Stand: 29.08.2021 05:10 Uhr

Die verheerenden Wassermassen im Ahrtal haben auch zahlreiche Schulen zerstört oder beschädigt. Nun beginnt am Montag wieder der Unterricht – und wenig ist normal.

Von Iris Völlnagel, SWR

Noch bevor Schulleiterin Doris Stutz erzählt, wie sich nach der Flutkatastrophe im Ahrtal das neue Schuljahr gestaltet, möchte sie etwas loswerden: „Unsere Schule hatte viel Glück, dass wir keine Toten beklagen müssen.“ Die Pädagogin der Erich-Kästner-Realschule in Bad-Neuenahr-Ahrweiler schießen dabei fast die Tränen in die Augen. „Wir haben an unserer Schule 53 Familien, die alles verloren haben, die aus ihren Häusern ausziehen mussten. Wir wissen nicht, wie viele der Kinder davon zurückkommen. Viele sagten, dass sie es wollen.“ Bislang besuchten 320 Schülerinnen und Schüler die Schule. Stutz kennt sie alle persönlich.

Iris Völlnagel
Iris Völlnagel

Mitten im Flutgebiet: Die Erich-Kästner-Realschule in Bad Neuenahr Bild: Erich-Kästner-Realschule Bad Neuenahr

Viele Schulen beschädigt

Das Schulgebäude liegt rund 100 Meter von der Ahr entfernt. In der Nacht auf den 15. Juli 2021 wurde das Erdgeschoss komplett überflutet „Außer der Decke ist alles vernichtet worden“, erzählt die Schulleiterin. Im Erdgeschoss befanden sich das Lehrerzimmer, die Verwaltungsräume, die Bibliothek, Schülertoiletten sowie die Fachräume, darunter ein naturwissenschaftlicher Raum „mit Sicherheitsschränken für die Chemikalien“. Erst vor einem Jahr war er in Betrieb genommen worden.

Die sanitären Anlagen müsen ebenfalls komplett saniert werden. Bild: Julia Schifferings / SWR

Landesweit haben nach Auskunft des Bildungsministeriums in Rheinland-Pfalz rund 40 Schulen durch das Hochwasser Schäden davongetragen. 19 Schulen sind so stark beschädigt, dass sie gar nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden können. Der Schaden liegt nach ersten Schätzungen bei einem dreistelligen Millionenbetrag. Für manche Schulen wurden Containerlösungen gefunden, andere können Räumlichkeiten anderer Schulen mitnutzen.

Helfende aus dem gesamten Bundesgebiet

Auch wenn ihre Schule einer Baustelle gleicht – Schulleiterin Stutz ist froh, dass der Unterricht zumindest eingeschränkt wieder stattfinden kann. Sie betont immer wieder, dass dies ohne die Hilfe und Unterstützung unzähliger Helferinnen und Helfer aus dem gesamten Bundesgebiet nicht möglich gewesen wäre. Auch sie und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen haben die Sommerferien durchgearbeitet. 80 Leute kamen extra mit einem Bus aus Münster angefahren, um den Estrich zu entfernen.

Schulleiterin Stütz ist dankbar für die vielen Hilfen bei der Renovierung. Bild: Julia Schifferings / SWR

„Kein Estrichlärm während der Schulzeit“, das war der Schulleiterin besonders wichtig. „Da sind wir weiter als andere.“ Derzeit werden die Fenster beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist, entfernt. „Ein bisschen Baulärm lässt sich ertragen“, so Stutz. Viele der nicht nutzbaren Räume sind durch Holzwände abgetrennt.

Bunte Schulranzen als Spenden

In einem der oberen Klassenzimmer reihen sich viele bunte Schulranzen nebeneinander, befüllt mit allem, was Schüler und Schülerinnen brauchen: Stifte, Notizblock, Füller, Taschenrechner, Trinkflasche. „Die sind für die Kinder, die ihren im Hochwasser verloren haben“, erzählt die Schulleiterin. Es sind Spenden von Firmen und Privatleuten. Außerdem habe jede betroffene Familie von der Schule einen Geldbetrag und Unterstützung durch Helfer bekommen.

Für Kinder, die keine Schulsachen mehr haben, gab es viele Spenden. Bild: Julia Schifferings / SWR

In einem anderen Klassenzimmer sind zwei Lehrkräfte dabei, eine Leseecke neu einzurichten. Sie hätten „viele Buchspenden bekommen“ erzählt Lehrerin Caroline Rheinbay. „Für einen separaten Raum reichte es aus Platzgründen nicht.“ Dennoch wollen sie für die Schülerinnen und Schüler so viel Normalität wie möglich schaffen.

Das versuchen auch die Lehrer, die in einem Zimmer nebenan Regale blau streichen. Für die neuen Fünftklässler soll der Raum wohnlich aussehen, so die Schulleiterin. „Da im Erdgeschoss all die Räume verloren gegangen sind, die  Schule ausmachen, möchten wir es hier in den Klassenräumen so behaglich wie möglich machen.“

Urlaub trifft auf Katastrophe

Das größte Problem werde der Montag sein, wenn die Kinder zurückkommen, glaubt die Schulleiterin. „Dann treffen die Kinder, die ganz normal in den Urlaub fahren konnten, auf diejenigen, denen die Flut alles genommen hat. „Es wird eine große Diskrepanz geben“, befürchtet sie. Diese gegensätzlichen Erlebnisse zu einer Klassengemeinschaft zusammenzuführen, wird die Herausforderung sein.

Die Schule soll für die Kinder möglichst wohnlich sein. Bild: Julia Schifferings / SWR

In der ersten Woche steht deshalb nicht normaler Unterricht im Mittelpunkt, sondern das Zusammenfinden, der Austausch und das gemeinsame Verarbeiten. Schulleiterin Stutz hat dafür gesorgt, dass die Klassenlehrer den Unterricht leiten, unterstützt durch Kollegen und weitere pädagogische Kräften. Außerdem wird ein Schulpsychologe vor Ort sein. „Wenn es in einer Klasse zu Tränen kommt, ist er da und die Kinder können zu ihm gehen, wann immer sie möchten.“ Auch sei sie froh, dass die Schule eine Sozialarbeiterin mit Hund habe. „Auch der ist in den nächsten Tagen sicherlich sehr gefragt.“

Herausforderung Schulweg

Eine weitere Herausforderung seien die Schulwege, erzählt Stutz. Früher wurden die Kinder von 31 Bussen gebracht. Mit den vielen noch zerstörten Brücken könne das nicht funktionieren. Deshalb werde es – zumindest am Anfang – einen offenen Unterrichtsbeginn geben.

Das zuständige Ministerium in Rheinland-Pfalz für Klimaschutz, Energie, Umwelt und Mobilität hat nach eigenen Angaben bereits in mehreren Runden mit dem Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Nord (SPNV), den örtlichen Verkehrsverbünden und den Schulträgern beraten, wie der Schulbusverkehr nach den Sommerferien aufgestellt werden kann. Daher würden Ersatzverkehre zu den einzelnen Schulstandorten organisiert.

Spätestens nach der ersten Woche, so hofft die Schulleiterin, kann es Unterricht nach einem normalen Stundenplan geben. Dennoch seien Schüler, Eltern und Lehrer froh, dass sie überhaupt als Schule wieder Unterricht anbieten können.

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