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Stand: 17.08.2021 16:22 Uhr
Für Millionen junge Menschen ist die Bundestagswahl eine Zäsur: Sie kennen keine Welt ohne Kanzlerin Merkel. Wie tickt diese Generation, welche Sorgen hat sie und welche Wünsche? Ein Annäherungsversuch.
„Generation Merkel“, „Generation Greta“, „Generation Z“ – für die Erst- und Jungwählerinnen und -wähler, die bei der diesjährigen Bundestagswahl ihre Stimme abgeben können, kursieren viele Bezeichnungen. Es ist die erste Generation, die mit Smartphone und Digitalisierung groß geworden ist – immer online, immer erreichbar. Herangewachsen in einer hektischen Welt, in der es viele Möglichkeiten gibt – und wenig Zeit, in Ruhe zu entscheiden.
Erwachsen geworden sind sie in Jahrzehnten vieler Krisen – von den Terroranschlägen des 11. September über Finanz-, Migrations- und Klimakrise bis hin zur Corona-Pandemie. Wie ticken diese jungen Menschen, die in einer derart turbulenten Zeit ihre Jugend verbracht haben und nun mitentscheiden können, wer das Land in den kommenden vier Jahren regiert?
Generation Y und Z – wer ist das eigentlich?
Die Generation Y bezeichnet junge Menschen, die zwischen 1980 und 1994 geboren wurden. Angehörige dieser Generation haben die prägendsten Jahre für ihre Verhaltensweise und damit auch ihre Art zu kommunizieren, noch ohne Smartphone erlebt. Der Generation Z gehören Menschen an, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden. Prägend für diese Generation ist, dass sie die erste ist, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist. In der Wissenschaft ist die Relevanz von Generationenbezeichnungen durchaus umstritten. Anerkannt dagegen ist, dass es Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen gibt.
„Spaß, Sinn und Sicherheit“
„Wenn ich die Generation Z auf drei Begriffe runterbrechen müsste, wären es Spaß, Sinn und Sicherheit“, sagt Simon Schnetzer. Er ist Jugendforscher und Autor der Studie „Junge Deutsche“, in der er die Lebenswelten junger Menschen analysiert.
„Spaß ist das, was die Menschen grundsätzlich motiviert“, sagt er. Genauso wichtig sei vielen Jugendlichen aber die Sinnhaftigkeit ihres Handelns. „Die jungen Menschen fragen sich bei allem, was sie tun, viel mehr als die Generationen davor, was ihr Beitrag zur Gesellschaft ist und welche Auswirkungen ihre Handlungen im größeren Kontext auf die Gesellschaft haben.“
Und in Zeiten der quasi permanenten Krise – wie derzeit durch Corona – sehnten sich junge Menschen zudem nach Sicherheit für ihre Zukunft. „Sie wissen nicht, wie sie die nächste Schulprüfung schreiben, ob sie einen Ausbildungsplatz bekommen, einen Job im Ausland annehmen können oder wie ihr erstes Uni-Semester aussieht“, sagt Schnetzer.
Keine einheitliche Generation
„Generation Krise“ also? Zwar prägten politische, ökonomische und gesellschaftliche Krisen schon seit geraumer Zeit die Lebenswelt vieler Jugendlicher, sagt auch Björn Milbradt vom Deutschen Jungendinstitut (DJI). Dennoch sei es schwer, die Jugendlichen als eine einheitliche Generation zu verstehen. „Mit ‚Generation Merkel‘ oder ‚Generation Greta‘ suggeriert man, dass alle Jugendlichen die gleichen Haltungen hätten oder von den gleichen Bedingungen geprägt seien.“ Es gebe aber auch viele Jugendliche, die mit Frau Merkel oder der Umweltbewegung Fridays for Future nichts anfangen könnten.
Dennoch – und da sind sich beide Experten einig – ist die Umweltkrise ein Megathema bei den Jugendlichen. „Mit dem Klimawandel ist vielen jungen Menschen verstärkt bewusst geworden, dass die politischen Entscheidungen in diesem Bereich ihr Leben ganz massiv beeinflussen werden“, sagt Milbradt. „Erst in der Klimakrise hat diese Generation erkannt, dass dieses Problem sie alle betrifft und dass die Politik es ist, die dieses globale Problem in den Griff bekommen muss“, sagt auch Jugendforscher Schnetzer.
Die zunehmende Bedeutung dieses Themas spiegelt sich auch in der aktuellsten Shell Jugendstudie von 2019 wider, laut der 71 Prozent der jungen Menschen am meisten Angst vor Umweltzerstörung haben. In den Shell-Studien von 2015 und 2010 spielten Umweltthemen noch keine herausragende Rolle. Damals dominierten wirtschaftliche Sorgen wie Arbeitsplatzverlust oder soziale Ungerechtigkeit sowie die Angst vor Terror und Krieg.
Erst- und Jungwählende bei der Bundestagswahl 2021
Bei der Bundestagswahl 2021 sind rund 5,1 Millionen Jungwählende, also Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren zur Wahl aufgerufen, davon sind 2,8 Millionen Erstwählende. Betrachtet man die Wählergruppe der unter 30-Jährigen kommt man auf 6,7 Millionen Wahlberechtigte. Insgesamt sind bei der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag etwa 60,4 Millionen Deutsche wahlberechtigt.
(Quelle: Bundeswahlleiter)
„Klimawandel hat die Jugend stärker politisiert“
Mit der steigenden Relevanz von Umwelthemen hat sich auch das politische Interesse der jungen Menschen gewandelt. Laut der Shell-Studie von 2019 bezeichnen sich 41 Prozent der Jugendlichen als „politisch interessiert“ – 2010 waren es 37 Prozent. Zwar bleibt dieser Wert damit auf einem ähnlichen Niveau, aber der Anteil derer, die es wichtig finden, sich persönlich politisch zu engagieren, steigt stark an: Von 23 Prozent im Jahr 2010 auf 34 Prozent 2019.
Einer der wichtigsten Punkte, um Menschen für Politik zu begeistern, sei die „Selbstwirksamkeit“, sagt auch Jugendforscher Schnetzer. Gemeint ist damit das Gefühl, Dinge mit dem eigenen Handeln verändern zu können. „Genau dieses Gefühl haben die jungen Menschen mit den Protesten von Fridays for Future erlebt und das hat sie stärker politisiert.“
Junge Menschen nehmen an einer Klimademonstration von Fridays for Future teil. Bild: dpa
Kaum Vertrauen in politische Parteien
Großes Vertrauen in die Parteien haben sie dabei aber offenbar nicht. Zwar sind 77 Prozent der Jugendlichen laut der Shell-Befragung mit der Demokratie in Deutschland zufrieden, deutlich mehr als etwa noch 2010 (64 Prozent). Gleichzeitig glauben aber 71 Prozent von ihnen nicht, dass sich „Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken“.
Die Politik habe in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verspielt, sagt Experte Schnetzer. „Weniger durch inhaltliche Arbeit, sondern dadurch, andere Interessen höher zu stellen, statt auch den jüngeren Menschen zuzuhören“ Dies gelte insbesondere für die Klima- und die Corona-Politik.
Teilweise offen für populistische Positionen
Diese Unzufriedenheit macht einige junge Menschen offenbar auch anfälliger für populistische Positionen. In der Shell-Studie wurden sie hinsichtlich ihrer Zustimmung zu bewusst populistisch zugespitzten Aussagen befragt – etwa ob sie neben einer geflüchteten Familie wohnen wollten. Das Ergebnis: Laut der Studie sind 39 Prozent der Jugendlichen eher weltoffen orientiert. Allerdings werden auch immerhin 33 Prozent als populistisch orientiert eingestuft. Ihr Anteil ist unter Jugendlichen mit niedrigem Bildungsgrad größer als unter den höher gebildeten.
Nicht zuletzt die Wahl in Sachsen-Anhalt hat gezeigt, wie sich das auch im Abstimmungsverhalten junger Menschen niederschlagen kann. Einerseits haben dort die Grünen in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen zwar besonders viele Stimmen bekommen. Andererseits aber war in dieser Altersgruppe die AfD mit 17 Prozent Stimmenanteil zweitstärkste Kraft – nur knapp hinter der CDU.
Einige haben ganz andere Probleme als die Umwelt
Also doch keine „Generation Greta“? Zumindest differenziert sich an diesem Punkt das Bild der „grünen“ Generation aus. Denn bei Jugendlichen aus sozial schwächeren Milieus mit einem geringeren Bildungsabschluss nimmt die Relevanz des Klimawandels ab, während die Bedeutung von sozialer Sicherheit und ökonomischer Entwicklung wichtiger wird, sagt Jugendforscher Milbradt.
„Zugespitzt formuliert ist es sehr luxuriös, sich über den Klimawandel Gedanken zu machen, wenn man in einer strukturschwachen Region wohnt, in der gerade die letzte Buslinie abgeschafft oder der letzte Jugendclub geschlossen wurde“, so Milbradt. Dort habe man als Jugendlicher ganz andere Probleme.
Das Erbe von Kanzlerin Merkel
Und wie sehr hat Kanzlerin Merkel diese Generation geprägt? Milbradt kann sich vorstellen, dass Merkels bedächtiger, an der Wissenschaft orientierter Politikstil „in Kombination mit den Krisen, teilweise auch die Sicht von jungen Menschen auf Politik und Gesellschaft beeinflusst hat.“
Viele junge Menschen fänden den Umstand, dass Merkel so nüchtern und stetig regiert, sehr gut, sagt auch Schnetzer. „Viele von ihnen denken sehr sozial und europäisch, und halten Merkel ihre Haltung zur Einwanderung mit Blick auf die Entscheidung im Jahr 2015 Tausende Flüchtlinge aufzunehmen noch immer zugute.“
Eine Generation, die gehört werden will
Am Ende also doch eine „Generation Merkel“? Wie man sie nennt, dürfte für die Wahl nicht entscheidend sein. Sicher ist aber, dass die Erst- und Jungwähler, die in diesem Jahr abstimmen, einer Generation angehören, die politisch sehr engagiert, informiert und aufgeklärt ist. Eine Generation, die gelernt hat, sich Gehör zu verschaffen und für ihre Interessen einzutreten, bereit zum demokratischen Dialog – sofern man ihnen zuhört.
Wenn nicht, werde diese Generation früher oder später aufbegehren, sagt Jugendforscher Schnetzer. Die Corona-Krise habe vielen einen Teil ihrer Jugend genommen. „Und das ist etwas, was sie der Politik ankreiden.“
Die Klimakrise könnte ihnen sogar ihre Zukunft rauben.
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