Herta Müller, eine der renommiertesten Schriftstellerinnen der Gegenwart, nahm die Auszeichnung, die mit 30.000 Euro dotiert ist, in Kassel persönlich entgegen. Müller, die in Rumänien aufwuchs und 1987 in die Bundesrepublik ausreisen konnte, sprach in ihrer Dankesrede unter anderem über die Verhöre durch den rumänischen Geheimdienst, die sie unter der kommunistischen Herrschaft über sich ergehen lassen musste. „Wörter haben im Verhör das schwerste Gewicht“, so Müller. Man sei an sie gebunden wie an der Leine an einem Pflock. „Die Situation des Verhörs war für mich, was Sprache betrifft, die undurchschaubarste“, sagte sie. „Beim Verhör glüht das Sprechen im Mund und das Gesprochene gefriert.“

Die Literaturnobelpreisträgerin habe der deutschen Sprache „einen großen Reichtum an Gedanken, Erinnerungen und Bildern geschenkt“, sagte Christoph Stölzl in seiner Laudatio. Müller habe in ihren Werken ein „existenzielles Denken“ hervorgebracht, geschärft durch das Aushalten von Extremsituationen“, sagte der Präsident der Weimarer Musikhochschule. Besonders im Jahr des Mauerfalls 1989 sei sie die richtige Stimme zur richtigen Zeit gewesen. Stölzl bezeichnete Müller als „illusionslose Autorin, die darauf beharrte, dass gerade jetzt noch viel zu erzählen sei“.

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Herta Müller bei ihrer Dankesrede in Kassel

In ihren Texten werde zugleich die Liebe und das Misstrauen gegenüber Wörtern deutlich. Das entspringe den Erfahrungen der 68-Jähirgen in ihrer Jugend in Rumänien. Der Alltag in der kommunistischen Diktatur sei Müllers wichtigster Stoff geblieben, sagte Stölzl. Gleichwohl setze sich die Schriftstellerin in ihren Büchern mit universellen Phänomenen auseinander.

Schreiben als „Akt der Notwehr“

Aufgewachsen auf dem Dorf als Mitglied einer drangsalierten Minderheit, habe sie Fundstücke aus der „Sprachschatzkammer des Banater Dialekts, des Deutschen und des Rumänischen“ zusammengetragen. Aus ihrem Beruf als Übersetzerin gedrängt, habe sie das Schreiben als „Akt der Notwehr“ empfunden, betonte Stölzl. Schon ihre erste Veröffentlichung, der Bericht über ihre Kindheit von 1982, sei ein Erfolg gewesen. Auch die nachfolgenden Veröffentlichungen wie das Hauptwerk „Atemschaukel“ von 2009 seien geprägt von „einer visionären Sprache, voller Worterfindungen“.

Eine weitere Auszeichnung, der mit 5000 Euro dotierte Institutionenpreis Deutsche Sprache, ging an die Serie „Wissen macht Ah!“ des Westdeutschen Rundfunks. Das Jurymitglied Anke Sauter würdigte die klugen und wortgewandten Beiträge der Fernsehsendungen, die sich an Kinder ab acht Jahren richten. Darin werde mit Sprachwitz Wissen vermittelt, ohne schulmeisterlich zu wirken.

Zu wenige ernsthafte Kandidaten

Der „Initiativpreis Deutsche Sprache“ wurde in diesem Jahr nicht vergeben, weil es an qualifizierten Bewerbungen gemangelt habe, hieß es. Ursprünglich sollte das Publikum den besten Beitrag eines Poetry-Slam-Wettbewerbs ermitteln.

Der dreiteilige Kulturpreis Deutsche Sprache wird seit 2001 von der Eberhard-Schöck-Stiftung und vom Verein Deutsche Sprache für besondere Verdienste um die deutsche Sprache vergeben. Im vergangenen Jahr fiel die Verleihung wegen der Corona-Pandemie aus. Ort der Verleihung ist stets Kassel. Dort begannen die Brüder Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm mit ihren Arbeiten zur deutschen Grammatik und zum deutschen Wörterbuch. Ab dem Jahr 2022 wird der Preis von der Eberhard-Schöck-Stiftung allein vergeben werden. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Cornelia Funke, Nora Gomringer, Loriot, Ulrich Tukur, Dieter Nuhr, Katharina Thalbach und der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg.

kle/ack (epd, dpa, kna)

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