Nach der mutmaßlichen Festnahme der Oppositionellen Marija Kolesnikowa haben mehrere hochrangige EU-Politiker den Druck auf die belarussische Regierung erhöht. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) forderte Aufklärung über den Aufenthaltsort sowie die Freilassung der Oppositionellen und weiterer politischer Gefangener. „Wir sind in großer Sorge um Frau Kolesnikowa“, sagte Maas am Montag der „Bild“-Zeitung. Ihr Verschwinden sowie mehr als 630 Festnahmen bei erneuten Massenprotesten gegen Staatschef Alexander Lukaschenko am Wochenende riefen international Empörung hervor.

„Die fortgesetzten Verhaftungen und Repressionen, auch und vor allem gegen die Mitglieder des Koordinierungsrates, sind nicht hinnehmbar“, sagte Maas. Der von der Opposition gegründete Koordinierungsrat hatte am Montag mitgeteilt, Kolesnikowa sei am Morgen zusammen mit einem Sprecher und einem Mitarbeiter „von Unbekannten im Zentrum von Minsk entführt“ worden.

Der Koordinierungsrat beschuldigte Lukaschenko, „Terrormethoden“ anzuwenden. Eine Augenzeugin berichtete der Nachrichten-Website Tut.by, wie maskierte Männer Kolesnikowa gegen 10.00 Uhr Ortszeit in einen Kleinbus stießen und ihr das Handy abnahmen. Nach Angaben des Grünenbundesvorsitzenden Robert Habeck wurde neben Kolesnikowa auch Irina Suchij festgenommen, die ehemalige Vorsitzende der Grünen in Belarus.

Kolesnikowa ist ein wichtiges Mitglied des Koordinierungsrates und zählt zu den wenigen prominenten Oppositionspolitikern, die sich gegen den Gang ins Exil entschieden hatten und in Belarus geblieben waren.

Die 38-Jährige war im Wahlkampf zusammen mit Weronika Zepkalo an der Seite von Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja aufgetreten. Sie hatte zuvor als Kampagnenchefin für die Kandidatur des Ex-Bankers Viktor Babaryko gearbeitet, der derzeit im Gefängnis sitzt. Tichanowskaja hält sich inzwischen im benachbarten Litauen auf, Zepkalo in der Ukraine. Eine weitere bekannte Aktivistin, Olga Kowalkowa, war am Samstag nach Polen geflohen.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte die belarussischen Behörden auf, politische Gegner „unverzüglich freizulassen“. Die Europäische Union erwarte „die sofortige Freilassung aller Personen, die vor und nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen am 9. August aus politischen Gründen inhaftiert wurden“, erklärte Borrell am Montag.

Ähnlich äußerte sich auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert. Er verurteilte das Vorgehen der belarussischen Behörden. Die Bundesregierung fordere ebenso die sofortige Freilassung derjenigen, die bei der Ausübung „demokratischer Bürgerrechte“ festgenommen worden seien.

Litauen warnt vor Schulterschluss zwischen Belarus und Russland

Litauen warnt indes vor einem engen Schulterschluss seines Nachbarlandes Belarus mit Russland. Der belarussische Präsident Lukaschenko sei kurz davor, die Unabhängigkeit seines Landes aufzugeben und eine Vereinbarung über ein stärkeres Bündnis mit Russland zu unterzeichnen, sagte der litauische Außenminister Linas Linkevičius am Montag im Fernsehen. Russland „wird jetzt rasch das umsetzen, was es seit 20 Jahren nicht geschafft hat“, erklärte der Minister. „Und das ist sehr besorgniserregend.“ Die Integration von Belarus und Russland sei kaum zu stoppen. Lukaschenko sei dazu aber weder moralisch noch politisch berechtigt. Ein solcher Schritt würde ein „Mandat des Volkes“ erfordern, sonst seien weitere Spannungen vorprogrammiert.

Linkevičius betonte, eine engere Beziehung zwischen Russland und Belarus könnte dazu führen, dass russisches Militär in Belarus stationiert werde. Das EU- und Nato-Land Litauen grenzt an das früher als Weißrussland bezeichnete Belarus. Beide Staaten sind ehemalige Sowjetrepubliken. In Belarus gibt es seit knapp einem Monat Proteste gegen die Präsidentenwahl, nach der sich Lukaschenko zum klaren Sieger erklärte. Die Opposition wirft ihm Wahlbetrug vor.

In der Krise hatte Lukaschenko wieder verstärkt Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin gesucht, nachdem sich die Beziehungen zwischen den beiden Politikern zuvor abgekühlt hatten. Putin hatte unlängst für einen seit Längerem existierenden Plan geworben, der engere Verbindungen zwischen Belarus und Russland vorsieht. Lukaschenko hatte dieses Vorhaben bisher abgelehnt und Russland vorgeworfen, sich Belarus einverleiben zu wollen.

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Menschen in Belarus gegen den seit 26 Jahren autoritär regierenden Lukaschenko. Sie werfen der Regierung massiven Betrug bei der Wahl vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Dabei lassen sie sich auch von der Gewalt der Sicherheitskräfte nicht abschrecken.

Am Sonntag hatten sich trotz eines großen Sicherheitsaufgebots mehr als 100.000 Menschen allein in der Hauptstadt Minsk an den Protesten beteiligt. Die Polizei nahm nach Angaben des Innenministeriums insgesamt 633 Demonstranten fest, so viele wie noch nie. 363 saßen demnach am Montag noch in Untersuchungshaft.

Icon: Der Spiegel

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