Stand: 03.05.2021 01:36 Uhr

Der Schock über die Katastrophe mit 45 Toten am Berg Meron sitzt tief. Bei der Suche nach den Verantwortlichen rückt auch der Einfluss ultra-orthodoxer Politiker in den Fokus.

Von Benjamin Hammer, ARD-Studio Tel Aviv

Am Wochenende tauchte ein neues Video auf. Es wurde genau an der Stelle gemacht, wo sich das Unglück ereignete. Von einer Seite drängen Menschen in einen schmalen Korridor. Polizisten machen Handbewegungen, dass sie in die andere Richtung laufen sollen. Aber das können sie nicht. Das Video zeigt jene Menschen, die noch stehen. Den Todeskampf der Menschen auf dem Boden zeigt es nicht.

Benjamin Hammer
Benjamin Hammer ARD-Studio Tel Aviv @HammerARD

45 Menschen wurden beim größten zivilen Unglück in der Geschichte Israels getötet. Das jüngste Opfer heißt Yehoshua. Der ultra-orthodoxe Junge war neun Jahre alt. Auch sein Bruder kam ums Leben. Und auch wenn in Israel an vielen Stellen stilles Gedenken herrscht – die Frage, wer für die Katastrophe verantwortlich ist, wird immer lauter.

Zwei Stunden vor dem Unglück während der Feierlichkeiten am Berg Meron interviewte ein Mitarbeiter des Religionsministeriums den Rabbiner Yossi Schwinger. Der leitet eine Regierungsbehörde für Heilige Stätten. Und was Schwinger da vor dem Unglück sagte, zeigt, dass sich viele über die Gefahren vor Ort bewusst waren: „Auch wenn es sich jetzt komisch oder banal anhört, bin ich ehrlich gesagt froh, dass das Fest bald vorbei ist. Denn wir sind die ganze Zeit angespannt, in der Hoffnung, dass alle Vorkehrungen funktionieren und dass alles reibungslos abläuft.“

Aufseher hatten vor Gefahren gewarnt

Zur Erinnerung: Dies sagte der Behördenchef vor dem Unglück. „Dass sich kein Junge irgendeiner Mutter, Gott behüte in Erstickungsgefahr befindet, weil er in der Menschenmenge gequetscht oder eingeengt wird.“

Ultra-orthodoxe Juden trauern am Unglücksort am Berg Meron. Sie haben mit Kerzen die Zahl 45 gelegt – so viele Menschen kamen bei der Massenpanik ums Leben. Bild: REUTERS

Wenig später kam es zur Katastrophe – einer Katastrophe, vor der ein staatlicher Aufseher bereits vor 13 Jahren gewarnt hatte. Es gebe nicht genügend Fluchtwege für die Mengen auf dem Gelände am Berg Meron, schrieb er. Doch es geschah nichts. In diesem Jahr sollte die Zahl der Gläubigen wegen der Corona-Pandemie auf 10.000 begrenzt werden. Am Ende kamen mehr als 100.000.

Laut israelischen Medien hatte sich Innenminister Aryeh Deri von der ultra-orthodoxen Schas-Partei dafür eingesetzt, alle Gläubigen auf das Gelände zu lassen. Und Amir Ohana, Minister für öffentliche Sicherheit von der Likud-Partei von Benjamin Netanyahu, erfüllte ihm diesen Wunsch.

Rechtsfreie Räume

Ohana war Stunden vor der Katastrophe vor Ort. Er sah, wie voll es war. In israelischen Medien ist in diesen Tagen von einer Autonomie der Ultra-Orthodoxen die Rede. Der Staat schaue weg. Und Netanyahu, der wegen Korruption angeklagte Premier, unternehme nichts gegen die rechtsfreien Räume, weil er auf die ultra-orthodoxen Parteien angewiesen sei.

So sieht es auch Gilad Malach vom israelischen Institut für Demokratie: „Die Vorgaben in einem Stadion oder auf einem Rockfestival wären viel strenger gewesen. Dass der Staat mit zweierlei Maß misst, haben wir bereits in Sachen Corona gesehen. Am Berg Meron sehen wir nun leider die Folgen dieser Haltung. Falls es eine Untersuchungskommission gibt, hoffe ich, dass es nicht nur um die Katastrophe geht, sondern auch um die übergeordneten Fragen.“

In Israel herrschen Trauer und Wut – nicht nur bei den ultra-orthodoxen Juden.  Das Unglück vom Meron hat, das ist eine positive Nachricht dieser Tage, die gesellschaftlichen Gräben des Landes aber etwas verkleinert. Im säkularen Tel Aviv spendeten die Menschen Blut für ihre ultra-orthodoxen Mitmenschen. Und israelische Araber im Norden des Landes versorgten die Ultra-Orthodoxen mit Lebensmitteln.

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