Der ARD-Dopingredaktion liegen Chat-Auszüge von Sportlern und dem Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt vor. Außerdem neu: Zwei weitere Deutsche waren Teil des Doping-Netzwerks. DOSB-Chef Hörmann fordert bereits „drakonische Strafen“.

Von Hajo Seppelt, Josef Opfermann, Shea Westhoff, Jörg Winterfeldt und Wigbert Löer

Sie sprechen über Bezahlung („Geld mitbringen wäre sicherlich ideal“) und über drohende Dopingproben („gar kein Problem mit Kontrolle“). Sie benennen Treffpunkte („A3 Tankstelle Medenbach“) und den Stand bei der Beschaffung neuer Dopingmittel („leider noch keine Rückmeldung aus der Schweiz“). Bei all dem nutzen sie Mobiltelefone mit slowenischen SIM-Karten. Und glauben, dass ihre Kommunikation geheim bleibt.

Auszüge aus SMS-Chats, die der ARD-Dopingredaktion vorliegen, zeigen den Alltag des Betrügernetzwerks um den deutschen Sportarzt Mark Schmidt. Athleten aus ganz Europa arbeiteten mit dem Mediziner aus Erfurt zusammen, über Jahre und mitunter auf Empfehlung. Vor der ersten Doping-Behandlung musste sich der Doktor schon mal selbst beschreiben: „I’m  the Guy with the coolingbox“, ich bin der Typ mit der Kühlbox, textete er einem Athleten, mit dem er sich auf einem Autobahnrasthof in Bayern verabredet hatte.

Anklage auch wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung

Gegen Mark Schmidt hat die Staatsanwaltschaft München I vergangene Woche Anklage erhoben. Die Strafverfolger werfen dem Sportarzt und seinen vier Helfern „gewerbsmäßige und teilweise bandenmäßige Anwendung verbotener Dopingmethoden“, bzw. die Beihilfe hierzu vor. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Doping klagt Schmidt zudem wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung an. Das Gericht muss die Anklage noch zulassen.

Der Arzt aus Thüringen, gegen den aufgrund der Enthüllungen der ARD-Dopingredaktion im Januar 2019 ermittelt wurde, erfuhr von der Anklage in Untersuchungshaft. Schmidt sitzt inzwischen nicht mehr in München-Stadelheim, sondern im Norden Bayerns ein. Gewechselt hat er auch den Rechtsbeistand. Sein neuer Anwalt Juri Goldstein teilte auf ARD-Anfrage mit, ihm sei die Anklageschrift erst am Donnerstag zugegangen. Bevor er sie geprüft und sich mit seinem Mandanten beraten habe, wolle er nichts dazu sagen.

Halbe und ganze Blutbeutel

Die jahrelange Anwendung verbotener Substanzen durch Spitzensportler, die auch aus den SMS-Chats hervorgeht, erforderte von Mark Schmidt hohen Einsatz und genaue Abstimmung mit den Sportlern. Wann und wo traf man sich? Wie erreichte man den Ort? Wie hoch waren die Medikamente zu dosieren, etwa das von Schmidt beschaffte TB 500, eine Art Wachstumshormon, das allerdings nicht einmal als Arzneimittel zugelassen war? Vor allem das Blutdoping erforderte logistische Kompetenz und frühzeitige Absprachen.

„Ist dein Gefühl besser?“, erkundigte sich Schmidt bei einem Sportler, mit dem er sich auf Englisch austauschte. „Und wie sieht es mit den Beinen aus? Weil, komme ich dann mit einem Halben oder mit einem Ganzen?“ Schmidt meinte damit den Blutbeutel, dessen Inhalt er dem Athleten vor dem Wettkampf wieder zuführen wollte. „Ich bin okay“, antwortete der Sportler, „ohne ersichtliche Probleme, es ist vergangen.“ Damit war für Schmidt Blutdoping auch in großer Menge möglich. „Perfekt“, textete er, „dann komme ich mit dem großen. Wir sehen uns morgen“.

Vollgepumpt auf den Langstreckenflug

Manchen Sportlern führte der Arzt aus Erfurt das Blut vor dem Wettkampf zu und entzog es ihren Körpern gleich danach auch wieder. Schmidt nahm das abgenommene Blut dann mit nach Erfurt, lagerte es in einem Spezialkühlschrank und war beim nächsten Start des angezapften Athleten wieder vor Ort.

Seine Sportler betrieben ihre Disziplinen auf dem ganzen Erdball – bis nach Hawaii reisten Schmidt oder einer seiner Helfer, ebenso nach Kalifornien oder auch und kreuz und quer durch Europa. 2018 mussten einige seiner Kunden zu den Olympischen Winterspielen nach Südkorea. Auf Blutdoping zur Leistungssteigerung wollten sie beim Kampf um Medaillen nicht verzichten. Schmidt allerdings konnte sich schwerlich mit mobilem Kühlschrank voller Blutbeutel in den Flieger nach Fernost setzen. Das Dopingnetzwerk fand eine andere Lösung: Der Athlet selbst sollte das benötigte Blut transportieren, in seinem Körper, als eine Art lebendige Blutkonserve. Dafür wurde es ihm vor Abflug in etwa 15 Minuten mit dicker Nadel in den Körper injiziert.

Das Ganze fand in Frankfurt statt, nicht weit vom Flughafen, und die Sportler traten den Langstreckenflug anschließend mit viel zu viel Blut im Körper an. Sie riskierten ihre Gesundheit. In Südkorea wurde ihnen die zugeführte Menge dann nach der Landung entnommen und wiederum kurz vor dem Wettkampf erneut zugeführt.

Wachstumshormon für 2.400 Euro

Derlei Prozeduren fielen nicht weiter auf, und es ließ sich auch kein Athlet mit Dopingmitteln erwischen, die er von Mark Schmidt oder einem seiner Helfer erhielt. Dass Schmidts Sportler reichlich verbotene Substanzen einnahmen, belegen Zeugenaussagen und auch die SMS-Chats. Dabei lief es allerdings nicht immer so rund, wie es sich Arzt und Athlet wünschten. Zum Wachstumshormon TB 500 etwa schrieb Schmidt einem Kunden, dieser benötige davon „ungefähr 300 mg für 3 Monate“. Der Doktor nannte auch gleich den Preis:  „300 mg kosten 2.400 Euro. Wieviel willst du dann und kläre mal ab, bis wann ich das haben kann.“

Der Sportler berichtete seinem Arzt, er habe „die Variante letzte Woche gemacht“, dann aber Probleme mit seinem Hämoglobinwert (abgekürzt: hb) bekommen: „jetzt habe ich immer über 19 hb gemessen! (…) kann ich das korrigieren?“

„Schwer zu korrigieren“, teilte ihm sein Dopingarzt Schmidt daraufhin mit – und gab weitere Anweisung: „Wenn der Wert stimmt, musst du zwingend eine Blutkontrolle vermeiden!!!“

Zwei weitere deutsche Radprofis unter Schmidts Kunden

Bis zum ARD-Film im Januar 2019 dopten Schmidt Athleten munter weiter. Mindestens 23 Sportler aus acht europäischen Ländern ließen von ihm und seinen Leuten Blutdoping an sich durchführen. Darunter sollen auch durchaus prominente Deutsche sein: Der ehemalige deutsche Radrennfahrer Danilo Hondo gestand, Kunde Schmidts gewesen zu sein, auch verdächtig ist der frühere Eisschnellläufer Robert Lehmann-Dolle.

Der Münchner Staatsanwalt Kai Gräber sagte der ARD-Dopingredaktion, dass noch zwei weitere deutsche Sportler zum Blutdopingring zählten.

Sportarten will er nicht nennen. Wie die ARD jetzt recherchiert hat, handelt es sich um zwei deutsche Radprofis aus hochklassigen Pro-Tour-Teams. Sie haben auch an der Tour de France teilgenommen. Einer ist noch aktiv. 

Auf ARD-Nachfrage will die Nationale Anti-Doping-Agentur die Namen der Radprofis weder bestätigen noch dementieren. Sie teilt nur mit, sie ermittle im Gesamtkomplex.  

Dem Angeklagten Mark Schmidt, sagte Gräber weiter, würden insgesamt 145 strafrechtliche relevante Sachverhalte vorgeworfen. Nach der ARD-Dokumentation über seinen Kunden Johannes Dürr habe Schmidt sich offensichtlich „sehr, sehr sicher gefühlt“. Tatsächlich vernichtete Schmidt damals nur die Blutbeutel von Dürr und sorgte dafür, dass seine Kunden bei der Weltmeisterschaft des Nordischen Skisports Ende Februar in Seefeld weiterdopen konnten. Im Rahmen der Razzien bei der WM wurde in Erfurt auch Schmidt selbst festgenommen. Vor einigen Wochen bestätigte das Oberlandesgericht München noch einmal die Untersuchungshaft, auch weil Verdunklungsgefahr vorliegt.

Anklage auch wegen Verdachts auf Körperverletzung

Schmidt sagte gegenüber den Ermittlern anfangs umfangreich aus, allerdings, wie der Staatsanwalt Gräber der ARD sagte, „nicht immer alles sofort“. In vielen Fällen habe Schmidt erst unter dem Druck der vorliegenden Indizien oder nachdem er erstmal das übrige  „Beweisergebnis“ ausgelotet habe. Etwa im Mai dieses Jahres habe Schmidt dann entschieden, „die Kooperation einzustellen“.

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, sagte der ARD zur Anklage Mark Schmidts, es sei „kaum fassbar, mit welcher Dreistigkeit betrogen“ werde. Mit Blick auf mögliche Strafverfahren sagte Deutschlands ranghöchster Sportfunktionär: „Wir hoffen sehr, dass die Fälle, die nun anstehen, auf deutschem Boden mit drakonischen Strafen umgesetzt werden.“

Quelle: sportschau.de

Über dieses Thema berichtete die Sportschau im Ersten am 22. Dezember 2019 um 18:00 Uhr.

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