Wegen der Öffnung der türkischen Grenzen zur Europäischen Union schickt die EU-Grenzschutzbehörde Verstärkung nach Griechenland. Auf Bitten des Landes habe Frontex die Entsendung von zusätzlichen Beamten sowie von Ausrüstung veranlasst, teilte eine Frontex-Sprecherin am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP mit. Die Alarmstufe bei Frontex für alle EU-Grenzen zur Türkei sei auf „hoch“ angehoben worden.

Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis telefonierte zudem mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Charles Michel, dem Chef des Europäischen Rates. Mitsotakis bat nach Informationen des SPIEGEL in dem Gespräch um Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Diskutiert wurde die Möglichkeit, vorerst Frontex-Mitarbeiter von anderen europäischen Grenzen abzuziehen.

Die Grenzschutzbehörde mit Sitz in Warschau hat derzeit knapp 400 Mitarbeiter auf den griechischen Inseln und ein kleineres Kontingent an der griechisch-türkischen Landgrenze. 60 Beamte seien an der bulgarisch-türkischen Grenze im Einsatz.

Wie viele Migranten bereits die Grenze in Richtung EU passiert haben, ist unklar. Die Angaben klaffen weit auseinander – je nachdem, welche Regierung informiert. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu teilte via Twitter mit, zum Sonntagmorgen gegen 10 Uhr Ortszeit hätten 76.358 Menschen über die Provinz Edirne das Land verlassen. Zehn Stunden zuvor hatte er noch die Zahl 47.113 genannt.

In der Nacht zu Sonntag hat Griechenland seine Einheiten an der Grenze verstärkt. Die Sicherheitsbehörden hatten befürchtetet, dass Migranten in der Nacht versuchen würden, in das EU-Land zu kommen. Am Samstag war es zu Zusammenstößen zwischen Migranten und der Polizei gekommen.

In der Provinz Edirne gibt es Grenzübergänge nach Griechenland und nach Bulgarien. Weder Sofia noch Athen haben jedoch bisher über das Eintreffen größerer Zahlen von Migranten berichtet. Einer unbekannten Zahl an Menschen ist es wohl dennoch gelungen, einen Zaun an der Grenze zu Griechenland zu überwinden oder mit Schlauchbooten den Grenzfluss Evros zu überqueren.

Patrouillen in der Ägäis verstärkt

Allein am Samstag seien 130 festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Nach Angaben des Migrationsministeriums in Athen von Sonntag hinderte die griechische Polizei bislang 9600 Migranten daran, die Grenze zu überqueren.

Die Regierung hat wiederholt erklärt, Griechenland werde keine illegalen Grenzübertritte dulden. Die Menschen hoffen, in die EU zu gelangen, nachdem die Türkei deutlich gemacht hat, dass sie Migranten nicht mehr aufhält.

Griechenland hat nach Regierungsangaben auch die Patrouillen in den Meerengen zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Ägäisküste verstärkt. Dennoch sind laut UNHCR am Sonntagvormittag allein auf der Insel Lesbos 306 Migranten angekommen. 58 weitere Menschen erreichten die Insel Chios sowie 30 die Insel Samos, wie die griechische halbamtliche Nachrichtenagentur ANA MPA unter Berufung auf die Küstenwache berichtet.

Griechenland wirft der Türkei vor, den Zustrom von Migranten an der gemeinsamen Grenze organisiert zu haben. Das erklärte der griechische Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos am Sonntag im griechischen Fernsehen. Zuvor hatte er die griechischen Grenztruppen inspiziert, die am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros stationiert sind. „Wir werden weiterhin die Einheiten stärken“, sagte er.

Tausende treffen in Pazarkule ein

Am Sonntag kamen am türkisch-griechischen Grenzübergang Pazarkule Tausende weitere Migranten an. Mindestens 2000, darunter Syrer, Afghanen und Iraker, trafen aus Istanbul an dem Grenzübergang in der Provinz Edirne ein, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Nach Uno-Angaben harrten am Samstagabend bereits mindestens 13.000 Flüchtlinge an der 212 Kilometer langen Grenze zu Griechenland aus. Nach SPIEGEL-Informationen schätzen Behörden die Zahl auf 15.000 Migranten.

Die Türkei hat nach aktuellen Uno-Angaben rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, hinzu kommen Migranten aus Afghanistan und dem Irak. In einem Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 hat die Türkei eigentlich zugesagt, gegen illegale Migration vorzugehen.

Das Abkommen sieht zudem vor, dass die EU alle Flüchtlinge und Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nimmt die EU regulär Syrer aus der Türkei auf. Ankara erhält zudem finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge im Land.

Noch am Freitag hatte die EU deutlich gemacht, dass sie von der Türkei erwarte, dass sie die Vereinbarung einhalte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, sein Land könne so viele Flüchtlinge nicht versorgen. Außerdem habe Europa seine Versprechen gebrochen.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat sich besorgt über die Lage an der griechisch-türkischen Grenze geäußert. Er habe seine Unterstützung für Griechenlands Ministerpräsidenten Mitsotakis erklärt, teilte Rutte am Sonntag auf Twitter mit. Absprachen zwischen der EU und der Türkei müssten „vollständig eingehalten werden“, forderte er.

Icon: Der Spiegel

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