Inhaltsverzeichnis
So richtig glaubt Christoph Neumeier noch nicht an das Ende der kostenlosen Corona-Schnelltests. Die Delta-Variante infiziere schließlich auch Geimpfte, diese könnten dann auch andere anstecken, argumentiert der Gründer von CoviMedical GmbH. 250 Teststellen betreibt das Unternehmen deutschlandweit und auf den spanischen Balearen. „Wie soll ein öffentliches Leben, wie sollen offene Schulen oder kulturelle Veranstaltungen da ohne Tests weiterhin möglich sein?“
Die Logik von Bund und Ländern: Die Kombination aus Testpflicht und Kostenpflicht soll Ungeimpfte zur Immunisierung bewegen. Es ist eine Wette der Ministerpräsidentenkonferenz auf die Psychologie: Je unangenehmer das Leben ohne Impfung wird, desto eher werden Ungeimpfte sich umstimmen lassen.
Die Gruppe sei „noch zu groß“, mahnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstagabend. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einer „Pandemie der Ungeimpften“. Die Konsequenz: Die kostenlosen Schnelltests werden zum 11. Oktober abgeschafft. Die Testpflicht gilt ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen in Innenräumen, beispielsweise in Kliniken, Pflegeheimen, der Innengastronomie, beim Friseur, in Fitnessstudios oder Schwimmbädern.
Es wird sich zeigen, ob diese Logik aufgeht. Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab, dass die Strategie einen Preis hat – und in der Praxis zu Chaos und Ungerechtigkeiten führen könnte. Teststellenbetreiber erwarten vor allem, dass sich weniger Menschen werden testen lassen und die neue Kostenpflicht vor allem bürokratischen Aufwand mit sich bringen wird – mit erheblichen Auswirkungen auf die Testinfrastruktur in Deutschland.
Auch das Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) erwartet einen Rückgang der Test-Zahlen. Linke-Chefin Janine Wissler sieht darin einen Widerspruch zu den Ankündigungen der Bund-Länder-Runde. „Es passt nicht zusammen, wenn Merkel sagt, es werde bei Ungeimpften jetzt voll aufs Testen gesetzt, während gleichzeitig die kostenlosen Tests abgeschafft werden“, sagt sie. „Wer am Anfang der vierten Welle und angesichts der Virusmutationen ein bewährtes und wichtiges Instrument wie die kostenlosen Schnelltests abschafft, handelt unverantwortlich.“
Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen verweist darauf, dass die dritte Welle im Frühjahr gezeigt habe, wie wichtig Tests seien. „Tatsächlich brauchen wir in der jetzigen Pandemie-Phase auch mehr statt weniger Tests, um die Dynamik der Corona-Pandemie endlich zu brechen“, sagt er. „Für funktionierende 3G-Regeln ist es zudem erforderlich, dass Testnachweise zertifiziert und flächendeckend digital über die Corona-Warn-App verfügbar gemacht werden. Hier muss die Bundesregierung dringend nachliefern, damit dies an jeder Teststelle möglich ist.“
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, fordert sogar, die Testpflicht für Pflegeheime auch auf Genesene und Geimpfte auszuweiten. „Jeder Besucher – auch die Geimpften und Genesenen, auch externe Mitarbeiter wie therapeutisches aber auch medizinisches Personal müssen weiterhin kostenlos vor Ort getestet werden. Keine Experimente in der jetzigen Situation.“
Wie nachweisen?
Beschäftigen dürfte Ungeimpfte in den kommenden Wochen vor allem die Frage von Nachweisen. Denn in der Theorie soll die Testpflicht niemanden treffen, der sich nicht impfen lassen kann. Aus medizinischen Gründen etwa, oder weil es keine allgemeine Impfempfehlung gibt. Kinder, Schwangere oder im Einzelfall auch Menschen, bei denen das Immunsystem stark heruntergefahren ist. Praktisch trifft sie die Pflicht natürlich trotzdem – als Mehraufwand im Alltag. Im Gegensatz zu Impfunwilligen aber sollen sie die Schnelltests nicht selbst zahlen müssen. Dafür werden sie ihre „Unimpfbarkeit“ belegen müssen.
Bei Kindern und Jugendlichen wäre das simpel – Schülerausweise, Krankenkassenkarten oder auch Kinderpässe zeigen das Geburtsdatum. Söder ging am Dienstag sogar einen Schritt weiter: „Der Schülerausweis wird im Grunde genommen ein Testzertifikat werden, weil mit dem Schülerausweis man de facto nachweist, dass man mehrfach getestet ist“, sagte der CSU-Chef. Wie der Schülerausweis zeigen soll, dass ein Schüler nicht nur getestet wurde, sondern das Ergebnis auch negativ war, ließ er offen. Auch Schwangere könnten ihren Mutterpass als Nachweis nutzen. Und alle anderen?
„Die Details der Nachweispflicht werden in einer Testverordnung zu regeln sein“, teilt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf WELT-Anfrage mit. Wann diese erlassen werde, sei noch unklar, gelten werde sie ab dem 11. Oktober. Auf die Frage, wer sich außer Minderjährigen und Schwangeren weiterhin kostenlos testen lassen kann, bleibt das Ministerium vage. „Alle weiteren Personen, für die eine Impfung nicht empfohlen wird, und Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Das entscheidet der behandelnde Arzt.“
Ähnlich ist dies auch im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz formuliert. Denkbar scheint wohl auch ein ärztliches Attest als Nachweis. Der Deutsche Hausärzteverband kritisiert diese „Schwammigkeit“. „Wieder geht ein Dokument, das eigentlich Sicherheit bringen soll, mit mehr Fragen als Antworten einher“, sagt Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Verbandes. Man werde im Herbst und Winter schon genug mit Grippe- und Auffrischimpfungen zu tun haben. „Da können wir nicht noch politische Unklarheiten ausbügeln.“
Fragen bleiben auch für jene offen, die aufgrund eines positiven Antikörpertests von einer überstandenen Corona-Erkrankung ausgehen können – aber nie einen PCR-Test gemacht haben und ihren Status als Genesene nicht belegen können. Laut Gesundheitsministerium wird ein positiver Antikörpertest nicht als Nachweis für einen kostenlosen Test ausreichen.
Sorge vor ausufernder Bürokratie
Sohrab Taheri-Sohi, Sprecher des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), fürchtet vor allem einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand. Unter anderem stelle sich die Frage, „wie Fälschungen von Nachweisen ausgeschlossen werden“, sagt er. Auch die Abrechnung der kostenpflichtigen Tests ab Mitte Oktober treibt ihn um. Denn bisher gibt es in den 300 BRK-Teststellen gar keine Infrastruktur für individuelle Zahlungen.
„Unsere Testzentren sind keine Einzelhändler, die Kassen, EC-Geräte oder ein Rechnungssystem zur Verfügung hätten“, so Taheri-Sohi. Er plädiert dafür, Tests über die Krankenkassen abzurechnen. Diese könnten pro Quartal jedem Versicherten die Kosten für alle in Anspruch genommene Tests in Rechnung stellen. „Ich rate jedoch davon ab, dass man Bezahlung und Abrechnung der Tests auf die Testzentren abwälzt.“
Die Sorge vor Bürokratie teilt auch der Apotheker Olaf Elsner aus Gütersloh. Als Vorstand des Apothekerverbands Westfalen-Lippe hat er daran mitgewirkt, dass in Nordrhein-Westfalen Apotheken flächendeckend testen. Rückläufige Testzahlen habe es auch schon im Sommer gegeben, erzählt er. Das Ergebnis: Konnte man in Gütersloh im Frühjahr noch jeden Tag zwischen mehreren Apotheken wählen, bietet momentan pro Tag nur je eine Apotheke Tests an.
„Wenn es immer weniger Testangebote gibt, dann muss, wer sich testen lassen will, auch immer weitere Wege zurücklegen, das Netz wird löcherig“, warnt er. „Und wenn wir die niedrigschwellige Struktur einmal einstampfen, ist es umso schwieriger, sie später wieder aufzubauen, sollte das im Winter doch wieder nötig werden.“ Als Apotheker sehe er sich in der „Versorgungsverantwortung“. Tests möchte er daher auch künftig anbieten, auch wenn es sich finanziell dabei um ein „Nullsummenspiel“ handele.
„Machtwechsel“ ist der WELT-Podcast zur Bundestagswahl – mit Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander. Jeden Mittwoch. Abonnieren unter anderem bei Apple Podcasts, Spotify, Amazon Music, Deezer oder per RSS-Feed.
Artikel in der gleichen Kategorie:
- Corona-Pandemie: Biden pocht auf Corona-Impfpflicht in Unternehmen
- Deutsche Post plant umfassende vorbeugende Coronavirus-Tests
- Antikörper-Test in Tübingen zeigt – Bis zu 17 Mal mehr Corona-Infizierte als bekannt
- Airbus und DLR testen klimafreundliches Fliegen
- Staatssekretär fordert – Meldepflicht für Reisende in Risikogebiete