Schon immer ist der Stuhl des Erzbischofs von Köln eines der reizvollsten Ämter, das die katholische Kirche zu vergeben hat. Fast 800 Jahre lang war der Inhaber stets zugleich einer der Erzkanzler des Reiches, zudem Oberhaupt des größten deutschen und stets eines der wohlhabendsten Bistümer der Welt.
Doch nicht dafür ist ein prägender Kölner Erzbischof ins Gedächtnis eingegangen (und zeitweise in den Duden), sondern für das genaue Gegenteil von „Reichtum anhäufen“, nämlich für das gottgefällige Stehlen in der Not. Als „fringsen“ kennt man derlei im Rheinland, nach Erzbischof Josef Frings (1887–1978).
Der Kirchenfürst, seit 1942 in diesem Amt, aber mit Unterbrechungen schon vorher 25 Jahre als Seelsorger in Köln tätig, hatte in seiner Silvesterpredigt 1946 ungewohnte Töne angeschlagen: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“
In der Tat: Im Winter 1946/47 hungerte Deutschland. Der Bombenkrieg und die Eroberung durch die Truppen der Anti-Hitler-Koalition hatten große Teile der Infrastruktur zerstört. Millionen Männer waren tot, verschollen, versehrt oder saßen noch in Kriegsgefangenschaft. Junge Frauen, Mütter, Kinder und alte Leute mussten allein das Weiterleben organisieren – und dann kam auch noch ein besonders harter Winter dazu.
In dieser Notsituation „organisierten“ sich viele Kölner aus Güterwaggons und Lastwagen, die aus den Zechen des Ruhrgebiets kamen, Kohle zum Heizen – und Frings gab dazu seinen Segen. Das machte seinen Namen als Verb unsterblich – etwas, das seither eigentlich nur Joachim Gauck geschah: „Gaucken“ als Synonym für „auf Stasi-Kontakte überprüfen“ schaffte es ebenfalls in den allgemeinen Wortschatz. Da beide Problemlagen längst ausgestanden sind, kennen heute allerdings viele jüngere Menschen die beiden Wortschöpfungen nicht mehr.
Josef Frings wurde 1887 als Sohn eines Neusser Fabrikanten geboren und hatte sich für ein Leben als Priester entschieden. 1910 wurde er – natürlich in Köln – geweiht. Es folgte eine zunächst typische Karriere für einen katholischen Theologen: drei Jahre Kaplan (in Köln), dann ein zweijähriger Studienaufenthalt in Rom. Anschließend 22 Jahre Pfarrer (natürlich in Köln), unterbrochen nur von zwei Jahren als Leiter eines katholischen Waisenhauses in seiner Heimatstadt Neuss. 1937 übernahm er die Leitung des Priesterseminars des Erzbistums im Bergischen Land – das lag zwar nicht in Köln, wohl aber im Dunstkreis.
Ohne zuvor Bischof einer Diözese oder wenigstens Weihbischof gewesen zu sein, wurde Frings 1942 zum Erzbischof „seiner“ Stadt berufen. Das NS-Regime war alles andere als begeistert und verbot den gleichgeschalteten Zeitungen, über seine Weihe zu berichten. In Andeutungen kritisierte er 1944 die Judenverfolgung als „himmelschreiendes Unrecht“ und wurde von der Gestapo überwacht.
Nach dem Krieg stieg Frings, seit Anfang 1946 als Kardinal, zur maßgeblichen Stimme des deutschen Katholizismus auf. Das hatte natürlich damit zu tun, dass mit Konrad Adenauer ein guter Bekannter die Bundespolitik dominierte. Über das Rheinland und seine Diözese hinaus große Bedeutung erlangte er, weil er, obschon bereits weit über 70, beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) zu den Förderern einer Kirchenreform gehörte. An seiner Seite stand ein junger bayerischer Theologe namens Joseph Ratzinger.
Wegen seines nachlassenden Sehvermögens bat Frings 1969 den Papst um die Entbindung von seinem Amt. Seinen Ruhestand verbrachte Josef Kardinal Frings natürlich in Köln. 1978 starb er im Alter von fast 92 Jahren.
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