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Alle wollen in die großen Städte – Berlin, Leipzig, München, Hamburg. Nur zu Weihnachten kehren wir brav zurück in die „Provinz“ und feiern die Nostalgie. Aber warum konnten uns unsere Heimatstädte nicht halten?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber meine sozialen Medien sind voll mit den üblichen Driving Home For Christmas-Postings. Da wird dann wieder das gute Essen von Mutti kommentiert, das nicht vorhandene Handynetz im Heimatort – und schließlich folgt ein angeschickertes Foto aus der Kneipe, in der man als Abiturient ständig war. Mache ich ja auch. Morgen früh werden Sachen zusammengepackt und es geht heimwärts.
Aber in dieser ganzen gemütlichen Nostalgie frage ich mich: Warum sind wir eigentlich alle weggegangen? Ich meine: Auch unsere Eltern waren mal 20. Und auch mal 30. Und sie wohnen trotzdem (da kann ich jetzt natürlich nicht für euch alle sprechen) nicht in Hamburg, Berlin oder München. Sondern in diesen Städten, die die Band Fraktus einst in „All die armen Menschen“ so schön besang: „Offenbach, Birkenfeld, Thüringen, Rosenheim“ oder „Wilhelmshaven, Magdeburg, Norderstedt, Hildesheim“. Ich fahre nach Hildesheim. Ich wohne dort seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Auch aus meinem Freundeskreis sind alle inzwischen weggezogen.
Warum sind all meine Freunde und ich weggezogen?
Ich kann entsprechend nur im Fall Hildesheim sagen, was mich davon abhält, in die – einstige – Heimat zurückzukehren. Aber womöglich ist das für euch Herforder, Regensburger oder Goslarer ja ganz ähnlich? Das Wichtigste lässt sich wohl in drei Punkten zusammenfassen: Jobangebot, Infrastruktur und – was sagt man am besten? – Flair.
Und irgendwie hat das alles auch mit Stadtplanung zu tun. In Hildesheim gab es zuletzt zwei große Bauprojekte: Ein klotziges Einkaufscenter in der ohnehin schwächelnden Fußgängerzone, in dem bereits wieder ein Shop nach dem anderen schließt, und eine monströse Lagerhalle nach der anderen im Industriegebiet am Rande der Stadt. Das wird gefeiert als Schaffung neuer Arbeitsplätze – klar, aber die nahezu einzige Art von Arbeitsplätzen, die man in Städten wie Hildesheim so findet, sind somit im Einzelhandel oder als Lagerist.
Das ist wichtig, und für viele sicher eine super Sache, aber als 18-jähriger Abiturient ist das nicht das, worauf man sich sein Leben lang einlassen will. Und als Absolvent von Studiengängen wie Kulturpädagogik, Design oder Kreatives Schreiben, für die die Uni der Stadt einigermaßen bekannt ist, erst recht nicht. Da steht man dann nur vor der Wahl: Wegziehen oder wegziehen.
Das Potenzial der jungen, gut ausgebildeten Leute wird nicht genutzt
Dass die Stadtoberen nicht versuchen, diese jungen, gut ausgebildeten Menschen zu halten, ihnen Startangebote an die Hand zu geben, das werde ich nie verstehen. Stattdessen wird mit onkelhafter Selbstsicherheit an Grundsätzen festgehalten, die doch 1970 prima funktioniert haben. Da waren Industrie und Handwerk eben die einzigen ernstzunehmenden Berufsfelder. Aber das hat sich längst geändert.
Mein Heimatdorf hat vor Kurzem erst einigermaßen schnelles Internet bekommen. Und weder dort noch in der Hildesheimer Innenstadt habe ich vernünftigen Handyempfang. Die Verkehrsbetriebe bekommen es nicht hin, dass die Stadtbusse vom Hauptbahnhof in die Innenstadt leidlich passend zur Ankunft der S- und Regionalbahnen aus Hannover abfahren. In die umliegenden Dörfer kommt man mit den Öffis auch nur mit Glück und penibler Planung.
In Hamburg brauche ich kein Auto, auch während des Studiums im Ruhrgebiet brachte mich nachts um drei noch eine S-Bahn von Dortmund nach Duisburg. In Hildesheim ist das anders. Das alles klingt nach Kleinigkeiten, aber es ärgert mich so sehr. Es nimmt einem Freiheit. Es nimmt einem Möglichkeiten. Und man hat das permanente Gefühl, dass die Entscheidungsträger in Städten wie diesen noch nie anderswo waren. Noch nie erlebt haben, was die Großstädte anders machen.
Schaut doch, was echte Großstädte anders machen!
Klar haben Metropolen wie Berlin einen besonderen Glanz, den etwa Gütersloh nie nachahmen können wird. Aber in den Details können sich all diese dahinsiechenden kleinen Großstädte so viel abschauen von den echten Großstädten, die die jungen Menschen anziehen wie Magneten. Oder vielleicht einfach mal die Weggegangenen fragen, was ihnen wichtig ist. Warum sie nicht bleiben konnten. Was sie anderswo finden, das ihnen die Heimatstadt nicht bieten konnte. Und dann versuchen, daran zu arbeiten.
Es ist normal, schätze ich, dass man zum Studium, oder spätestestens danach, erst mal raus will. Für ein paar Jahre etwas anderes sehen. Einmal in die Großstadt, ein paar Jahre mitten im Getümmel sein. Aber ich höre gerade immer öfter in meinem Freundeskreis, dass einige gern wieder „nach Hause“ ziehen würden. Die Leute sind Anfang 30, haben vielleicht Lust auf Kinder, hätten gern die Eltern in der Nähe.
Und nicht zuletzt hat man seine verdammte Jugend in diesen Straßen verbracht, in den drei Kneipen und zwei Discos, in denen man jeden Abend die gleichen Leute traf. Hinter Frust, Nostalgie und Überheblichkeit ist da bei uns allen doch ziemlich viel Liebe, oder?
Manch einer würde gern zurück. Aber …
Aber auf die einmal kennengelernten Vorzüge großer Städte zu verzichten, um dann wochentags durch Innenstädte zu laufen, in denen ab 19 Uhr alle Lichter aus sind, ist schon sehr viel verlangt.Für mich ist eine Stadt wie Hamburg ideal. Ich bin mehr als glücklich, hier gelandet zu sein. Aber manchmal, besonders um Weihnachten herum, überkommt einen dann doch ein kleines bisschen – Heimweh.
Dieser Text erschien erstmals im Dezemer 2017 auf NEON.de.
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