In den vergangenen zwei Wochen wurden drei Fälle von sogenannten Ehrenmorden bekannt. In Jordanien wurde eine Frau von ihrem Vater mit einem Stein erschlagen, in Pakistan übergoss ein Mann seine 14-jährige Nichte mit Benzin und zündete sie an, und im Jemen wurde eine Frau von ihrem Ehemann ermordet.

Morde wie diese werden meist von Männern begangen, die ihre Machtstellung sichern wollen. Ihren Taten liegt eine Vorstellung von Männlichkeit, von Werten und Traditionen zugrunde, die vor allem im Nahen Osten verbreitet ist, aber auch durch Migranten mit konservativem Hintergrund in Europa angekommen ist.

Menschenrechtsgruppen fordern immer wieder striktere Gesetze, doch in Ländern wie Pakistan, Jordanien, Jemen, Türkei, Irak, Marokko oder Ägypten sind solche Morde weiterhin alltäglich – auch weil dort die rechtsstaatlichen Institutionen zum Schutz der Frauen fehlen oder brach liegen. So werden Frauen vor allem in den ländlichen Regionen, die besonders konservativ und sexistisch geprägt sind, zu Opfern.

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Der Begriff der Ehre wurde im Nahen Osten fundamental verzerrt. Der größte Teil der Menschheit definiert Ehre als die Eigenschaft eines Individuums, seine Manieren, sein Sinn für Gerechtigkeit, seine Errungenschaften.

Im Nahen Osten hängt die Ehre hingegen an der Jungfräulichkeit der Frauen, an der Abwesenheit sexueller und emotionaler Erfahrungen in ihrem Leben. In jenen Gesellschaften ist das der Standard für Ehre, sie hat keine andere Bedeutung.

Leider verharrt der Nahe Osten in dieser Ambiguität zwischen Ehre, Geschlechterrollen und Sexualität, im Konflikt zwischen dem Körper der Frau und der Freiheit. Diese Gesellschaften rauben Frauen die sexuelle Entfaltung und Befriedigung und ermöglichen Männern zugleich alle möglichen Formen, bis hin zur Vielehe.

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Wenn wir annehmen, dass sexuelle Handlungen Sünde sind, warum versündigen sich dann nicht alle Beteiligten gleichermaßen, warum wird die Frau dafür ermordet? Männer haben jene religiösen und zivilen Gesetze erlassen, die ihnen zupasskommen, und die Frauen sind die Opfer in diesem politischen Spiel.

In der arabischen Welt herrscht seit Jahrzehnten ein Klima der Straflosigkeit für Ehrenmorde, mit Gesetzen, die Täter schützen, sympathisierenden Richtern und Polizisten. In Jordanien, wo eine der höchsten Fallzahlen verzeichnet wird, werden Ehrenmorde meist nachsichtiger behandelt als reguläre Morde. Auch können die Täter strafmildernde Umstände bekommen, wenn sie „Wut“ als Grund anführen.

Zudem werden in den Familien oftmals die unter 18-jährigen Geschwister mit den Morden beauftragt, weil sie nur nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. In vielen Fällen werden die Morde vertuscht, als Unfälle oder Suizide ausgegeben, oder die Frauen in anonymen Gräbern verscharrt und die Dokumente ihrer Existenz zerstört oder versteckt.

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Manche Familien werden von der Gesellschaft zu den Morden gedrängt. Die meisten dieser Verbrechen werden still innerhalb der Familie oder dem Stamm geplant. Auch weibliche Familienmitglieder sind manchmal Komplizinnen oder sogar Initiatorinnen der Morde. Der Plan wird dann unter denen vereinbart, die beteiligt sind.

Trotz ihrer Dominanz sind die Männer in den Gesellschaften des Nahen Ostens schwach und verletzlich. Sie sind Individuen in einer Gemeinschaft mit rigorosen Regeln und Praktiken und bestrafen jeden, der diese verletzt.

Werden sie der Ehrlosigkeit bezichtigt, die ihre Töchter oder Frauen vermeintlich über sie gebracht haben, fürchten sie den Ausschluss und reagieren mit Gewalt. Der Mord ist wie eine Entschuldigung an diese Gemeinschaft, mit der sie sich von der „Schande“ reinwaschen.

Wie viel Schmerzen müssen die Opfer durchlitten haben?

Die Autorin Souad Sweilm hat darüber Folgendes geschrieben: „Jedes Mal, wenn der Name einer ermordeten Frau bekannt wird, die von ihrer Familie, ihrem Partner oder einem anderen Mitglied der patriarchalen Gesellschaft getötet wurde, denke ich daran, wie viel Schmerz diese Frau vor ihrem Tod durchlitten haben muss. Wie viele Qualen sie immer wieder erlitten hat, bis die letzte ihre Seele genommen hat. Ich frage mich, wie es sich anfühlt, wenn die letzten Momente im Leben so beängstigend und über alle Maßen schmerzhaft sind, wenn du von deiner eigenen Familie ermordet wirst, in ihre Augen blickst und nichts siehst als Hass und Entschlossenheit, dich umzubringen.“

Ihre Leben werden auf die furchtbarste Art und Weise beendet. Zu Tode gefoltert, verbrannt, erhängt und begraben von der eigenen Familie.

Die Täter töten in diesem letzten Akt die physische Existenz der Frauen, aber ihre Seelen haben sie schon lange vorher ermordet.

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Meinung Schleier für Frauen

Als Mädchen wachsen sie in Familien auf, die ihnen sagen, dass sie ihre Stimme senken, gebeugt gehen und nicht aufschauen, nicht springen oder wie Jungs spielen sollen. Sie dürfen keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sie dürfen keine Meinung haben, und ihre Ausbildung gilt als nutzlos.

Wenn sie sich dann doch aufrichten und diesen Vorgaben widersetzen, kommen die Todesdrohungen. So lernen sie, dass ihre Leben billig und unwichtig sind. Und dass man es Ehre nennt, sie zu ermorden.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WELT AM SONNTAG

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