Für geflüchtete Frauen ist die Situation an der türkisch-griechischen Grenze besonders schwierig – vor allem, wenn sie Kinder bei sich haben.

Von Katharina Willinger, ARD-Studio Istanbul, zzt. in Edirne

Marzieh hat eine drei Jahre alte Tochter, die ins Krankenhaus gebracht werden muss. Das Kind hat hohes Fieber. Aber Marzieh hat Angst, dass die Sanitäter die kleine Sara nicht mitnehmen, denn sie hat keine Versicherung – und wurde gestern bereits von einem Arzt abgelehnt. 

Der Busbahnhof in der türkischen Grenzstadt Edirne: Hunderte Menschen sind nach dem erfolglosen Versuch, nach Griechenland zu gelangen, hier gestrandet. Seit fünf Tagen harrt Marzieh hier aus, erzählt sie. 

„Wir sind hier vor allem Familien und alle ratlos, was wir nun machen sollen mit den Kindern. Die Situation ist wirklich furchtbar. Wir brauchen alle Hilfe.“ 

Marzieh zeigt ihren Schlafplatz. Er ist dürftig, die Fensterscheiben sind eingeschlagen, es ist eiskalt.

Sorgen um die herzkranke Tochter

Ihr Mann sitzt apathisch auf dem Boden, reagiert kaum. In der Ecke liegt ihre kleine Tochter Sara, mit hohem Fieber. „Mein Kind hat einen Herzfehler, und jetzt habe ich große Angst“, sagt Marzieh. Ein Arzt oder Helfer sei noch nie vorbei gekommen: „Ich habe Sara selbst ins Krankenhaus gebracht, aber dort haben sie mir gesagt, du musst in ein anderes Krankenhaus gehen. Was soll ich denn jetzt tun?“

Der jungen Mutter bleibt nichts anderes übrig als zu warten. Marzieh stammt aus dem Iran, vor einigen Jahren floh sie in die Türkei. Doch sie fand keine Arbeit, habe hier keine Perspektive, sagt sie. Als sie im türkischen Fernsehen sah, dass die Tore in die EU geöffnet seien, stieg sie mit ihrer Familie in den nächsten Bus in Richtung Grenze.

„Die Grenzen sind auf“

Eine junge Afghanin erzählt, sie sei von türkischen Behörden sogar dazu aufgefordert worden, das Land zu verlassen: „Wir haben die Nachrichten im Internet gelesen, dann sind wir auf die türkische Ausländer-Behörde. Dort haben sie uns gesagt: Ja, die Grenzen sind auf und ihr müsst nun gehen. Sie haben uns das genauso gesagt.“

Das sagen auch andere Frauen. Einige erzählen außerdem, dass sie es nach Griechenland geschafft hätten. So auch eine junge Afghanin, die hochschwanger ist. Dort sei sie von griechischer Polizei festgenommen worden, berichtet sie: „Wir mussten unsere Sachen abgeben und ein kleines weißes Auto hat uns zurück an die Grenze gefahren. Dort haben sie uns gesagt: Jetzt lauft ihr wieder zurück in die Türkei, über den Stacheldraht.“

Helfer verteilen das Nötigste

Nun sitzen viele hier fest, schlafen im Freien, bei Temperaturen um die null Grad in der Nacht. Einige türkische Freiwillige verteilen Essen. Für die Frauen haben sie auch Damenbinden dabei, berichtet eine Helferin: „Wir haben Binden mitgebracht, da es für die Frauen hier sehr schwierig ist mit der Hygiene. Sie sollen sich nicht noch eine Infektion holen. Sie brauchen Hilfe.“

Die Helfer, so berichtet sie weiter, schauten auch, wer verletzt oder krank ist. „Einige sollen auf griechischer oder bulgarischer Seite geschlagen worden sein, wir haben einen Krankenwagen alarmiert.“

Marzieh bekommt davon nichts mit. Sie ist auf dem Weg zur einer Hütte hinter dem Busbahnhof. Ihr Mann passt solange auf die Tochter auf. Sie will sich nach dem Zustand einer Familie erkundigen, die sie vor einigen Tagen kennengelernt hat.

Tränengas auf die Kleinsten

Zwei der Frauen und ihre Kinder seien durch griechische Sicherheitskräfte verletzt worden, als sie am offiziellen Grenzübergang darauf warteten, auf die andere Seite zu kommen: „Es geht mir gerade richtig schlecht“, berichtet eine von ihnen. „Sie haben mit Tränengas auf uns geschossen, es war furchtbar, unsere Augen haben gebrannt. Ich konnte gar nicht mehr sprechen.“ Auch ihr kleiner Sohn habe Tränengas abbekommen. Die Frau glaubt, er stehe unter Schock. 

Unterdessen ist draußen der Krankenwagen eingetroffen. Marzieh hat die Sirenen gehört. Sie will klären, ob die Sanitäter auch ihre Tochter Sara mitnehmen. Immer mehr Familien bringen bereits ihre Kinder. Dann wird Marzieh vor gelassen. Nach einem kurzen Gespräch ist klar: Sie und Sara dürfen mitfahren. Die Sanitäter versprechen ihr, das Kind zu behandeln. Ein kleiner Lichtblick – auch wenn Marzieh noch nicht weiß, wie es danach für ihre Familie weitergehen soll. 

Über dieses Thema berichtet der Weltspiegel am 08. März 2020 um 19:20 Uhr im Ersten.

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