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Stand: 22.12.2021 13:03 Uhr
Im Streit darüber, ob nationales Recht in Polen Vorrang vor EU-Recht hat, verschärft die Kommission ihr Vorgehen: Sie leitete ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau ein.
Wegen umstrittener Urteile des polnischen Verfassungsgerichts zum Status von EU-Recht geht die EU-Kommission rechtlich gegen das Land vor. Die Brüsseler Behörde leitete ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren ein. Das polnische Verfassungsgericht erfülle nach seinen jüngsten Urteilen „nicht mehr die Anforderungen an ein unabhängiges und unbefangenes Gericht“, wie es die europäischen Verträge vorsähen, erklärte die Kommission. Polen hat nun zwei Monate Zeit für eine Antwort. Fällt diese nicht zufriedenstellend aus, droht dem Land im äußersten Fall eine hohe Geldstrafe.
Die Kommission und Länder wie Deutschland und Frankreich werfen der nationalkonservativen polnischen Regierung bereits seit Jahren vor, die Gewaltenteilung auszuhebeln und regierungstreue Richter bis hin zum Verfassungsgericht zu installieren. Als bisher stärkstes Druckmittel hält die EU-Kommission deshalb die Freigabe von insgesamt 36 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds für Polen zurück. Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte der EU „Erpressung“ vorgeworfen.
Polen bereits zu Zwangsgeldzahlungen verurteilt
Der Streit über die Einhaltung der für EU-Staaten verbindlichen rechtsstaatlichen Grundsätze eskalierte weiter, als das polnische Verfassungsgericht Anfang Oktober entschied, dass EU-Recht nicht automatisch Vorrang gegenüber nationalem Recht habe. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage.
Bereits im Juli hatte das polnische Gericht entschieden, dass die Anwendung einstweiliger EuGH-Verfügungen, die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien. Die EU-Kommission betont hingegen immer wieder: EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht.
Ende Oktober verklagte das Europäische Parlament die Kommission wegen Untätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), weil sie gegen Polen nicht alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft habe. Zudem verklagte die Kommission auch Polen vor dem EuGH. Dieser ordnete daraufhin ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro gegen Polen an. Die Luxemburger Richter begründeten dies mit dem „ernsthaften und irreparablen Schaden“, der Europa und seinen Grundwerten drohe. Im konkreten Fall ging es um die Disziplinarkammer am obersten polnischen Gericht, mit deren Hilfe die Regierung nach Brüsseler Einschätzung missliebige Richter maßregeln und suspendieren kann.
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