Fake News, Propaganda und Desinformation gehören zu unserem Alltag. Die Wahrheit ist ständig bedroht. Die Wissenschaftlerin Dr. Viorela Dan forscht schon lange dazu und weiß, was gute Faktenchecks auszeichnet. Die Analyse eines viralen Impfgegner-Videos brachte sie sogar zum Schmunzeln.

Im Interview mit dem stern erklärt Viorela Dan, Akademische Rätin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität in München, warum Fehlinformationen stärker verfangen als Richtigstellungen und warum Faktenchecker wie auch Mediennutzer lernen müssen, mit Unsicherheit zu leben.

Frau Dan, wann haben Sie zum letzten Mal einen Faktencheck gelesen und worum ging es darin?
Derzeit vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich einen Faktencheck lese. Kürzlich habe ich mir die Finalisten für die „Lüge des Jahres“ von PolitiFact (eine auf Faktenchecks spezialisierte US-Website, Anm. d. Red.) angeschaut und einige davon gelesen. Darunter war auch ein Faktencheck zur Aussage Donald Trumps, er habe bei der US-Präsidentschaftswahl „einen Erdrutschsieg errungen“. Der Verfasser kam zu dem Urteil, dass es sich hierbei um eine klare Lüge handelt.

Woran erkennt man eigentlich einen guten Faktencheck?
Ein guter Faktencheck ist an erster Stelle unvoreingenommen, gründlich recherchiert und nachvollziehbar. Zwar ergibt die Überprüfung etwa von Politikeraussagen häufig, dass sie nicht stimmen. Dennoch darf das Urteil nicht vor der Überprüfung der Aussage feststehen. In dem vorhin erwähnten Beispiel bekam ich den Eindruck, dass der Verfasser des Faktenchecks die Beweislage systematisch durchgearbeitet hat, um zu erfahren, ob es Anzeichen für einen Wahlbetrug gibt. Ich konnte seine Vorgehensweise nachvollziehen und war für die Verlinkung externer Quellen dankbar.

Darüber hinaus finde ich die Form sehr wichtig. Faktenchecks müssen, wie andere journalistische Formate auch, gut geschrieben und ansprechend aufbereitet sein. Ich denke, es reicht nicht, Fakten in einer „Bleiwüste“ zusammenzutragen. Schließlich handelt es sich um ein journalistisches Angebot, welches viele Menschen in ihrer Freizeit rezipieren.

Wissen Mediennutzer, was das Format Faktencheck ausmacht?
Ich denke schon, denn hierzulande unterscheiden sie sich noch erheblich von anderen journalistischen Angeboten. Was ich allerdings nicht weiß, ob die Mehrheit in der Lage ist, einen seriösen Faktencheck von einem Beitrag zu unterscheiden, der sich zwar Faktencheck nennt, aber keiner ist.

Fehlinformationen bis hin zu gezielter Desinformation werden in sozialen Netzwerken tausendfach geliked und geteilt. Warum ist das so?
Das liegt vor allem daran, dass ausgedachte Geschichten oft spannender sind als jene, die wahr sind. Außerdem bestechen sie durch ihre Einfachheit. Für mich lesen sich viele Behauptungen, die sich als falsch oder irreführend entpuppen, wie Märchen: Es geht um Gut gegen Böse, um Intrigen und Grabenkriege. Es ist also nicht überraschend, dass Menschen andere darauf aufmerksam machen wollen. Wir neigen dazu, unsere Mitmenschen zu warnen, wenn wir negative Dinge erfahren – um sie davor zu schützen. Online geschieht das mittels Funktionen wie „Gefällt mir“ und „Teilen“. Doof nur, wenn es sich herausstellt, es war ein Fehlalarm.

„Wahrscheinlicher ist es, dass der Faktencheck einfach ignoriert wird“

Angenommen, einen Mediennutzer hat eine Fehlinformation erreicht, die er glaubt, liked und teilt. Irgendwann später ploppt in seiner Timeline ein Faktencheck zu genau dem Thema auf. Was löst dieser im besten, was im ungünstigsten Fall aus?
Wenn dieser Nutzer auf Facebook unterwegs ist, dann erfährt er das sogar weniger sanft – über eine Direktnachricht von Facebook, in der ein Faktencheck verlinkt ist. Im besten Fall ist dieser Mensch dankbar für die Aufklärung, überdenkt seine Position und teilt den Faktencheck mit seinen Followern. Das wird aber nicht die Regel sein. Wahrscheinlicher ist es wohl, dass dieser Faktencheck einfach ignoriert wird. Im ungünstigsten Fall kann er fehlzünden. So kann er den Nutzer in seiner falschen Ansicht sogar verstärken und dafür sorgen, dass Wörter wie „Lügenpresse“ ihm leichter über die Lippen kommen als davor.

Lassen sich Faktenchecks für Desinformation oder Propaganda missbrauchen?
Mit seriösen Faktenchecks wird das schwierig. Denn ihr Ziel besteht ja darin, die Fakten auf den Tisch zu legen. Es kann aber passieren, dass die bloße Existenz von Faktenchecks zu einem kontroversen Thema genutzt wird, um weitreichende Verschwörungserzählungen zu schüren – etwa, dass die Regierung oder andere vermeintlich finstere Mächte Journalistinnen und Journalisten sagen würden, was sie zu schreiben haben. Denkbar wäre auch, dass Akteure, die absichtlich Lügen und Halbwahrheiten verbreiten, Beiträge in den Umlauf bringen, die sie als Faktenchecks kennzeichnen, obwohl sie keine sind.

Faktenchecks werden oft diskreditiert. Absendern wie zum Beispiel der Tagesschau wird eine politische Agenda unterstellt. Wie können Absender von Faktenchecks ihre Unabhängigkeit beweisen?
Ich denke, es fängt mit der Auswahl der Behauptungen an, die gefaktencheckt werden. Wer eine Vielfalt vorweisen kann – d.h., wer Behauptungen von links und rechts mit gleicher Sorgfalt überprüft – wird hier weniger angreifbar sein. Gleiches gilt für die Ergebnisse der veröffentlichten Faktenchecks: Wer Aussagen aus einem politischen Lager ständig für wahr beurteilt, während jene aus dem anderen Lager routinemäßig als falsch oder irreführend klassifiziert werden, macht sich ebenfalls angreifbar. Die eigene Unabhängigkeit zu beweisen bleibt aber ein schwieriges Unterfangen. Denn die erwähnte Vielfalt kommt kaum in den Fehlinformationen vor, die etwa im Netz kursieren. Wenn, sagen wir, der Großteil aller dieser Fehlinformationen aus einer politischen Ecke kommen, dann wird es Faktencheckern schwerfallen, ein 50-50-Verhältnis zu erreichen.

Der MDR veröffentlicht einen Faktencheck zu einem Interview mit einem Impfskeptiker im eigenen Programm. Was soll ein Mediennutzer davon halten?
Die Frage, um die es dort ging, handelte davon, ob die Covid-Impfstoffe nicht nur dem Eigenschutz dienen, sondern auch dem Fremdschutz (d.h., ob ein geimpfter Mensch nicht nur sich selbst schützt, sondern auch jene in seinem Umfeld, die nicht geimpft sind). Ich habe die Aussage des interviewten Kinder- und Jugendmediziners so verstanden, dass er nicht den Eigenschutz anzweifelt, sondern lediglich den Fremdschutz („Die Covid-Impfstoffe gewähren denen, die sich schützen wollen, einen zeitlich begrenzten, gar nicht schlechten Schutz vor schweren Verläufen. Sie haben aber überhaupt keinen relevanten Fremdschutz“).

Was war dann das Fazit des Faktenchecks?

Die Bezeichnung „Impfskeptiker“ scheint nicht zutreffend zu sein. Er sprach sich lediglich gegen eine Impfpflicht aus und begründete seine Position mit seiner Sicht zum Thema Fremdschutz. Im Faktencheck dieser Aussage wurde eingeräumt, dass die Forschungslage im Moment uneindeutig ist („Einige Studien deuten zwar darauf hin, dass die Viruslast bei geimpften Infizierten genauso hoch sein kann wie bei ungeimpften. Andere Studien legen allerdings nahe, dass infizierte Geimpfte sehr wohl weniger ansteckend sind.“). Im Faktencheck kamen auch einige Experten zu Wort, die die Aussage zum Fremdschutz relativierten. Konkludiert wurde also: „Der Schutz durch die Corona-Impfstoffe ist sicher nicht perfekt. Und ja, auch Geimpfte können Überträger sein. Die Aussage von Steffen Rabe, dass es ‘überhaupt keinen relevanten Fremdschutz‘ gebe, ist so aber nicht haltbar.“

Also kein Ergebnis, bei dem man den Stempel „richtig“ oder „falsch“ verwenden kann. Was soll das Publikum davon halten?

Ein Mediziner hat seine Sicht der Dinge in einem Interview preisgegeben und diese Sicht wurde anschließend in einem Faktencheck relativiert. Ich war für solche Einordnungen immer dankbar, vor allem dann, wenn die Studienlage als uneindeutig beschrieben wird. Wir müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben.

„Faktenchecks sind, wie andere Formate auch, eine Momentaufnahme“

Wie können Faktenchecks Sachverhalte aufklären, bei denen (noch) nicht alle Fakten vorliegen? Die Corona-Pandemie ist dafür ein Beispiel.
Faktenchecks sind, wie andere Formate auch, eine Momentaufnahme. Ihr Ziel besteht darin, auf Grundlage der verfügbaren Evidenz, Einordnung zu bieten. Wenn nicht alle Fakten vorliegen, dann bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: Wir wissen nicht, ob das stimmt oder nicht. Das gehört zum Journalismus dazu.

Mal angenommen, das Publikum sehnt sich dennoch nach einem Urteil, weil eine wichtige Entscheidung getroffen werden muss (z.B. für oder gegen eine Impfung). Was tun?

Dann werden im besten Fall die Einschätzungen von Experten herangezogen und im Faktencheck zitiert. Wenn es deutlich gemacht wird, dass es sich hierbei um Einschätzungen handelt, nicht um gesicherte Tatsachen, dann kann auch diese Herangehensweise vertretbar sein.

"JAhr zur Wahrheit. Weil’s stimmen muss."

Unter dem Motto „JAhr zur Wahrheit. Weil’s stimmen muss.“ setzen die Unternehmen der Bertelsmann Content Alliance 2021 – zu der auch der Verlag Gruner + Jahr gehört, in dem der stern erscheint – ein Zeichen für guten Journalismus. Mittelpunkt der Kampagne sind Mitarbeiter:innen in den Unternehmen der Bertelsmann Content Alliance, die sich in ihrem beruflichen Alltag täglich mit der Bedeutung von Wahrheit und Lüge für die Gesellschaft auseinandersetzen.

Was war die skurrilste Fehlinformation, die Ihnen in einem Faktencheck untergekommen ist?
Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich Faktenchecks lese. Skurril daran ist oft die Behauptung, die überprüft wird, nicht der Faktencheck selbst (der meistens sachlich ist). Im Sommer erfuhr ich von einem Video, welches sich auf TikTok viral verbreitete. Darin sah man eine Frau, die beim Tierarzt ihre Arme mit einem Mikrochip-Lesegerät scannen ließ. Beim ersten Arm zeigte das Gerät an, dass kein Chip gefunden wurde. Beim zweiten Arm – in dem die Frau erzählte, gegen Corona geimpft worden zu sein – schien das Gerät tatsächlich anzuschlagen. Angezeigt wurde ein Mikrochip-Code. Die Frau erklärte im Nachhinein, dass das Video gefälscht war und sie es nur als Scherz gepostet hatte.

Hier können Sie dem Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) und dem Center for Advanced Studies (CAS) der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) auf Twitter folgen.

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