Reportage

Stand: 08.09.2021 04:11 Uhr

In Brasilien sind am Unabhängigkeitstag Zehntausende dem Protest-Aufruf von Präsident Bolsonaro gefolgt. Sie wetterten gegen alle, die gegen Bolsonaro derzeit ermitteln. Der befürchtete Sturm auf den Kongress blieb aber aus.

Von Anne Herrberg und Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro

Bolsonaros Anhänger beginnen den Tag mit der Hymne. Kaum einer, der an der Copacabana kein Nationaltrikot trägt oder ein gelb-grünes Brasilien-Fähnchen schwingt. Geliebtes Vaterland, steht auf einer gigantischen Flagge, die hoch an einem Kran über Rios berühmtester Strandpromenade weht.

Wir sind hier, um für unsere Freiheit zu kämpfen, denn sie unterdrücken das Volk, der Senat, die Abgeordneten und vor allem die Justiz. Die machen jetzt Gesetze, um das Volk zum Schweigen zu bringen, das ist eine Diktatur, das sind Tyrannen.

Anne Herrberg
Anne Herrberg ARD-Studio Rio de Janeiro
Matthias Ebert
Matthias Ebert ARD-Studio Rio de Janeiro

Brasilien über alles, Gott über allem, steht auf dem T-Shirt von Rentner Luis Claudio, das Motto Bolsonaros. Viele haben selbstgemalte Plakate dabei. Nein zur Diktatur, steht darauf, Richter sind die Taliban Brasiliens, Absetzung sofort! oder auch: Intervention!

Zehntausende Bolsonaro-Anhänger protestieren friedlich

Es seien schließlich die Eliten in der Hauptstadt, die Brasiliens Demokratie gefährdeten, empört sich die Englischlehrerin Claudia Fei: „Alle unsere Regierenden und der Oberste Gerichtshof sind von der Linken gekauft, und wir sind rechts. Auch die Medien sind von der Linken unterwandert. Sie veröffentlichen Lügen über unseren Präsidenten, sie sagen, er hätte keine Unterstützung, guck dich doch um, wie voll es hier ist. Brasilien unterstützt Bolsonaro, Brasilien liebt Bolsonaro!“

In Sao Paulo gingen mehr als 100.000 Menschen auf die Straße, um für den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zu demonstrieren. Bild: AP

Tatsächlich sind Zehntausende, in São Paulo sogar mehr 100.000 dem Aufruf Bolsonaros gefolgt und demonstrieren Unterstützung auf den Straßen. Friedlich. Zwar hatten Anhänger am Montagabend versucht, Absperrungen zum Regierungsviertel zu durchbrechen, doch der befürchtete Sturm auf den Kongress blieb aus.

Streit um Ermittlungen gegen Bolsonaro

Nicht aber die verbalen Attacken und Drohungen: „Entweder der Chef dieser Staatsgewalt hält seinen Richter in Zaum, oder diese Gewalt wird das erleiden, was wir nicht wollen“, erklärte Jair Bolsonaro am Morgen in Brasilia, adressiert an den Präsidenten des Obersten Gerichts.

Mit dem liegt er im offenen Konflikt, seit der Ermittlungen gegen Staatschef einleitete. Es geht um die systematische Verbreitung von Falschinformationen. Außerdem wurden politische Verbündete Bolsonaros festgenommen, die zum Umsturz aufgerufen haben sollen. „Halunke!“, legte Bolsonaro später bei der Kundgebung in Sao Paulo nach. Er wüsste, dass man gegen ihn arbeite, aber nur Gott könne ihn aus dem Amt holen.

Stärke demonstrieren, in einem Moment der Schwäche

Bolsonaro will an diesem 7.September Stärke demonstrieren, in einem Moment der Schwäche. Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung, Armut und Arbeitslosigkeit haben zugenommen. Und sein Laissez-Faire-Management der Pandemie, die in Brasilien mehr als eine halbe Million Todesopfer forderte, beschäftigt mittlerweile einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Bolsonaros Zustimmungswerte sind so niedrig wie nie seit Amtsantritt 2019 – und das ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen. Klar vorne würde da derzeit ex-Präsident Lula da Silva liegen, Bolsonaros größter politischer Widersacher.

Vielerorts gab es Gegendemonstrationen

„Unsere Fahne wird niemals rot sein“, singt Bolsonaros Gefolgschaft an der Copacabana. „Das Risiko ist, dass die Korrupten, die Diebe und Gauner zurückkommen, die uns schon mal regiert haben, dagegen kämpfen wir, auch wenn man uns den Mund verbietet. Nie wieder Lula. Ehrlichkeit und Wahrheit über alles“, so Regina Lima.

Vielerorts gab es zudem Gegendemonstrationen. Besonders in großen Städten wie Brasília und São Paolo war die Lage äußerst angespannt, die Polizei traf strenge Sicherheitsvorkehrungen, um Zusammenstöße zu vermeiden.

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