In Italien soll mit den heutigen Lockerungen wieder ein kleines Stück Alltag ins Leben der Menschen zurückkehren. Doch vielen reicht das nicht – und manche neue Regel erscheint wenig praktikabel.

Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom

Auf diesen Tag freut sich Davide aus Montesacro, einem kleinbürgerlichen Stadtteil im Norden Roms, seit fast zwei Monaten. „Das Gefühl ist, wieder in Freiheit zu kommen“, sagt er. „Eine Freiheit, die uns seit Wochen verwehrt war.“ Wieder die Freiheit zu genießen, fühle sich schön an.

Nach 55 Tagen, in denen er vor allem zum Müllrausbringen und zum Einkaufen nach draußen ging, darf der 41 Jahre alte Karosseriebauer seit heute zum Beispiel wieder spaziergehen – soweit er möchte und nicht mehr nur in maximal 200 Meter Entfernung von seiner Wohnung.

„Das ist das Allerschönste“

Am meisten aber freut sich Davide darüber, dass auch sein vierjähriger Sohn Gioele die eigenen vier Wände wieder verlassen darf. „Das ist das Allerschönste“, sagt er. Ein Kind zwei Monate lang im Haus zu halten, sei vielleicht das Schwierigste in dieser Zeit gewesen. „Jetzt wieder raus zu dürfen, auch wenn wir uns von anderen fernhalten müssen, ist wunderbar. Ich freue mich darauf, wieder unter Bäumen zu sein, in diesem wunderschönen römischen Frühling.“

Zumindest ein kleines Stück Alltag gibt die Regierung den Menschen in Italien zurück. Auch wenn der Schritt aus dem Lockdown sehr vorsichtig ausfällt: Spaziergänge ja, aber nur alleine oder mit jemandem, mit dem man zusammenwohnt. Kinder dürfen wieder raus, allerdings nur ein Elternteil darf dabei sein. Freunde zu treffen, bleibt untersagt. Enge Angehörige dürfen wieder besucht werden, aber nur einzeln.

Liebespaare – nur mit Maske

Liebespaare dürfen wieder zusammenkommen. Aber auch für sie gilt: Sie müssen ein Meter Sicherheitsabstand halten und eine Atemschutzmaske tragen – so schreibt es das Regierungsdekret vor. Gesetzliche Direktiven, die etwas weltfremd erscheinen, aber den Menschen signalisieren sollen: Bleibt wachsam, Distanzhalten bleibt die Königsregel auch in der heute beginnenden sogenannten Phase zwei im Umgang mit der Coronakrise in Italien.

Ministerpräsident Giuseppe Conte betont: „Entscheidend wird das verantwortungsbewusste Verhalten von jedem von uns sein. Wenn Dir Italien am Herzen liegt, musst Du das Risiko vermeiden, dass sich die Ansteckung ausbreitet.“

Kritik der Gastronomie

Kritik am sehr vorsichtigen Ausstieg aus dem Lockdown in Italien kommt unter anderem von den Gastronomen. Restaurants, Cafés und Bars wird ab heute nur der Außer-Haus-Verkauf zum Mitnehmen erlaubt. Gäste sollen sie erst in vier Wochen wieder empfangen dürfen.

Auch Friseure und Kosmetiksalons bleiben bis Anfang Juni geschlossen. Dagegen hatte es in den vergangenen Tagen heftige Proteste gegeben. Friseure ketteten sich an, mehr als 2000 Gastronomen gaben symbolisch die Schlüssel ihrer Betriebe in den Rathäusern ab. Conte aber sagt: „Die Regierung kann keine sofortige Rückkehr zur Normalität des Lebens vorher garantieren. Wir würden das gerne tun, aber wir müssen uns bewusst sein, dass das Virus in unserer Gemeinschaft weiter zirkuliert.“

Vorsichtiger Kurs

Auch die positive Entwicklung der vergangenen Tage hat die Regierung nicht von ihrem vorsichtigen Kurs abbringen lassen. Zahlreiche Covid-19-Intensivstationen konnten schließen, die Ansteckungsrat liegt in ganz Italien unter eins, in einigen Regionen sogar deutlich. Dennoch will die Regierung die Schulen und Kindergärten erst im September wieder öffnen.

Für Karosseriebauer Davide, der ab heute auch wieder arbeiten darf, ist ein Problem die Kinderbetreuung. „Bis September können wir uns zum Glück auf unsere Nachbarin stützen, die sich um unseren Sohn kümmert, weil auch meine Frau wieder mit der Arbeit beginnt. Nachbarn, Freunde – die Gesellschaft hilft sich gegenseitig.“

Eine Rückkehr fast zur Normalität ist für die Industrie in Italien: Fast alle Produktionsbetriebe nehmen heute ihre Arbeit wieder auf. Knapp 4,5 Millionen Menschen in Italien kehren an ihren Arbeitsplatz zurück. Auch dort sind Distanzhalten und Atemschutzmasken Pflicht.

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. Mai 2020 um 04:49 Uhr.

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