Stand: 22.12.2021 15:47 Uhr

Im Jemen dauert der Bürgerkrieg an, die Lage ist verheerend: Kinder verhungern, Zivilisten kämpfen ums Überleben. Nun kündigte das UN-Welternährungsprogramm an, wegen fehlender Gelder seine Hilfen kürzen zu müssen.

Von Anna Osius, ARD-Studio Kairo

Wenn die Kinder noch schreien können, ist es ein gutes Zeichen. Viele sind verstummt. Mit übergroß wirkenden Augen, das Gesicht eingefallen, die Arme dünn wie Bleistifte liegen die Kleinkinder still in ihren Gitterbettchen. Sie haben nicht mehr die Kraft zu weinen, werden künstlich ernährt – wenn man ihnen überhaupt noch helfen kann. Die Bilder der Nachrichtenagentur Reuters aus einem Krankenhaus im Jemen machen deutlich, wen die Hungersnot am schlimmsten trifft.

Anna Osius
Anna Osius ARD-Studio Kairo

„Wir wollen nur noch, dass der Krieg aufhört“, sagt der verzweifelte Vater eines unterernährten Mädchens. „Dann kann ich wieder Arbeit finden und meine Familie ernähren, damit meine Kinder leben können. Wenn die Situation so weiter geht wie bisher, dann werden wir alle sterben.“

Medizinische Versorgung weitgehend zusammengebrochen

Das Krankenhaus in Hodeidha, in dem seine Tochter liegt, ist völlig überfüllt, die medizinische Versorgung im Jemen weitestgehend zusammengebrochen. Der Klinikleiter weiß nicht mehr, wo er die Kinder noch unterbringen soll. „Die Station für Unterernährte ist voll“, sagt er. Es werde schon die Notaufnahme genutzt, um die unterernährten Kinder zu behandeln.

„Was mich als Mutter besonders bestürzt, ist dass die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren ein so verkümmertes Wachstum haben, dass das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann“, sagt Christa Rottensteiner am Telefon. Sie leitet die internationale Organisation für Migration (IOM) im Jemen. „Das heißt, sie werden geistig und körperlich nicht mehr aufholen können. Das ist wirklich eine verlorene Generation.“

Humanitäre Lage spitzt sich noch weiter zu

„Die humanitäre Lage spitzt sich immer mehr zu“, so Rottensteiner. „Es sind 20 Millionen Menschen, die Hilfe benötigen – das sind zwei Drittel der Bevölkerung. Nach so vielen Jahren Krieg ist die Wirtschaft wirklich am Boden, und in weiten Teilen des Landes herrscht eine Inflation. Das bedeutet, dass es zwar Nahrungsmittel gibt, diese aber für die meisten Menschen unerschwinglich geworden sind.“

Doch ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht – auch, weil er von außen immer weiter befeuert wird. Im Jemen kämpfen Huthi-Rebellen gegen die Anhänger der Regierung von Präsident Abdrabbo Mansour Hadi, der ins Exil geflohen ist. Saudi-Arabien unterstützt die Hadi-Anhänger mit Bombardement aus der Luft. Die Huthi-Rebellen wiederum erhalten Hilfe aus dem Iran. Beobachter nennen das einen Stellvertreterkrieg – Iran und Saudi-Arabien ringen um eine Vormachtstellung in der Region.

Zivilisten kämpfen ums nackte Überleben

Im Süden haben sich Separatisten abgespalten, die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihre Finger im Spiel, und auch die Terrororganisation Al-Kaida ist im Land vertreten – der Jemen ist zum Spielball internationaler Interessen geworden. Mittendrin die Zivilisten – bei ihnen geht es ums nackte Überleben. „Ich bin hochgradig alarmiert über die anhaltenden Kämpfe. Der Konflikt eskaliert zunehmend. Es droht ein neues Kapitel im Jemen-Krieg, das noch blutiger wird als bisher“, sagt der Sondergesandte der Vereinten Nationen für den Jemen, Hans Grundberg.

Keine Hilfsgüter mehr aus der Luft nach Sanaa

Hilfsgüter erreichen die Menschen nur noch sehr schwierig – und die Lage hat sich jetzt noch einmal verschlechtert: Der Flughafen der Hauptstadt Sanaa wurde von Saudi-Arabien bombardiert und zerstört – damit können keine Hilfsgüter mehr aus der Luft eingeflogen werden.

Die Saudis rechtfertigen sich – man habe mit dem Bombardement Frieden schaffen wollen: „Der Grund für den Angriff auf den Flughafen war, dass wir versucht haben, durch die internationale Staatengemeinschaft Druck auszuüben, damit sich die Huthis für Frieden entscheiden“, argumentiert Salem Al Yami, ein ehemaliger Berater des saudischen Außenministeriums.

Erbitterter Kampf um Ölfelder

Doch die Huthis halten dagegen: „Wir sind gezwungen, diesen Krieg fortzuführen“, so Mohamed Al Bukheity, Mitglied des Huthi-Politbüros. „Wir begegnen der Eskalation mit einer Gegeneskalation. Wenn Gott es will, werden wir die Aggression stoppen, die Feinde zurückschlagen und die Blockade brechen. Wir sind im Jemen gerade dabei, unsere Ölfelder zu erobern. Das wird der Befreiungsschlag.“

Die Ölfelder liegen im Norden des Jemen in der Region Marib. Dort tobt derzeit eine erbitterte Schlacht – die Stadt gilt als strategisch entscheidend. Marib ist die letzte Hochburg der Hadi-Regierung im Norden, ihr Verlust wäre eine herbe Niederlage. Seit Monaten steht die Stadt unter Dauerbeschuss, die saudische Allianz bombardiert aus der Luft. Leidtragende sind auch hier die Zivilisten:: Immer wieder müssen sie aus Flüchtlingslagern fliegen und weiterziehen, weil sich die Fronten verschieben.

UN vor „schwierigen Entscheidungen“

Und die Hilfsgelder der Vereinten Nationen sind in diesem Jahr deutlich weniger geworden. „Die Corona-Krise bedeutet, dass viele Länder nicht mehr die Mittel haben“, erklärt Rottenheimer. „Dieses Jahr haben die Vereinten Nationen nur 50 Prozent von dem erhalten, was wir benötigen. Und das bedeutet, dass wir sehr schwierige Entscheidungen fällen müssen, wem wir helfen können und wem wir nicht helfen können.“

Die Vereinten Nationen sprechen im Jemen von der größten humanitären Krise unserer Zeit. Ob die hungernden Kinder des Jemen irgendwann ihr Land wieder aufbauen können – derzeit gibt es dafür wenig Hoffnung.

Heute kündigte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) an, seine Hilfe für Notleidende in dem Bürgerkriegsland zu kürzen. Wegen fehlender Gelder würden ab Januar acht Millionen Menschen kleinere Lebensmittelrationen erhalten, so das WFP. Fünf Millionen Menschen sollten weiterhin die volle Ration bekommen. Diese seien unmittelbar bedroht, in eine Hungersnot abzurutschen. Ohne zusätzliche Hilfsgelder seien weitere Kürzungen bald unausweichlich. Die Lebensmittelvorräte des WFP seien gefährlich niedrig.

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