Stand: 18.08.2021 08:06 Uhr

Damit die hohen Lebensmittelpreise sinken, will Israel seinen Lebensmittelmarkt schrittweise für die EU öffnen. Die Pläne der Regierung stoßen jedoch auf heftige Kritik – nicht nur bei Bauern.

Von Eva Lell, ARD-Studio Tel Aviv

Wütende Landwirte werfen ganze Paletten von Eiern auf die Straße. Sie demonstrieren im Norden Israels mit ihren Traktoren. „Wir kämpfen hier um den Fortbestand unserer Landwirtschaft“, sagt einer der Demonstranten bei dem Protest vor einigen Tagen. „Wir sind gegen den schlechten Plan von Finanzminister Avigdor Lieberman und Landwirtschaftsminister Oded Forer. Die beiden haben sich zusammengetan: Sie wollen die israelische Landwirtschaft zerstören.“

Eva Lell
Eva Lell

Der Protest richtet sich gegen die von der Regierung geplante Agrarreform. Schrittweise soll der israelische Markt für die EU geöffnet werden – zum Ärger der heimischen Landwirte. Einer ruft bei der Demo in einen Lautsprecher: „Wir wollen in Würde unseren Lebensunterhalt verdienen. Wir Landwirte im Norden, an der Grenze zu Syrien und zum Libanon, wir stabilisieren das Land. Wir sind nicht das Problem, sondern die Lösung für das Land.“

Kritik an den Supermärkten

Experten bestätigen die Kritik. Innerhalb von einem bis drei Jahren würden die Landwirte in Israel aufhören, Grundnahrungsmittel zu produzieren, sagte Amit Ben-Tzur, der Gründer des Politik-Thinktanks Yesodot der Zeitung „Jerusalem Post“. Bisher gibt es Zölle und Einfuhrregularien für Produkte nach Israel. Die Reform werde der komplexen Lage nicht gerecht, würde dem landwirtschaftlichen Sektor irreparablen Schaden zufügen und die Sicherheit der Lebensmittelversorgung im Land gefährden, so Ben-Tzur.

Ein Grund für die Reform: die teuren Lebensmittel in Israel. Die Preise seien zu hoch, sagt eine Passantin in Tel Aviv. „Aber ich bin auf der Seite der Landwirte. Das Problem sind die Supermärkte. Sie schöpfen den Gewinn ab, auf Kosten von Landwirten und Verbrauchern.“ Bis zu 50 Prozent ihres Einkommens gibt sie für Lebensmittel aus.

Ein älterer, gut gekleideter Mann erzählt, er sei oft in Europa. Dort sei Obst und Gemüse deutlich günstiger. „Alles ist teuer hier. Zum Glück habe ich eine gute Rente und kann mir alles leisten. Aber viele andere können das nicht“, sagt er.

Reform soll Lebensmittel günstiger machen

Nach Zahlen der OECD ist Israel das achtteuerste Land der Welt. Die Lebenshaltungskosten liegen weit über dem Durchschnitt. Günstigere Lebensmittel, mehr Auswahl und eine modernere Landwirtschaft nennt der israelische Landwirtschaftsminister Forer von der Partei Israel Beitenu („Unser Zuhause Israel“) als Reformziele. Er verteidigt die Pläne gegen Kritik: „Wir brauchen Reformen. Und wir brauchen einen gesunden Wettbewerb“, sagt er.

Mit 2,6 Milliarden Schekel – umgerechnet 65 Millionen Euro – unterstütze die Regierung Landwirte, die in neue Technik investierten. Und noch einmal 2,1 Milliarden Schekel (52 Millionen Euro) gehen Forer zufolge als direkte Finanzhilfe an die Landwirte. „Wir müssen jetzt aufholen und die Qualität der israelischen Produkte bewerben. Ich möchte, dass die Verbraucher selber entscheiden, welches Produkt sie kaufen, von wem und von wo.“

Verantwortung der großen Konzerne?

Zu schnell solle die Reform nun im Parlament durchgesetzt werden, bemängeln Kritiker und verweisen darauf, dass die Lebensmittelpreise in Israel nicht deshalb so hoch seien, weil die Landwirte so viel für ihre Produkte bekämen. Die Landwirte machen vielmehr die großen Lebensmittelkonzerne für die Teuerung verantwortlich. Auch dieses Problem wollten sie sich anschauen, haben die Minister versprochen.

Die Debatte geht derweil weiter, sie wird emotional geführt. Auch von Vertretern der Landwirtschaft. „3000 Menschen sind in den 1960er-Jahren hierhergekommen, an die libanesische Grenze, um hier Eier zu produzieren“, sagt Avshalom Vilon vom israelischen Bauernverband. „Heute leben sie von umgerechnet 1500 Euro im Monat. Das ist ihre Rente. Und denen sagt man: ‚Jetzt schickt Erdogan die Eier. Eure Zeit ist um.'“

Die Debatte folgt ziemlich genau zehn Jahre nach Massenprotesten in Israel. Damals gingen zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen zu hohe Lebensmittelpreise und Lebenshaltungskosten zu demonstrieren. Die damaligen Proteste führten nicht dazu, dass das Leben billiger wurde.

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