Die Bars sind seit fünf Monaten zu – und dürften auch so bald nicht aufmachen. Für die Betreiber ist das nicht nur wirtschaftlich eine Herausforderung. Dustin Render aus Berlin fasst für den stern sein Corona-Jahr zusammen.

Die Eismaschinen sind ausgestöpselt, die Tresen leer: Bars waren so ziemlich die letzten, die nach dem ersten Lockdown öffnen durften – und die ersten, die im zweiten Lockdown erneut zumachen mussten. Seit fünf Monaten haben Bars, Kneipen und Restaurants mittlerweile geschlossen. Dustin Render betreibt zwei Bars in Berlin. Dem stern erzählt er, warum sein Vertrauen in die Politik erschüttert ist und warum das Geschäft mit Versand-Cocktails nur ein kleines Zubrot ist.

Der erste Lockdown ist nun ein Jahr her. Bei uns kam er – typisch Berlin – Holterdipolter: An einem Samstag kursierte in unserem internen Chat die Nachricht, dass am Abend alle Läden geschlossen werden müssten. Ich erinnere mich noch, dass ich damals zu meiner Partnerin gesagt habe: Wie soll das denn klappen? Der Senat braucht ja eine schriftlichen Schließungsanordnung, so funktioniert der deutsche Rechtsstaat. Doch um 23 Uhr stand schon die Polizei vor unserer Tür. Es war eine surreale Situation.

Dass so eine Einschränkung der Berufsfreiheit in diesem Land möglich ist, hätte unsere Generation mit unserem Freiheitsgedanken wohl nie für möglich gehalten. Wir zeigen hier aus Deutschland gerne auf autoritär geführte Länder wie Nordkorea, und auf einmal passiert das hier. Das hat mich schockiert. Selbstverständlich sind wir unserer Verantwortung nachgekommen und haben unsere Läden von diesem Zeitpunkt an nicht mehr geöffnet.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht“

In meinem Team herrschte Fassungslosigkeit. Wir wollten allen Mut machen und versicherten, dass wir niemanden entlassen werden. Doch unsere Mittel waren begrenzt: Alle mussten in die Kurzarbeit, und wir konnten das Einkommen nicht auf 100 Prozent aufstocken. So große finanzielle Reserven hatten wir nicht. Uns war klar, dass das für jeden einen enormen Einschnitt bedeutete: Wenn bei uns jemand, wie in anderen Gastronomiebestrieben, eher im unteren Lohnsektor verdient, gesetzliche sozialversicherungsfreie Nachzuschläge erhält, und üblicherweise noch Trinkgeld bis in den vierstelligen Bereich extra dazu kommt, sind 600 Euro Kurzarbeitergeld für mehrere Monate natürlich ein Schlag ins Gesicht.

Der erste Lockdown bestand aus drei Phasen. Die erste war die große Bürokratie-Phase. Direkt am Montag nach der Schließung habe ich 27 Seiten Anhang an die Bank geschickt, um so schnell wie möglich Hilfen zu bekommen. Doch man muss leider sagen: Die Behörden haben einem nicht wirklich geholfen. Hat man einen Antrag hingeschickt, kamen fünf zurück. Als hätte man zu dem Zeitpunkt keine anderen Probleme gehabt.

Als nächstes kam das große Aufräumen: Alle Läden wurden entrümpelt. Und dann fing die Langeweile an. Im April 2020 wurde es sehr warm und wir kamen auf die Idee, Cocktails To Go aus dem Fenster zu verkaufen. Das hat so gut funktioniert, dass das direkt am ersten Tag mit einem Polizeieinsatz verbunden war. Rückwirkend betrachtet war das total albern, damals lag die bundesweite Inzidenz irgendwo um die 40. Aber die Stimmung damals war aufgeheizt.

„Wir wollten im Gespräch bleiben“

Das Finanzielle stand nie im Vordergrund. Unsere Bar hat 180 Plätze, diesen Ausfall kann ich mit ein bisschen Fenstergeschäft nicht abfedern. Uns ging es darum, im Gespräch zu bleiben, damit die Menschen uns nicht vergessen. Ein richtiges Geschäft war erst ab Juni möglich – auch dank der vielen Außenplätze. Das war meine größte positive Überraschung. Ich hatte Bedenken, ob die Gäste wirklich nach dem Lockdown zu uns kommen würden – aber nach nur einer Woche brummte das Geschäft. In der Sharlie Cheen Bar hatten wir die besten drei Sommermonate aller Zeiten. Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Es hat mir gezeigt, dass wir fester im Alltag der Menschen verankert sind als viele andere Bereiche. Dass wir den Menschen nicht egal sind. Für das Vertrauen der Gäste war ich sehr dankbar.

Das lief bis Ende Oktober, dann folgte der zweite Lockdown.

Diesmal war die Stimmung anders, sowohl bei den Barbetreibern als auch bei den Menschen da draußen. Im ersten Lockdown war die Hoffnung bei vielen groß, man müsse das Alles nur zwei Monate eisern durchziehen und dann geht es zurück in die Normalität. Im Herbst war allen bewusst, dass sich das Ganze länger hinziehen dürfte. Schon im September bekamen wir Anfragen von Firmen, ob wir Drinks für virtuelle After-Work-Partys und Weihnachtsfeiern verschicken könnten.

Gastronomie: "Ein Schlag ins Gesicht": Ein Berliner Barbetreiber über ein Jahr im Lockdown

So lohnt sich das Boxen-Geschäft

Ich konnte mir erst gar nicht vorstellen, dass sich Leute für 50 Euro eine Getränkebox nach Hause bestellen, dafür kriegt man ja schon einen richtig guten Gin und alles, was dazu gehört. Doch die Nachfrage schoss nach oben. Die Menschen waren für jede Form der Abendunterhaltung dankbar, und so setzten wir einen Online-Shop für fertige Cocktails auf. Aber einfach eine Box mit fertigen Getränken zu verschicken war mir zu albern. Deshalb haben wir das zu einer Art virtuellem Bar-Abend ausgedehnt. Jeden Freitag mixen wir live mit den Gästen via Zoom Cocktails, übertragen direkt aus unserer Bar.

Bislang haben wir etwa 200 Boxen verkauft, jeden Tag sind es zwei bis drei Stück. Das Geschäft wächst langsam. Weil die Spirituosen-Industrie, insbesondere Beam Suntory, einige Waren sponsort – die Firmen kommen ja auch nicht mehr an die Endkunden heran, wenn die zuhause herumsitzen – und wir uns den Großteil der Kosten als Digitalisierungsmaßnahme mit der sogenannten Überbrückungshilfe III fördern lassen können, bleibt am Ende tatsächlich ein kleiner Gewinn übrig. Natürlich erreichen wir nicht die Dimensionen des normalen Geschäfts. Aber es ist ein gutes Zubrot zu dem, was wir sowieso an Förderungen bekommen.

„Das wird wie Silvester und Mauerfall zusammen“

In Berlin liefern einige Bars Bottled Cocktails, aber wirtschaftlich gesehen ist das meistens Quatsch, sondern eher Beschäftigungstherapie. Damit sich das lohnt, muss man die Produkte deutschlandweit versenden. Die Kunden wollen bequem in einem Online-Shop bestellen und direkt am Smartphone bezahlen können – so funktioniert die Welt nun einmal. 80 Prozent unserer Kunden wohnen außerhalb Berlins. Immer mehr Firmen bestellen einfach mal 30 bis 40 Boxen für ein virtuelles Team-Event, weil sich die Leute vielerorts ja seit fünf Monaten nicht mehr treffen können.

Ich bin mir sicher, dass die Nachfrage nach diesen Cocktail-Boxen nach Öffnung – wann auch immer das sein wird – einbricht. Dann wollen die Leute raus. Sobald Restaurants und Bars wieder aufschließen, wird das wie Silvester und Mauerfall zusammen, da bin ich mir sicher.

Im Firmen-Bereich werden wir jedoch auf absehbare Zeit mit den virtuellen Tastings weitermachen. Denn ich glaube nicht, dass es in diesem Jahr normale Sommerfeste oder Weihnachtsfeiern mit Hunderten Leuten geben wird. Zudem haben diese virtuellen Veranstaltungen den Vorteil, dass sie unendlich skalierbar sind: Ob wir die mit 50 oder 500 Leuten machen, wir benötigen nur eine Kamera. Wir überlegen deshalb, unten im Keller der Bar eine Art Studio aufzubauen.

Protkoll: Christoph Fröhlich

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