Die neue Zeit beginnt für das SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der ungeliebten großen Koalition mit ganz alten Rezepten für eine wohlig-warme Weihnachtszeit. CSU-Chef Markus Söder hat am Donnerstag zum mit Spannung erwarteten Kennenlerntreffen der vier Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD drei Schachteln Original Nürnberger Lebkuchen aus seiner Heimatstadt mitgebracht. Die neuen SPD-Chefs revanchieren sich mit Ingwertee – der ist bekannt dafür, dass er von innen wärmt.
Noch klingen die Worte von Esken nach ihrer Wahl auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember nach: „Wir sind Aufbruch, wir gehen in Richtung der neuen Zeit.“ Doch was heißt das – übersetzt in Regierungshandeln mit der Union? Gelingt es der Koalition nach den Turbulenzen und Zerreißproben des Jahres, sich 2020 noch einmal zu einem gemeinsamen Kurs aufzumachen? Oder zerbricht das Bündnis?
Zum 45-minütigen Speeddating – dem ersten Kennenlerntreffen von Esken und Walter-Borjans mit CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Söder – haben sich die vier von der GroKo noch auf neutralem Boden verabredet: in der Parlamentarischen Gesellschaft. Dort sind Ende 2017 die später geplatzten legendären Jamaika-Koalitionsverhandlungen von Union, FDP und Grünen geführt worden.
Söder frotzelt beim Eintreffen trocken: „Wir wollen ja vor Weihnachten einen guten Eindruck hinterlassen. Was könnte besser sein als Lebkuchen.“ Damit tatsächlich auch jeder den Hintersinn versteht, setzt er hinterher: „Ein paar schwarze Lebkuchen in roter Tüte – ich meine, das ist ein gutes Omen.“ Aber Söder sagt auch, er rechne nicht mit Festlegungen im Koalitionsausschuss.
Gegen 20.15 Uhr, zum Ende der sich anschließenden ersten Beratungen des Koalitionsausschusses mit dem GroKo-kritischen SPD-Duo Esken und Walter-Borjans, gibt es dann wie erwartet tatsächlich keine greifbaren inhaltlichen Ergebnisse. Die Runde habe ganz allgemein diskutiert, heißt es von Teilnehmern des rund 90-minütigen Treffens hinterher, nach dem Motto: Was steht überhaupt an? Über Außenpolitik sei gesprochen worden, über einen möglichen Autogipfel und solche Themen.
Auf ein gemeinsames Statement vor den Kameras kann sich die Runde nicht einigen. Zu viel Nähe zu den beiden neuen Vorsitzenden der Sozialdemokraten, die noch vor dem SPD-Parteitag gern den Eindruck erweckt hatten, sie würden lieber heute als morgen aus der großen Koalition aussteigen, wollen die Unions-Spitzenleute an diesem Abend vor dem Kanzleramt dann wohl doch nicht zeigen.
Passend dazu sagt Söder schon beim Eintreffen zum vorherigen Kennenlerngespräch auf die Frage, ob er noch Risiken für den Fortbestand der großen Koalition sehe: „Zu glauben, dass diese große Koalition jetzt schon in trockenen Tüchern wäre – das glaube ich nicht. Da muss noch hart gearbeitet werden. Weniger an einzelnen Sachfragen als vielmehr an der inneren Bereitschaft, erfolgreich zu sein.“
Das ist natürlich ganz klar auf die Sozialdemokraten gemünzt.
Und auch ein eindeutiges Stoppsignal in Richtung SPD hat der Bayer mit nach Berlin gebracht: Die Union werde die Schuldenbremse im Grundgesetz – wie von der SPD ins Gespräch gebracht – ganz sicher nicht aufgeben. „Denn das würde eine neue Euro- und Finanzkrise in Europa auslösen, von der Deutschland betroffen wäre.“
Die Aufgaben für die Koalition sind im kommenden Jahr enorm. Bis Ende Januar will der britische Premierminister Boris Johnson sein Land aus der EU führen. Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Rechtzeitig muss dafür das Arbeitsprogramm festgezurrt sein. Als erster Kontinent will Europa bis 2050 klimaneutral sein – mithilfe riesiger Investitionen. Muss Deutschland mehr beitragen?
Fast überschaubar erscheinen da die innenpolitischen Vorhaben. Beispiel Kohle: Bis spätestens 2038 soll Deutschland aus der klimaschädlichen Kohleverstromung aussteigen. So hat es eine Regierungskommission empfohlen. Das Gesetz von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wurde auf Anfang 2020 verschoben – bis wann, wo und unter welchen Bedingungen werden Kraftwerke stillgelegt?
Beispiel Rente: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will den Kompromiss zur Grundrente umsetzen. Im März soll die Rentenkommission Vorschläge für die künftige Altersvorsorge machen. Droht Grundsatzstreit über Steuermilliarden, Beiträge und das Rentenalter? Beispiel Pflege: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will im ersten Halbjahr 2020 Vorschläge zur künftigen Finanzierung der Pflege machen. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Am Ende der Koalitionsrunde vom Donnerstagabend, bevor Merkel und Söder zum sogenannten Kamingespräch mit den Ministerpräsidenten vor der letzten Sitzung des Bundesrats in diesem Jahr am Freitag eilen, verschicken die so oft zerstrittenen Koalitionäre lediglich ein dürres Drei-Satz-Statement.
„Der Koalitionsausschuss hat sich in guter Gesprächsatmosphäre über die anstehenden innen- und außenpolitischen Fragen ausgetauscht“, heißt es darin. „Es wurde vereinbart, dass der Koalitionsausschuss sich regelmäßig trifft. Das nächste Treffen ist für Ende Januar geplant.“
Das klingt kühl und nicht gerade nach neuer vorweihnachtlicher Harmonie. Und auch nicht so, als ob in der Koalition nun die neue Zeit anbricht.
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