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Die italienische Regierung hat angekündigt, 39 Milliarden Euro der EU-Hilfen zum Kampf gegen die Corona-Krise abzulehnen. Der Schritt folgt auf die Kritik der Fünf-Sterne-Bewegung – und einen hitzigen Koalitionsgipfel.
Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom
39 Milliarden Euro liegen auf dem Tisch. Aber Italiens Regierung macht deutlich: Dieses Geld aus Europa wollen wir nicht. Die Mittel sind Teil des sogenannten Corona-Hilfspakets, das die EU-Finanzminister unmittelbar vor Ostern beschlossen hatten. Italiens stellvertretender Wirtschaftsminister Antonio Misiani stellte gestern klar: Sein Land werde aus dem Hilfspaket lediglich die Unterstützung beim Kurzarbeitergeld und die Darlehen der Europäischen Investitionsbank nutzen.
Den dritten Teil des Hilfspakets aber, die angebotenen Mittel aus dem Euro-Rettungsfonds ESM, werde Rom nicht anrühren. Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte zuvor die Brüsseler Beschlüsse bereits mit den Worten kommentiert:
„Italien braucht den ESM nicht.“
Und für alle Zweifler legte der Ministerpräsident später nach:
„Um es noch klarer zu sagen, hinterlegen wir es: Italien ist nicht daran interessiert.“
Ablehnung trotz mühsamem Kompromiss
Eine auf den ersten Blick erstaunliche Haltung – mit der Rom auf 39 Milliarden Euro der Europäischen Union verzichtet. Denn eine Summe in dieser Höhe steht für Italien zur Verfügung durch die in der Nacht zum Karfreitag erreichte Einigung der EU-Finanzminister.
Konkret könnte Italien Hilfskredite aus dem Rettungsfonds ESM nutzen, gezielt für Ausgaben im Gesundheitssystem. Geld, das ohne Bedingungen fließen würde. Darauf hatten sich die Finanzminister gegen den ursprünglichen Widerstand der Niederlande mühsam geeinigt, vor allem mit Rücksicht auf Italien. Rom aber verzichtet trotzdem, zum Osterbrunch verkündete Misiani per Videoschaltung ins Fernsehen die Regierungslinie: „Den ESM werden wir nicht nutzen.“
Fünf-Sterne-Bewegung drohte mit Koalitionsbruch
Vorausgegangen war, berichten mehrere italienische Medien, ein turbulenter Koalitionsgipfel nach der Brüsseler Einigung. Darin soll die Fünf-Sterne-Bewegung den Fortbestand der Regierung abhängig gemacht haben von einem Nein zu den angebotenen 39 ESM-Milliarden aus Brüssel.
Hintergrund: Die Ablehnung des Euro-Rettungsfonds ist eine Forderung des Fünf-Sterne-Bewegung noch aus ihren Gründungstagen – getragen von der Angst vor troika-ähnlichen Kontrollen wie in Griechenland. Angst, für die es jetzt keinen Grund gebe, meint Kulturminister Franceschini von den in Rom mitregierenden Sozialdemokraten.
Hitziger Koalitionsgipfel
Während des hitzigen Koalitionsgipfels, schreibt die Zeitung La Repubblica, habe Franceschini Fünf-Sterne-Außenminister Di Maio eine „kindische Haltung“ vorgeworfen – weil dessen Partei Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds weiterhin ablehne, obwohl die Bedingungen von den EU-Finanzministern ausdrücklich und mit Rücksicht auf Italien gestrichen wurden. Trotzdem hat Fünf-Sterne-Mann Di Maio über Ostern noch einmal klargestellt: Seine Partei werde zu Hilfen aus dem Rettungsfonds niemals ja sagen im Parlament.
Ministerpräsident Conte, den Fünf Sternen nahestehend, hat für den EU-Gipfel am 23. April angekündigt, sich erneut für die von Italien bevorzugte Rettungsvariante in der Coronakrise einzusetzen – Anleihen, für die alle in der EU gemeinsam haften:
„Wir werden dafür kämpfen, die Eurobonds zu bekommen. Auf dem nächsten EU-Gipfel werde ich außerdem klarstellen, dass der ESM völlig unangemessen ist.“
Das von den Finanzministern vereinbarte Rettungspaket, sagt Conte, werde er nicht unterschreiben. Von rechts macht derweil Matteo Salvini Druck, von dem wochenlang wenig zu hören war. Jetzt wettert er auf seiner Facebook-Seite ebenfalls gegen das angebotene Geld aus dem Euro-Rettungsfonds. „Kein ESM, wir sind Italiener“, schreibt der Führer der rechten Lega.
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