wirken werden?

Blümel: Uns hat überrascht, dass Deutschland sich hinter den Vorschlag aus Frankreich gestellt hat. Merkel und Macron haben mit ihrem ursprünglichen Plan ein Stück weit eine rote Linie überschritten, und in Deutschland sehen das viele Menschen kritisch. Diese Menschen haben sich vermutlich über unsere Haltung gefreut.

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WELT: Sebastian Kurz sagte direkt nach dem Gipfel, es sei gelungen, den Einstieg in eine permanente europäische Schuldenunion zu verhindern. In anderen EU-Hauptstädten wird schon darüber geredet, dass die EU auch in Zukunft Schulden aufnehmen könnte. Glauben Sie, Sie werden sich mit Ihrer Sicht der Dinge durchsetzen können?

Blümel: Solche Äußerungen bestätigen den Verdacht, den nicht nur wir von Anfang an hatten, nämlich dass es gar nicht so sehr um Krisenbewältigung geht, sondern eher darum, unter dem Deckmantel einer Krise Ideologie durchzusetzen. Solch ein verdecktes Spiel ist nicht gut für die Zusammenarbeit in Europa. Wer eine Schuldenunion will, soll das offen sagen, dann kennt sich jeder aus. Aber zuerst Solidarität und Hilfe einzufordern und zu sagen, wer nicht hilft, ist unmenschlich, und dann zu sagen, jetzt haben wir die Schuldenunion; das ist ein gefährliches Spiel. Damit spielt man den Antieuropäern in allen Ländern in die Hände. Ich bin froh, dass auch Angela Merkel das so sieht.

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WELT: Alle europäischen Staaten unterstützen derzeit Unternehmen und Arbeitnehmer mit gewaltigen Summen. Teilweise sind die Maßnahmen schon bis Ende 2021 verlängert. Werden wir danach zurückkehren können zu einer sozialen Marktwirtschaft, deren Grundpfeiler der freie Markt und Wettbewerb sind?

Blümel: Wer glaubt, dass die Krisen-Interventionen der Staaten von Dauer sein sollten, verabschiedet sich von Wohlstand und sozialer Nachhaltigkeit. Unsere Sozialsysteme sind nur finanzierbar, wenn wir eine leistungsfähige soziale Marktwirtschaft haben. Deshalb ist es gefährlich, wenn die Corona-Hilfen zur Dauereinrichtung werden. Irgendwann müssen wir zurück zu einer gewissen Normalität beim Haushalt, bei den Staatsausgaben und bei der Stabilitätspolitik. Wenn die Krisenhilfen zu lange dauern, gefährden sie unseren Wohlstand.

WELT: Noch ist der österreichische Staat im Krisenmodus und deshalb im Clinch mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Deren Mitarbeiter prüfen derzeit Ihren Plan, Unternehmen mit besonders hohen Umsatzeinbußen in den kommenden Monat einen Teil der Fixkosten abzunehmen. Warum regt die Prüfung Sie so auf? Das ist schließlich Aufgabe der EU-Kommission.

Blümel: Es kann nicht sein, dass wir mit österreichischem Steuergeld Italienern, Spaniern oder Franzosen helfen, aber österreichischen Unternehmen nicht zeitlich begrenzt mit österreichischen Steuergeldern helfen dürfen. Als es darum ging, Steuergeld in diese Länder zu geben, musste alles ganz schnell gehen. Wir müssen uns einer Prüfung unterziehen und teilweise absurde Fragen beantworten, damit wir unseren Unternehmen helfen können. Wir sollen zum Beispiel begründen, dass die Krise im zweiten Halbjahr weitergehen wird. In welchem Elfenbeinturm leben manche Beamte in Brüssel? Ich frage mich wirklich, ob man uns provozieren will.

Österreichs Finanzminister Gernot Blümel (l.) im Gespräch mit WELT-Redakteur Tobias Kaiser (Foto: Tobias Kaiser)
Österreichs Finanzminister Gernot Blümel (l.) im Gespräch mit WELT-Redakteur Tobias Kaiser

WELT: Aus der EU-Kommission heißt es, Sie würden ein reguläres notwendiges Prüfverfahren aufbauschen, um sich im Bürgermeisterwahlkampf in Wien, wo Sie kandidieren, als Vertreter österreichischer Interessen zu profilieren.

Blümel: Die österreichische Regierung will den eigenen Unternehmen helfen. Wer die Aufregung darüber, dass uns das nicht gewährt wird, mit Wahlkampf abtut, sollte aufpassen, was er mit solchen Aussagen anrichtet. Ich habe mittlerweile das Gefühl, die europäische Ebene und die Brüsseler Bürokratie reagieren nur auf Druck. In dieser schwierigen Situation wird nur dort reagiert, wo viel Druck herrscht. Wenn große Länder sich beschweren, wird schnell reagiert, bei kleineren Ländern weniger schnell.

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