Ampel-Versprechen Zwölf Euro Mindestlohn – wer profitiert davon und kostet das Jobs?

Von einem höheren Mindestlohn profitieren Millionen Beschäftigte

Von einem höheren Mindestlohn profitieren Millionen Beschäftigte

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SPD, Grüne und FDP wollen den gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf Euro deutlich anheben. Wem würde das besonders nützen – und was sagen Ökonomen zu dem Plan?

Noch sind die Koalitionsverhandlungen gar nicht offiziell gestartet, doch auf einen Punkt haben sich SPD, Grüne und FDP bei den Sondierungen schon klipp und klar verständigt: Der Mindestlohn soll im ersten Jahr einer neuen Ampel-Regierung auf zwölf Euro die Stunde steigen. Normalerweise würden die Liberalen bei dem Thema empört aufschreien, doch um andere Kernanliegen durchzubekommen, sind sie bereit, dieses Wahlversprechen von SPD und Grünen zu erfüllen.

Und zwar ohne Kompromisse. Denn anders als bei der angekündigten Abschaffung von Hartz IV, die sich noch als Mogelpackung entpuppen könnte, gibt es hier kein Hintertürchen: Zwölf Euro sind zwölf Euro, daran ist wenig zu rütteln. Dementsprechend gut ist die Stimmung bei Sozialverbänden und Arbeitnehmervertretern, während die Gegenseite alarmiert ist: Für „brandgefährlich“ hält Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger den Schritt und beklagt „einen schweren Eingriff in die Tarifautonomie“.

Aber was bedeutet ein Mindestlohn von zwölf Euro eigentlich genau und was sind die Folgen? 

Wie groß ist der Schritt?

Ein gesetzlicher Mindestlohn von zwölf Euro die Stunde bedeutet in der Tat eine deutliche Verbesserung des Status Quo. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,60 Euro. Zum 1. Januar 2022 soll er auf 9,82 Euro steigen und zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro. So hat es die Mindestlohnkommission empfohlen und die aktuelle Bundesregierung ist dem Vorschlag gefolgt.

Die Pläne der neuen Ampelkoalition liegen also deutlich über dem, was die Kommission empfohlen hat. Das Gremium wurde mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 ins Leben gerufen und besteht aus je drei Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften, sowie einem unabhängigen Vorsitzenden und zwei nicht-stimmberechtigten Wirtschaftswissenschaftlern. 

Wer profitiert von zwölf Euro Mindestlohn?

Die Anhebung des Mindestlohns auf einen Stundenlohn von zwölf Euro würde rund acht Millionen Beschäftigten unmittelbar mehr Lohn bringen – und dürfte sich zusätzlich positiv auf Löhne auswirken, die leicht über zwölf  Euro liegen. Das haben die Mannheimer Ökonomen Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau in einer Studie für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung berechnet.

Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium geht sogar von zehn Millionen Menschen aus, die von dem höheren Mindestlohn profitieren würden. Darunter seien vor allem Minijobber, aber auch regulär sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Sogar Menschen, die schon nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, könnten mehr Geld bekommen, denn die Stundenlöhne in Einzelhandel, Landwirtschaft oder Hotelgewerbe liegen teils darunter. Auch Beschäftigte in den Bereichen Körperpflege, Gastronomie und Lebensmittelverkauf könnten sich über mehr Geld freuen.

Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) betont noch einen anderen Aspekt: Ein höherer Mindestlohn nutzt vor allem Frauen. Denn sie arbeiten überproportional oft in schlecht bezahlten Jobs, häufig in Verbindung mit Teilzeit, wie Studienautor Malte Lübker ausführt. Er hat die Gehaltsangaben von 200.000 Beschäftigten aus dem Portal Lohnspiegel.de ausgewertet. Besonders profitieren würden von zwölf Euro Mindestlohn demnach Friseurinnen, Bäckereifachverkäuferinnen und Floristinnen, aber auch Einzelhandelskauffrauen, Rechtsanwaltsfachangestellte, Zahnmedizinische Fachangestellte und Mechatronikerinnen. 

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Kostet der höhere Mindestlohn Jobs?

Die klassische ökonomische Theorie besagt, dass ein gesetzlicher Mindestlohn Jobs kostet und die Arbeitslosigkeit nach oben treibt. Für viele Arbeitgeber lohne es sich schlicht nicht, für Niedriglohnjobs mehr Geld zu bezahlen, als sie es freiwillig tun würden. Dass das in der Realität aber gar nicht so kommen muss, hat etwa der Kanadier David Card durch empirische Studien über die Löhne in US-Fastfood-Restaurants gezeigt – wofür er gerade erst den Nobelpreis bekommen hat.

Auch in Deutschland hat die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 nicht zu den Verwerfungen am Arbeitsmarkt geführt, die Kritiker befürchtet haben. Die Zahl der Mini-Jobs ging zwar zurück, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aber stieg – und mehr Arbeitslose gab es auch nicht. Bleibt die Frage, wieviel Mindestlohn es sein darf, damit es nicht doch zu negativen wirtschaftlichen Effekten kommt? Schließlich ging es bei der Einführung vor sechs Jahren gerade mal um kärgliche 8,50 Euro.

Auch zwölf Euro halten viele Ökonomen in Deutschland für nicht zu viel. So hat etwa der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bereits kurz vor der Wahl erklärt, dass er die Forderung nach zwölf Euro Mindestlohn für vollkommen richtig hält. Die Anhebung würde „größte soziale Verbesserungen“ für Millionen Menschen bringen und „wahrscheinlich wenige Jobs kosten“, sagte der Ökonom. Zudem bringe der Schritt mehr Steuereinnahmen durch zusätzliche wirtschaftliche Aktivität, höhere Einkommen und damit höheren Konsum. „Ein Mindestlohn von zwölf Euro wäre aus jeglicher Sicht sinnvoll“, so Fratzscher.

Der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger sprach sich kürzlich für eine schrittweise Anhebung auf zwölf Euro bis Anfang 2023 aus. Und auch Lars Feld, ehemaliger Vorsitzender der Wirtschaftsweisen und einer der zwei wissenschaftlichen Berater in der Mindestlohnkommission, hält die Anhebung für vertretbar. „Die zwölf Euro wären für die Wirtschaft wahrscheinlich einigermaßen gut verkraftbar“, sagte Feld dem „Handelsblatt“. Seine Sorge ist eher, dass die Politik im Kampf um Wähler beim Mindestlohn in Zukunft das Maß verliert, wenn die Mindestlohnkommission einfach übergangen wird. Allerdings haben die Ampel-Parteien in ihrem Sondierungspapier auch festgehalten, dass der Sprung auf zwölf Euro eine „einmalige Anpassung“ sei – und danach wieder die Mindestlohnkommission übernehmen soll.

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