Schweine sind soziale, fidele Tiere. Wenn man sie lässt, sausen sie herum, tollen miteinander, wühlen unablässig mit ihren Rüsseln im Boden. Von diesem artgerechten Benehmen können Mutterschweine hierzulande nur träumen.
Deutsche Ferkelzüchter stecken ihre Zuchtsauen deren halbes Leben lang in Metallkäfige, die so eng sind, dass sie sich zwischen den Stäben nicht drehen, nicht wenden, nicht einmal hinlegen können, ohne der Nachbarin die Hufe in den Leib zu drücken. Diese grausame Haltung ist tierschutzwidrig, illegal und einer zivilisierten Gesellschaft nicht würdig, wird des Profits wegen aber geduldet.
Bereits 1992 wurde in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung festgelegt, wie viel Platz einer Muttersau zusteht. Seinerzeit hatte man den Bauern eine Übergangszeit von vier Jahren eingeräumt, um ihre Anlagen dementsprechend umzubauen. Geschehen ist in den meisten Ställen: nichts.
2015 brandmarkte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg die gängige Praxis als rechtswidrig. Dem Gesetz nach müsse der Sau im Deckstand wie im Abferkelstall ein „ungehindertes Ausstrecken in Seitenlage“ ermöglicht werden, so die Richter. Ein Jahr später bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das Magdeburger Kastenstandurteil. Seither geschah: nichts.
Als sich der Unmut aufbaute, hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine Idee. Man könne den Passus mit dem Ausstrecken einfach aus der Verordnung nehmen. Ein paar beherzte Striche, und schon wäre die Sache legal und dem Rechtsstaat genüge getan. 17 weitere Jahre will Klöckner den Bauern das Recht einräumen, ihre Sauen wie gehabt einzusperren, so steht es nun in ihrem Entwurf für die „Siebte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung“. Erst danach müssen die Käfige ein wenig vergrößert, die Fixierung der Sau von 35 Tagen auf acht Tage vermindert werden.
Streit im Bundesrat
Unter den Bundesländern, die den Entwurf im Bundesrat abstimmen müssen, schwelt darum ein Streit. Besonders die Regierungen mit grüner Beteiligung sträuben sich. „Der Verordnungsentwurf ist unzureichend. Die Bundesregierung versucht die tierschutzwidrigen Zustände zu legalisieren“, sagt Dirk Behrends, Berlins Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung und Landwirtschaft. Auf sein Betreiben hin lässt Berlin die Schweinehaltung in Deutschland höchstrichterlich beim Bundesverfassungsgericht klären. Mit einem Urteil wird kommendes Jahr gerechnet.
Am Freitag aber sollen die Länder im Bundesrat über die Zukunft der gequälten Kreaturen abstimmen. Wenn die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung gegen den Entwurf stimmen oder sich enthalten, scheitert Klöckners Vorstoß, die illegale Haltung zu legalisieren.
Man könnte meinen, das sei ein Grund zur Freude für die Grünen. Die Ökopartei kämpft von Anbeginn für eine Agrarwende, in der Nutztiere als Mitgeschöpfe betrachtet werden statt als Produktionsmittel. Anton Hofreiter, Fraktionschef der Bundestagsabgeordneten, hat ein Buch über die „Fleischfabrik Deutschland“ geschrieben, Co-Parteichef Robert Habeck forderte erst kürzlich angesichts der vielen Corona-Fälle in Schlachtereien ein Ende der Billigfleischproduktion und einen Mindestpreis für Fleisch.
Ein Ende der harten Kastenhaltung wäre ein wichtiger Schritt weg von der industriellen Produktion – und einer, der nach einer repräsentativen Umfrage der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ von 90 Prozent der Deutschen begrüßt würde. Über eine halbe Million Menschen unterzeichneten den Aufruf der Organisationsplattform Campact zur Beendigung der Schweinequal, Tierschützer plädieren lautstark für ein Ende der Praxis, knapp 500.000 Menschen schrieben auf Veranlassung der Verbraucherschutzoganisation Foodwatch direkt an die Grünen mit der Bitte, das Martyrium von Millionen Muttersauen in Kastenständen zu beenden. Keine Frage: In der Kastenstandfrage haben die Grünen das Volk, die Zivilgesellschaft und die Gerichte hinter sich, ähnlich wie beim Verbot der Käfighaltung von Hühnern.
Doch gemeinsam mit seiner nordrhein-westfälischen Kollegin Ursula Heinen-Esser (CDU) hat der schleswig-holsteinische Agrarminister Jan-Philipp Albrecht (B90/Die Grünen) einen Kompromissvorschlag erarbeitet – der diesen Namen kaum verdient.
Er sieht vor, dass die Sauen acht Jahre, in Härtefällen sogar zehn Jahre wie bisher in den bestehenden Kastenstände gehalten werden dürfen. Im Deckzentrum muss lediglich das ausgestreckte Liegen der Sauen in Seitenlage „ohne bauliche Hindernisse “ ermöglicht werden. Ein anderes Schwein zählt wohlgemerkt nicht als Hindernis. Ein fauler Trick, denn die Tiere liegen dicht an dicht. Erst nach der Übergangszeit zählt die Nachbarsau als Hindernis.
Von grünen Ideen ist in diesem Kompromiss so gut wie nichts mehr übrig, was man auch daran erkennt, dass Klöckner fröhlich darauf einschwenkt. Mit diesen Regelungen müsste kein Bauer die Zahl seiner Sauen im Deckzentrum reduzieren. Landwirte, die umbauen wollen, will Klöckner mit Steuergeldern beglücken.
Weit hinter Entwurf von 2017
Wie es zu dem aus grüner Sicht extrem schlechten Verhandlungsergebnis gekommen ist, bleibt unklar. Albrechts „Kompromiss“ fällt weit hinter dem Entwurf von 2017 zurück, den der damalige niedersächsische grüne Agrarminister Christian Meyer erreicht hat – und der nur wegen der vorgezogenen Wahl in dessen Bundesland nicht zur Abstimmung kam. Meyer hatte sich mit seinen Ministerkollegen darüber geeinigt, dass Schweine grundsätzlich in Gruppen zu halten seien – was eine echte Zeitenwende in der deutschen Schweinehaltung bedeutet hätte.
Schon jetzt steht fest, dass einige der grün regierten Länder, etwa Sachsen-Anhalt, dem Alternativentwurf nicht zustimmen. Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährungs- und Tierschutzpolitik, nennt den Kompromiss spitzfindig eine „minimale Umsetzung“ des Magdeburger Urteils. Schuld daran seien jedoch nicht bloß die Grünen: „Mich frustriert das Machtgeschacher in der Agrarpolitik, das meistens zu Verlängerungen von Zuständen führt, die längst verändert und abgeschafft gehören.“ Das sei beim Kastenstand, der von einer Gruppenhaltung abgelöst gehört, nicht anders als beim Kükenschreddern, der Düngeverordnung oder der betäubungslosen Kastration. In der Agrarbranche herrsche so etwas wie eine Alltagskriminalität, die meist folgenlos bleibe, weil die Staatsanwaltschaften diese Vergehen so gut wie nie verfolgen.

Schweinezuchtbetrieb (Archibbild)
Martin Schutt/ DPA
Den Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, erinnert das Geschacher um den Kastenstand und die politischen Pokerspiele auf Kosten der Sau an Strukturen organisierter Wirtschaftskriminalität: „Einen Kompromiss, der die gültige Rechtsprechung ebenso wie das Staatsziel Tierschutz mit Füßen treten würde, darf es nicht geben.“ Der vorliegende Kompromiss ignoriere die geltenden Urteile. Er fordert den sofortigen Vollzug gültigen Rechts.
„Die Grünen in den Ländern haben jetzt die Chance, ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen und können den von ihnen selbst geforderten Umbau der Tierhaltung entscheidend voranbringen“, sagt Rüdiger Jürgensen, Geschäftsführer Vier Pfoten.
Besonders spannend wird das Verhalten Baden-Württembergs. Wenn sich das grün-schwarz regierte Land mit seinen sechs Stimmen enthält, zählt das als Ablehnung. Damit hätte der Kompromissvorschlag kaum noch eine Chance. CDU-Agrarminister Peter Hauk wirbt allerdings dafür. Er gäbe „unseren Bauern Planungssicherheit und zumindest etwas Zeit, ihre Betriebe auf die neuen Anforderungen umzustellen“, sagt er – ungeachtet dessen, dass die Vorgaben nun schon seit 28 Jahren existieren.
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