Mehrere Provinzräte bestätigten vorherige Angaben der Taliban, dass die Stadt Kundus inzwischen von den Islamisten kontrolliert wird. Die Aufständischen hätten alle wichtigen Regierungseinrichtungen in der Stadt eingenommen, mit Ausnahme des Stützpunktes der Armee und des Flughafens. Hochrangige Beamte und Sicherheitskräfte hätten sich in Richtung Flughafen zurückgezogen.

Kundus brennt

Afghanische Streitkräfte und radikalislamische Taliban liefern sich den Angaben zufolge weiter heftige Gefechte im Zentrum der nördlichen Provinzhauptstadt. In vielen Teilen der Stadt gebe es Straßenkämpfe, sagte ein Mitglied des Provinzrats der Nachrichtenagentur AFP: „Die Stadt brennt.“ Ein Sprecher der afghanischen Sicherheitskräfte teilte mit, die Soldaten bemühten sich, die Stadt mit ihren rund 370.000 Menschen zu verteidigen. Kundus wird seit Wochen von den Taliban belagert. Bislang waren jedoch nur Kämpfe am Stadtrand gemeldet worden.

Während des Krieges in Afghanistan war die Bundeswehr rund ein Jahrzehnt lang in Kundus stationiert. Von 2003 bis 2013 überwachten deutsche Soldaten vom Feldlager Kundus aus die Sicherheit im Norden des Landes. Die Stadt gilt als strategisch wichtig, weil sie am Zugang zu den an Rohstoffen reichen Provinzen im Norden des Landes und in Zentralasien liegt.

Auch Sar-i-Pl und Talokan gehen an die Taliban

Mit Sar-i Pul in der gleichnamigen Provinz fiel zudem eine vierte Provinzhauptstadt an die Islamisten, wie Provinzräte der Deutschen Presse-Agentur bestätigten. Die Taliban hätten die wichtigsten Regierungsgebäude der Stadt unter Kontrolle. Alle Vertreter der Regierung hätten sich in eine Militärbasis rund einen Kilometer vom Zentrum zurückgezogen. Die Regionalregierung halte in der Provinz nur noch den Bezirk Balchab.

Stunden später eroberten Taliban-Einheiten dann Talokan, die Hauptstadt der Provinz Tachar im Nordosten des Landes. Die staatlichen Sicherheitskräfte hätten sich aus der Stadt zurückgezogen, „nachdem die Regierung keine Hilfe geschickt hat“, sagte ein Militär-Mitglied der Nachrichtenagentur AFP. Ein Einwohner berichtete, Beamte und Sicherheitskräfte hätten die Stadt in langen Fahrzeugkonvois verlassen.

Der Vormarsch der radikalislamischen Miliz im Norden Afghanistans könnte sich als Wendepunkt im Kampf mit den Regierungsstreitkräften erweisen. Der Norden galt lange als Hochburg des Widerstands gegen die Islamisten. Die Region ist Heimat mehrerer Milizen und für die afghanische Armee wichtiges Rekrutierungsgebiet.

Afghanistan Symbolbild Vormarsch der Taliban Kunduz

Auf verlorenem Posten – afghanische Soldaten in der Nähe von Kundus bei Kämpfen im Juli

Die afghanischen Streitkräfte kämpfen seit dem Beginn des Abzugs der US- und NATO-Truppen Anfang Mai an zahlreichen Fronten gegen die Taliban. Die radikalislamische Miliz kontrolliert bereits weite Teile der ländlichen Regionen und verstärkt nun den Druck auf Provinzhauptstädte. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge.

Am Freitag war die kleine Provinzhauptstadt Sarandsch in Nimrus an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen. Es war die erste Provinzhauptstadt seit 2016, die die Taliban einnehmen konnten. Am Samstag folgte die Stadt Schiberghan in Dschausdschan im Norden, Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und Ex-Vizepräsidenten Abdul Raschid Dostum, eine führende Anti-Taliban-Figur.

Unter Druck stehen auch Provinzhauptstädte wie Herat nahe der Grenze zum Iran sowie Laschkar Gah und Kandahar im Süden.

Karte Taliban erobern Provinhauptstädte in Afghanistan DE

qu/haz/mak/kle (afp, dpa, rtr)

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