Stand: 11.08.2021 01:52 Uhr

Polens Ministerpräsident Morawiecki hat seinen Stellvertreter Gowin entlassen. Dessen Gruppierung kündigte daraufhin das Bündnis mit der PiS auf. Die Koalitionspartner hatten unter anderem über ein neues Rundfunkgesetz gestritten.

Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau

Tausende Menschen demonstrierten gestern in verschiedenen polnischen Städten gegen das geplante Rundfunkgesetz, das die Medienvielfalt in Polen weiter einschränken könnte.

Jan Pallokat
Jan Pallokat ARD-Studio Warschau

Diese Frau ist mit ihren zwei Töchtern zum Protest vor das Warschauer Parlament gekommen. „Ich bin 1974 geboren und erinnere mich, wie Polen ausgesehen hat, und ich möchte nicht, dass solche Zeiten zurückkehren.“

Viele Medien der Regierung schon lange ein Dorn im Auge

Im heutigen Polen gehören relativ viele Medien ausländischen Firmen; ein aus Perspektive Jaroslaw Kaczynskis beklagenswerter Zustand. Der Chef der Regierungspartei PiS verlangte, polnische Medien müssten „polnisch“ sein. Entsprechend feierte er zu Jahresbeginn den Verkauf der Regionalzeitungsgruppe „Polska Press“ von einem deutschen Verlagshaus an den staatlich kontrollierten Ölkonzern Orlen als „beste Nachricht seit langem.“

Seither sind fast alle Chefredakteure der Zeitungen und Portale durch parteinahe Persönlichkeiten ersetzt worden. Doch auch die in US-Besitz befindliche TV-Gruppe TVN mit ihrem Nachrichtenflaggschiff „TVN 24“ ist vielen PIS-Politikern schon lange ein Dorn im Auge. Mit der geplanten Gesetzesverschärfung aber dürfte der Discovery-Konzern zum Verkauf seiner Anteile gezwungen werden. Denn die Novelle verbietet Firmen aus Übersee Mehrheitsbesitz an polnischen Medienunternehmen, und zwar auch indirekt wie im Fall TVN über europäische Tochtergesellschaften.

Abstimmung über Gesetz schon heute

Offiziell sollen damit feindliche Mächte wie Russland ausgesperrt werden. Der PiS-Politiker Marek Suski, Autor des Gesetzentwurfs, ließ in einem parteinahen Debattierclub aber wissen, worum es eigentlich geht: „Wenn es gelingt, dieses Gesetz durchzubringen und dann ein Teil der Anteile durch polnische Geschäftsleute gekauft wird und wir dann irgendeinen Einfluss darauf bekommen, was in diesem Sender passiert, wird es sicher nicht so laufen wie bei Polska Press, wo man das ganz kaufen konnte, aber es geht in diese Richtung.“

Anscheinend stehen die Chancen auf eine Mehrheit dafür gut, jedenfalls hatte PiS nach letztem Stand eine Abstimmung im Sejm für heute Nachmittag angesetzt. Möglicherweise ist Kaczynskis Partei dabei auf Stimmen jenseits der Fraktion angewiesen, denn die ist momentan wieder einmal einer Zerreißprobe ausgesetzt.

Vizepremier im Streit entlassen

Mit der Entlassung eines Vizepremiers, der zugleich Chef eines kleineren PiS-Partners ist, könnte es knapp werden mit einer eigenen Mehrheit. Jaroslaw Gowin, der dem wirtschaftsliberalen Flügel in der Regierungsfraktion zugerechnet wird, aber doch alle wesentlichen Gesetze, auch die Justizreform, mitgetragen hatte, liegt schon seit Wochen im Clinch wegen eines Konjunkturprogramms und damit verbundener Steuer- und Abgabenerhöhungen; aber auch das Mediengesetz lehnt er ab – und präsentierte sich am Abend nicht nur als Verteidiger des Mittelstands, sondern auch der Pressefreiheit.

Es liegt etwas Symbolisches darin, dass meine Amtsenthebung gerade in dem Moment bekannt gegeben wird, da es überall in Polen Proteste gibt gegen ein Gesetz, das nicht zufällig ‚Lex TVN‘ genannt wird. Dieses Gesetz verstößt auf drastische Weise gegen das Prinzip der Medienfreiheit.

Gowin stößt sich auch daran, dass das Gesetz die USA brüskiert. In einer Erklärung demokratischer wie republikanischer Senatoren ist von großer Sorge die Rede und einer Gefahr für die polnische Demokratie.

Schwache Beteiligung an Protesten

Angesichts dieser konstatierten Gefahrenlage fiel die Beteiligung an den abendlichen Protesten im Land selbst aber eher schwach aus; auch sah und hörte man anders als bei den jüngsten Protesten gegen die Abtreibungspolitik eher mittlere bis ältere Semester „Wolne media“ – „freie Medien“ skandieren.

Diese Frau äußerte gegenüber diesem Sender dennoch eine Hoffnung, „dass es von allein zusammenbricht. Dass sie einander totbeißen. Ich glaube an keinen Ritter auf einem weißen Pferd, an einen Donald Tusk, der jetzt nach Polen zurückkehrte. Sie werden alles tun, um ihn unmöglich zu machen, die Schwankenden zum Zweifeln bringen. Aber vielleicht werden sie sich einander die Augen auskratzen und das wird sie erledigen. Hoffentlich.“

Für den Nachrichtensender TVN24 tickt derweil die Uhr. Denn die vor 18 Monaten beantragte Lizenzverlängerung ist bis zur Stunde nicht genehmigt worden. Ende September läuft die Sendelizenz ab.

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