Die Evakuierungsmission, mit der die Bundeswehr in knapp zwei Wochen mehr als 5300 Menschen aus der von den Taliban eroberten afghanischen Hauptstadt Kabul rettete, war eine großartige militärische Leistung. Es ist deshalb eine Selbstverständlichkeit, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Mittwoch dafür bei den beteiligten Soldaten persönlich bedankte.
Es ist auch lobenswert, dass die CDU-Politikerin sich am Rande der Veranstaltung mit einigen Angehörigen der 59 am Hindukusch gefallenen und getöteten deutschen Soldaten traf. Und doch wirft der Rückkehrappell, so würdig er für sich genommen war, einmal mehr ein Schlaglicht auf die Defizite der deutschen Verteidigungspolitik.
Erstens: Ohne die USA wäre die deutsche Evakuierung gar nicht möglich gewesen. Die Bundeswehr und ihre europäischen Partner hätten den Kabuler Flughafen allein niemals sichern können, es brauchte die militärischen Fähigkeiten der Amerikaner – und ihre Opferbereitschaft. Die in Kabul gefallenen 13 US-Soldaten wurden von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) pflichtschuldig erwähnt.
Zweitens: Nur aufgrund einer gravierenden Fehleinschätzung der Lage und mangelnder Planung eines Worst-Case-Szenarios ist die Rettungsmission in dieser Form überhaupt nötig geworden. Dieses Versagen der Bundesregierung wird beschwiegen. Drittens: Warum würdigt die Kanzlerin jetzt dieses letzte Kontingent der Bundeswehr, das in Afghanistan sein Leben riskiert hat, nicht aber alle anderen zuvor? Warum war sie Ende Juni bei der Rückkehr der letzten Soldaten der Mission Resolute Support nicht am Flughafen?
Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München vertritt die These, dass Soldaten in Deutschland weiterhin nur als Brunnenbohrer oder Lebensretter gesellschaftlich akzeptiert und damit politisch präsentabel seien – nicht aber als Kämpfer und Krieger.
Solange allerdings in Gefechten erbrachte militärische Leistungen – und die gab es in 20 Jahren Afghanistan zur Genüge – politisch verschämt verborgen werden, wird die Rolle von Streitkräften in der Realität internationaler Konflikte in diesem Land nicht verstanden werden. Die Kanzlerin wird daran nichts mehr ändern. Ob es einer ihrer potenziellen Nachfolger anders handhaben wird? Diese Frage blieb in einem sicherheitspolitisch unterbelichteten Wahlkampf unbeantwortet.
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