Eigentlich wollte die britische Chemieprofessorin Clare Grey Ärztin werden. Aber dann fiel ihr auf, dass das vielleicht doch keine so gute Idee sei für jemanden wie sie, die »nicht gern mit Leuten spricht«. Also entschied sich Grey in einer schicksalhaften Nacht, »um 23 Uhr«, dafür, Chemikerin zu werden. Und die Chancen stehen gut, dass die Menschheit ihr eines Tages dafür danken wird.

Der Sinnlichkeitsgrad von Greys Forschungsgegenstand mag gegen null tendieren, doch dafür ist das Thema im Alltag für so gut wie jeden relevant: Die Forscherin beschäftigt sich mit Batterien und Akkus, wie sie in Handys, Notebooks oder E-Fahrzeugen als Stromquelle eingebaut sind. Erreicht sie ihr Ziel, würde dies das Leben von unzähligen Menschen sehr viel einfacher machen: »Ich will, dass man Akkus schneller aufladen kann. Und ich will, dass sie länger halten«, sagt Grey.

Große Erwartungen geweckt

Auf dem Weg dorthin hat sie bereits bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Aus diesem Grund hat ihr die Körber-Stiftung aus Hamburg nun den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2021 verliehen.

Mit einer Million Euro gehört die Ehrung zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen. Auch an ihrem Heimatcampus, der Universität Cambridge, ist man sich der Bedeutung dieser Auszeichnung offenbar bewusst: »Bis heute wurden sechs Gewinner des Körber-Preises später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet«, vermeldete die Universität auf ihrer Homepage.

Wer ist die Frau, die so große Erwartungen geweckt hat?

Wie so oft bei genialen Naturwissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Fall, scheut die 56-jährige Grey das Licht der Öffentlichkeit. In ihrer Freizeit spielt sie Cello und geht gern wandern. Als Chemikerin ist sie in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. Er arbeitete beim inzwischen zerschlagenen britischen Konzern Imperial Chemical Industries, der Lebensmittel, Duft- und Aromastoffe herstellte.

Warum gehen Batterien kaputt?

Ihre große Leistung als Wissenschaftlerin besteht darin, an dem Punkt weitergemacht zu haben, an dem die meisten Menschen entnervt sind – nämlich dann, wenn wieder mal eine Batterie oder ein Akku den Geist aufgegeben hat. Ihre Grundfrage ist ein Fall für »Die Sendung mit der Maus«: Was passiert eigentlich im Inneren dieser Dinger, und warum gehen sie überhaupt kaputt?

Grey hat einen Weg gefunden, um das Innenleben von Lithium-Ionen-Akkus zu durchleuchten, ohne diese dabei zu zerstören. Sie geht dabei ähnlich vor wie Ärzte, die ihre Patienten mit einem Kernspintomografen untersuchen. Im Labor in Cambridge beschießt sie die Energieträger mit Radiowellen. Dadurch geraten die Atomkerne in Schwingung, und es entsteht ein Bild. Die Methode nennt sich Nukleare Magnetresonanzspektroskopie (MRS).

Der größte Feind der Lebenszeit

Mit ihrer Hilfe kann Grey erkennen, wie die Atome in einer Batterie angeordnet sind – und daraus Rückschlüsse auf deren Zustand und Umgebung ziehen. So fand Grey heraus, dass die Atome in jedem Fall anders angeordnet sind und jeder Akku und jede Batterie dadurch eine eigene Signatur besitzt. Der größte Feind für die Lebenszeit der Akkus sind sogenannte Dendriten: haarfeine Ablagerungen, die bei jedem Ladevorgang entstehen und sich an der Elektrodenoberfläche bilden und festsetzen. Werden diese Kristallstrukturen zu groß, können sie Kurzschlüsse und damit letztlich auch Brände auslösen.

»Ich habe noch nichts erreicht«

Clare Grey hat nicht nur die anfälligen Lithium-Ionen-Akkus gründlich erforscht, sie ist auch an der Entwicklung neuartiger Lithium-Luft-Akkus beteiligt. Diese Energiespeicher sind noch nicht bis zur Marktreife vorgedrungen, doch sie sind ein gewaltiges Versprechen auf die Zukunft. Sie würden die zehnfache Energieleistung eines herkömmlichen anfälligen Lithium-Ionen-Akkus liefern und hätten dieselbe Energiedichte wie Benzin. »Das wäre der Durchbruch«, sagt Clare Grey. Doch der lässt noch auf sich warten, und die Chemikerin räumt ein: »Ich habe noch nichts erreicht.«

Das ist aber dann vielleicht doch zu viel des britischen Understatements für eine Wissenschaftlerin, die als jüngste Leiterin des Instituts für Anorganische Chemie an der Cambridge-Universität in die Geschichte eingegangen ist.

Sie selbst würde vielleicht sagen, dass ihr der größte Fund bisher im Privaten geglückt ist: Das war, als sie in einem Laden für Antiquitäten ein kostbares Cello aus dem 18. Jahrhundert entdeckte, das für den Spottpreis von 50 britischen Pfund (knapp 60 Euro) zu haben war.

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