Die Regionalwahl in Schottland ist gelaufen. Nicola Sturgeon und die Scottish National Party haben die Wahl klar gewonnen – aber die absolute Mehrheit verpasst. Was das für die Frage um die schottische Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich bedeutet, dazu gibt es nun zwei Erzählungen.

Sturgeon beruft sich darauf, gemeinsam mit den Grünen, eine Mehrheit im Parlament pro Unabhängigkeit zu haben.

Nicola Sturgeon, First Minister Schottland:
»Ein Referendum kann also auf keinen Fall als meine Forderung oder als Forderung der SNP bezeichnet werden. Es ist ein Versprechen an die Bevölkerung – von einer klaren Mehrheit der Abgeordneten, die ins Nationalparlament gewählt worden sind. Es ist der Wille des Volkes.«

Auf der anderen Seite steht Boris Johnson. Er möchte nicht als der britische Premierminister in die Geschichte eingehen, unter dem das Königreich zerbricht. Die Töne aus London: Die SNP habe die absolute Mehrheit eben verfehlt, anders als vor dem ersten Referendum 2014.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Diese beiden Erzählungen stoßen jetzt aufeinander und da erwarte ich wirklich, dass es einen längeren Kampf darum gibt, ob es ein zweites Referendum geben kann. Das wird nicht unmittelbar geschehen, sondern eher etwas sein, was 2022, 23 oder später passiert.«

Die SNP hat 64 Sitze gewonnen, einer fehlt für die alleinige Mehrheit. Mit den acht Sitzen der Grünen reicht es aber. Trotzdem ist der schottische Weg in die Unabhängigkeit ist kompliziert. Die Regierung in Edinburgh muss ein Unabhängigkeitsreferendumsgesetz auf den Weg bringen. Und dann entscheidet der Oberste Gerichtshof, ob es für die Durchführung die Zustimmung aus London braucht oder nicht.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Der große Rechtsstreit ist um die Auslegung des sogenannten Scotland Act, der bestimmt, welche Kompetenzen das schottische Parlament hat. Und eine Kompetenz, die ja nicht hat, ist, Entscheidungen zu treffen, die die Union des Vereinigten Königreichs und zwischen den Königreichen England und Schottland bestimmt.«

Johnsons größtes Argument ist das Referendum von 2014. Schon lange vertritt er die Meinung, die Frage sei damit längst geklärt.

Boris Johnson, britischer Premierminister:
»Wir hatten 2014 ein Referendum. Es war entscheidend. Es war – da sind sich, glaube ich, alle einig – etwas, das einmal pro Generation passiert.«

Eine Chance, die es einmal pro Generation gebe – das war vor sieben Jahren auch die Ansicht der SNP. Und damals entschied sich das Land mit 55,3 Prozent Nein-Stimmen gegen die Unabhängigkeit.

Aber: Seitdem hat sich einiges getan. Schottland hatte mit 62 Prozent gegen den britischen EU-Austritt gestimmt – und musste nun doch den harten Brexit hinnehmen. Das, so die Unabhängigkeitsbefürworter, verändere alles. Und es macht die Sache für Johnson kompliziert.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Denn viele Argumente gegen die schottische Unabhängigkeit sind natürlich auch Argumente gegen den Brexit gewesen.«

Johnson spielt jetzt auf Zeit. Seine eigene Macht hat er untermauert. Auch in England wurde gewählt – mit großen Erfolgen für die Konservativen. Bis zu einer möglichen Gerichtsentscheidung wird Johnson nun alles tun, um die Schotten davon zu überzeugen, ein Teil des Vereinigten Königreichs zu bleiben.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Vor allen Dingen mit der Impfkampagne. Aber wir dürfen auch davon ausgehen, in Zukunft sehr viel Geld an die nach Schottland geschickt werden, um zu zeigen Es lohnt sich, im Vereinigten Königreich zu bleiben.«

Es ist durchaus möglich, dass er damit Erfolg hat. Denn so eindeutig, wie Sturgeon sie darstellen möchte, ist die Stimmungslage nicht.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Es gibt auch genug Untersuchungen, dass es auch einige SNP Wähler gibt, die die Partei zwar als linke Partei unterstützen, die soziale Politik machen, selber aber nicht hundertprozentig überzeugt sind, ob sie die Unabhängigkeit wollen.«

Ganz entscheidend wird am Ende auch sein, wann ein mögliche v–vReferendum stattfinden würde. Denn die Umfragewerte schwanken. Anfang des Jahres gab es eine starke Zustimmung zur Unabhängigkeit – auch wegen des schlechten Umgangs mit der Pandemie. Seit dem Impferfolg ist die Stimmung gekippt, nun liegen die Unabhängigkeitsgegner leicht vorn.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Es kommt auf den genauen Moment an und die genauen politischen Umstände, wann das Referendum eigentlich durchgeführt wird. Und deswegen werden beide Seiten sehr genau überlegen: Wann ist für mich der beste Zeitpunkt wann kann ich das Referendum ansetzen und wie kann ich dann die schottische Bevölkerung maximal für mich einbringen?«

Dass Sturgeon juristisch gewinnt und das Referendum ohne Lohdon vorantreiben kann, gilt eher als unwahrscheinlich. Und so könnte die Entscheidung am Ende eh bei Johnson liegen. Trotzdem ist dann nicht ausgeschlossen, dass dieser ein Referendum zulässt. In der Hoffnung, dass die Unabhängigkeitsbefürworter wieder scheitern – und damit langfristig.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Wenn sie das wieder verlieren. Dann darf man schon davon ausgehen, dass diese Frage wirklich für mehrere Jahrzehnte geklärt sein dürfte.«

Und wie geht die Europäische Union mit dem Streit um? Sie muss sich nun entscheiden, ob sie die Debatte wie 2014 als rein innenpolitische Angelegenheit betrachten will oder ob sie positive Signale an die EU-Befürworter in Schottland senden will. Und diese Entscheidung ist kompliziert.

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik:
»Denn London würde es schon als feindlichen Akt begreifen, wenn die EU sehr, sehr positiv auf die schottischen Unabhängigkeitsbefürworter zugehen würde. Weil das wäre aus Londoner Sicht wirklich ein Versuch, das Vereinigte Königreich auseinanderzureißen.«

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