Seit dieser Woche befindet Europa sich „im Krieg“. Das ist zumindest die Sprache vieler Staatschefs, die einen flächendeckenden „Lockdown“ ihrer Länder beschließen, inklusive Ausgangssperren. Wirtschaft und Gesellschaft werden in ein künstliches Koma versetzt.

Deutschland hat den Kriegszustand nicht ausgerufen, das liegt sicher an unserer Vergangenheit, aber in Teilen des Landes ist Ausnahmezustand. Landesweite Ausgangssperren sind vermutlich eine Frage der Zeit, in Bayern sind sie verkündet. Die Bundeskanzlerin hat das deutlichste Signal gesendet, indem sie sich überhaupt das erste Mal an die gesamte Bevölkerung wendete. Zwei Sätze sagten alles: Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst. Kurz und angemessen.

Die Rettungsmaßnahmen, die nun ausgerufen und gefordert werden, sprengen alle Dimensionen, es geht nur noch in dreistelligen Milliardenschritten, in den USA wird in Billionen gerechnet. „Das ist wie im Krieg. Wir sollten Billionen ausgeben, ohne mit der Wimper zu zucken“, sagte diese Woche der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. (Das Interview lesen Sie hier.) „Let the helicopters fly“, schrieb die „Financial Times“ in Anspielung auf das Helikoptergeld.

Kredithilfen, Liquiditätshilfen, Direkthilfen, Steuerstundungen, Steuererlasse. Im Stakkato gibt es neue Direktiven und Hilfspakete, und all das ist richtig und notwendig: Man muss jetzt schnell, groß und großzügig denken. Wir schließen die Fabriken von VW, BMW, Opel und Porsche, Staatshilfen für Lufthansa sind eine Frage der Zeit. Tausende Unternehmen vor allem in der Gastronomie und im Handel verlieren innerhalb weniger Tage große Teile ihres Umsatzes. Deutschland ist eine Volkswirtschaft mit einem Volumen von 3,4 Billionen Euro – man kann sich ausrechnen, was es kostet, diese vier Wochen oder länger herunterzufahren und wieder hochzufahren. Die Schätzungen, wie schlimm die Rezession wird, pendeln zwischen minus vier und neun Prozent.

Die Welt für 30 Tage schließen

Der parallele Schock auf Angebot und Nachfrage führt zu einer zweiten Ansteckungsgefahr und Infizierung, nämlich auf Tausende Unternehmen und Selbständige. Um unsere Gesundheit zu schützen, müssen wir einen gewaltigen wirtschaftlichen Schaden herbeiführen. „Die einzige Lösung für die Welt ist es, die Welt für 30 Tage zu schließen“, hat Bill Ackman gesagt, ein bekannter Investor und Chef von Pershing Square Capital.

Man sollte sich keine Illusionen machen: Der Schaden, der nun entsteht und die Summen, die das kosten wird, werden große Teile des Wohlstandsgewinns von Deutschlands „goldenem Jahrzehnt“ wieder zunichte machen. Die Staatsschulden, die wir innerhalb dieser Zeit von mehr als 80 auf unter 60 Prozent des BIP gedrückt haben, werden explodieren.

Innerhalb weniger Monate verlieren wir Anstrengungen von Jahren, an der Börse die Gewinne von Jahren innerhalb weniger Wochen. Das ist sehr bitter. Aber es gibt leider keine Alternative. Wir werden über Defizite in ganz neuen Höhen sprechen müssen. Die Bundesregierung, berichtet das „Handelsblatt“, plant einen Nachtragshaushalt in Höhe von rund 150 Mrd. Euro, vollständig über Schulden finanziert, sowie einen Schutzschirm, der die Wirtschaft stabilisiert, mit einem Volumen in Höhe von 500 Mrd. Euro.

Was aber sonst noch tun? Sollen wir uns bis zum Sommer oder länger in den Häusern einschließen und nichts mehr herstellen und nur das Nötigste konsumieren? Klar ist: Einige Wochen hat die Gesundheit Vorrang vor dem wirtschaftlichen Schaden. Sicher aber werden wir dann auch über die Verhältnismäßigkeit diskutieren und weitere Strategien erproben müssen.

Man muss ja nicht nur an die wirtschaftlichen Folgen, sondern auch an die psychologischen Folgen für unsere Kinder, für die Alten, die oft allein leben, denken. Es wird vielleicht eine modifizierte Quarantäne geben: Teile der Bevölkerung bleiben in der Isolation, andere müssen sich wieder bewegen und arbeiten. Durch massenweise Testverfahren, die man regelmäßig durchführt, reduziert man die Gefahr, unbewusst andere zu infizieren. Wer sich die globalen Infektionskarten anschaut, wird zudem sehen, wie sich die „grünen“ Kreise (die Genesenen) etwa in Asien vergrößern. Die können wieder arbeiten.

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Spray, pay and pray?

Es geht jetzt nicht um Grundsätze oder Prinzipien, ob man für oder gegen eine Schuldenbremse war. Diese müssen wir auch nicht ändern oder aushebeln, denn dies ist eine Krise und Notsituation. Genau für solche Zeiten muss ein Staat stark sein, und das Gute ist, dass Deutschland seine Finanzkraft nun nutzen kann.

Groß und schnell denken und handeln heißt aber nicht blind und blindwütig. „Spray, pay and pray“, das ist die Forderung vor allem in den USA und Großbritannien. Sollen wir auch Schecks verschicken, wie in den USA? Da wir andere Sozialsysteme haben – in den USA verlieren schon Hunderttausende ihre Jobs und leben von Gehaltscheck zu Gehaltscheck –, sollten wir über Hilfen reden, die zu unserem System passen.

Die bisherigen Pakete und verkündeten Maßnahmen – Kredite, Liquiditätshilfen, Steuerstundungen, zur Not Staatsbeteiligungen, Hilfen für Selbständige und Änderungen am Insolvenzrecht – sind richtig. Aber werden Sie reichen, werden auch die 150 Mrd. Euro (fünf Prozent des BIP) reichen? Die bisherigen Maßnahmen sind beachtlich, in anderen Ländern wird noch größer gedacht.

Interessant finde ich eine Idee, die der „New York Times“-Journalist Andre Ross Sorkin diskutiert, einer der großen Experten der Bailouts während der Lehman-Krise. Er regte „bridge loans“ an, also Brückenkredite, die jedes Unternehmen, ob klein oder groß, bekommt, auch Solo-Selbständige und Freiberufler.

Diese Brückenzahlungen ersetzen für die Dauer der Krise den Einnahmeausfall und haben nur eine Bedingung: dass 90 Prozent der Belegschaft mit dem gleichen Gehalt den Job behalten. Später müssen die Darlehen innerhalb von fünf Jahren zurückgezahlt werden. Die Summe solcher „bridge loans“ ist natürlich gewaltig – rund 10 Billionen Dollar schätzt Ross Sorkin, das wären 50 Prozent des amerikanischen BIP. Wenn davon 20 Prozent nie zurückgezahlt würden, rechnet er vor, würde ein gewaltiger Schaden bleiben. Mit einem Unterschied: Die meisten Menschen hätten ihren Job und die meisten Unternehmen gäbe es noch. Anders gesagt: Der Schaden könnte ohne diese Hilfen viel größer sein. All das klingt noch absurd, nicht zu Ende gedacht, grob gerechnet. Und vielleicht kommt alles gar nicht so schlimm. Aber man muss solche Dinge jetzt andenken und auch zu Ende denken.

Da Deutschland sich nahezu umsonst verschulden kann, wäre ein solcher historischer Brückenkredit, ein Schutzschirm für die Volkswirtschaft, bedenkenswert. Viele Unternehmen sind stark und gesund und wettbewerbsfähig, sie wären in der Lage, in den Jahren darauf ihre Schulden zu begleichen – und dem Staat, der nun sein eigenes Immunsystem schwächt, zu neuer Kraft zu verhelfen.

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