Der Winter verzieht sich, und Ostern steht vor der Tür. In jedem anderen Jahr ist der Hafen von Fraserburgh im Nordosten Schottlands um diese Jahreszeit voller Betriebsamkeit. Unter dem blauen Vorfrühlingshimmel machen sich – in jedem normalen Jahr – Dutzende Fischerboote auf den Weg in die reichhaltigen Fanggründe der Nordsee und kehren mit großen Mengen Fisch an Bord wieder zurück. Aber dieses Jahr ist alles anders: Der Hafen liegt still da.

Vier Fünftel der Fischereiflotte sind zur Zeit stillgelegt, schätzt Mark Robertson, ein erfahrener Skipper aus Fraserburgh. Wie viele Branchen auf der ganzen Welt ist die britische Fischereiindustrie in der Folge der Coronavirus-Pandemie zusammengebrochen. „Die Nachfrage ist tot. Wir exportieren nichts. Es gibt keinen Markt mehr“, jammert Robertson. Wie in der ganzen britischen Fischereiindustrie ging der größte Teil seines Fanges, mehr als 80 Prozent, in den Verkauf auf dem europäischen Festland.

Als der Kontinent von der COVID-19-Welle überrollt wurde und die Europäer sich daran gewöhnten, zu Hause zu bleiben, ging die Nachfrage nach Robertsons Fang gen Null. Solange die Hotels und Restaurants in Frankreich, Italien und Spanien – die Hauptabnehmer für Fisch aus Großbritannien – geschlossen bleiben, haben die britischen Fischer nur die Wahl, ihren Fang einzufrieren oder ihren Betrieb ganz dichtzumachen.

Hoffnung und Verzweiflung

Die erste Option – das Einfrieren – sei zwar in normalen Jahren hilfreich, wenn die Nachfrage zwischenzeitlich etwas nachlässt; jetzt würde das Tiefkühlen das Problem nur aufschieben, sagt Robertson. Kühlhäuser machten den Fisch zwar haltbar, aber wenn die Krise wieder vorbei ist und dann der Gefrierfisch den Markt überschwemmt, würde das die Preise kaputt machen.

Mark und Adam Robertson (Mark Robertson)

Fischer Robertson (l.) und Sohn Adam: „Die Nachfrage ist tot“

Diese brutale Erkenntnis kommt zu einer Zeit, in der britische Fischer optimistisch in die Zukunft blickten. Als ausgesprochene Brexit-Befürworter hatten sie gehofft, dass der Abschied von der gemeinsamen EU-Fischereipolitik und den verabscheuten Brüsseler Fangquoten frischen Wind in ihre Geschäfte bringen würde. Doch jetzt, da Corona die Tür zu Europa geschlossen hat, befürchten viele von ihnen das Schlimmste.

„Die Industrie kann sich zeitweise gesundschrumpfen, aber wenn die Einschränkungen andauern, können sie den Anfang vom Ende darstellen“, sagt Mike Park, Vorsitzender der Scottish White Fish Producers Association (SWFPA). Er glaubt, dass die Corona-Krise den wunden Punkt der exportorientierten britischen Fischereiindustrie offengelegt hat; jährliche Verkäufe in Höhe von durchschnittlich 1,6 Milliarden Euro sind in Gefahr. „Wir haben zu einem gewissen Grad immer an unsere Belastbarkeit geglaubt. Aber von bestimmten Marktsegmenten sind wir besonders abhängig und müssen Lösungen finden, wie wir damit umgehen“, sagt Verbandschef Park.

Alte Gewohnheiten, neue Lösungen

Das wird nicht einfach sein. Für Inselbewohner haben die Briten einen erstaunlich konservativen Fischgeschmack: Sie essen am liebsten Kabeljau, Schellfisch, Thunfisch, Lachs und Garnelen. Und die werden zu großen Teilen tiefgefroren aus Billig-Lieferländern importiert – obwohl sie in britischen Gewässern reichlich zu finden sind. Dafür kommt dann das Beste, was Großbritannien zu bieten hat, bei den europäischen Nachbarn auf den Tisch: frische Hummer, Krabben, Tintenfisch und vieles mehr.

„Fisch gehört zu den am meisten weltweit gehandelten Waren überhaupt“, sagt Fischereifachmann Bryce Beukers-Stewart. „Die aktuellen Probleme mit der Corona-Krise haben gezeigt, wie abhängig die britische Fischereiindustrie wirklich vom Handel mit Europa und, zu einem etwas geringeren Grad, mit anderen Ländern wie etwa China ist.

Wird sich angesichts der Krise ändern? Das könne man noch nicht sagen, meint Beukers-Stewart. Eine Steigerung der Selbstversorgung und des Verbrauchs von heimischen Produkten wäre jedoch sicher ein „Silberstreif“.

Schottland - Hafen von Fraserburgh (picture-alliance/Bildagentur-online/McPhoto-Schol)

Fischerboote in Fraserburgh: Staatliche Unterstützung erst ab zwölf Metern Länge

SWFPA-Chef Mike Park ist der gleichen Meinung. Es liege jetzt an der Industrie, Möglichkeiten zu finden, britischen Fisch auf britische Teller zu bringen, sagt er. Das könne bedeuten, „das Vereinigte Königreich weiterzubilden, was den Verbrauch von Fisch angeht: wie man ihn zubereitet, seine Frische, seine gesundheitlichen Vorzüge, Omega 3 und solche Sachen“.

Damit liegt Park auf einer Linie mit der Regierung in London, die kürzlich die #SeaForYourself-Kampagne gestartet hat: eine Initiative, um Verbraucher mit heimischem Fisch vertraut zu machen. Das ist aber ein langfristiges Ziel; durchgreifende Änderungen am Geschmack eines Landes kommen nicht einfach über Nacht.

Existenzen stehen auf dem Spiel

Inzwischen säßen britische Fischer buchstäblich auf dem Trockenen, sagt Mike Park. Sie müssten weiter Löhne zahlen, vor allem an ausländische Crewmitglieder, die nicht als Selbstständige arbeiten. Dazu kommen Hafenliegegebühren, Versicherungen und Miete für Ausrüstung: Skipper haben weiter eine Menge Ausgaben, aber jetzt keine Einkünfte mehr.

Und sie sind nicht allein in ihrer Zwangslage: Von der Fischerei leben ganze Küstenstriche in Großbritannien. Zur Unterstützung der Fischereibetriebe hat die schottische Regierung deshalb ein Hilfspaket in Höhe von umgerechnet 5,6 Millionen Euro beschlossen. Ähnliche Programme soll es bald auch in England und Wales geben. Doch diese Unterstützung wird nur 50 Prozent der durchschnittlichen Einkünfte ausmachen und die Gelder sollen nur an Besitzer von Booten mit mehr als zwölf Metern Länge ausgezahlt werden.

Das schließt Fischer, wie Mark Robertson in Fraserburgh, aus. Er weiß genau, was auf dem Spiel steht, auch wenn er optimistisch bleiben will. „Alles, was ich habe, ist in die Fischerei investiert, und ich sehe, wie es vor meinen Augen untergeht.“

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