Stand: 19.12.2021 00:40 Uhr

Vor fünf Jahren fuhr ein Attentäter mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt vor der Berliner Gedächtniskirche. Das Denkmal für die 13 Toten ist heute ein Ort der Ruhe – unweit von Glühweinständen.

Von Kerstin Breinig, rbb

Gerade erst wurde ein 13. Name an einer Stufe vor der Gedächtniskirche montiert. Sascha Hüsges starb im Oktober an den Folgen der Verletzungen, die er als Ersthelfer nach dem Attentat erlitt. Auch er hat – kurz vor dem fünften Jahrestag – hier Platz gefunden. Immer wieder bleiben Menschen vor dem Denkmal stehen, andere schauen lieber in die andere Richtung, während sie über den Weihnachtsmarkt schlendern – auf dem Weg zum nächsten Glühweinstand.  

Kerstin Breinig
Kerstin Breinig

Feuerwehrmann Frank Hoedt war am 19. Dezember 2016 der Einsatzleiter Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr. Um 20:11 Uhr traf er am Anschlagsort ein. Gemeinsam mit dem Leitenden Notarzt sichtet er in dieser Nacht die Verletzten, koordiniert den Einsatz der Rettungssanitäter. Danach fiel noch eine Aufgabe in seine Zuständigkeit: die Bergung der Toten, zusammen mit der Mordkommission. 

„Großes geleistet und Schreckliches gesehen“

Für den heute 58-Jährigen ist ein Bummel auf dem Weihnachtsmarkt seitdem unvorstellbar. „Die ruhige besinnliche Vorweihnachtszeit ist für mich seit diesem Einsatz einfach vorbei“, sagt er. Die Berliner Feuerwehr war in dieser Nacht mit 160 Einsatzkräften vor Ort. Sie alle haben, so sagt es der Stellvertretende Landesbranddirektor Karsten Göwicke, „Großes geleistet und Schreckliches gesehen“.

Ein goldener Riss im Boden 

Teil des Mahnmals am Breitscheidplatz ist ein knapp 17 Meter langer, goldener Riss im Boden. Er soll die tiefe Wunde symbolisieren, die das Attentat im Leben der Betroffenen hinterließ. 

Für viele Menschen teilt der Terroranschlag das Leben in ein „Davor“ und ein „Danach“. „Wir lassen uns in unserem freiheitlichen Leben nicht einschränken“, hieß es direkt nach dem Anschlag von Politikern. Aber vielen hat es das Leben eingeschränkt. Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ist mit sogenannten Überfahrsperren gesichert. Die Weihnachtsbäume können die metergroßen Metallklötze nur schwer verdecken. Der Platz gleicht einer Festung – 365 Tage im Jahr. Die Polizei ist hier eigentlich immer präsent, auch wenn die martialischen Auftritte mit Maschinenpistolen in diesem Jahr nicht mehr stattfinden. Voll ist es trotzdem.

Frank Hoedt war als Ersthelfer am Anschlagsort. Die Erinnerungen quälen ihn bis heute. Bild: rbb

Vor den Buden sammeln sich die Menschen, trinken, essen, lachen. Nur an den Stufen ist immer viel Platz. Es ist eine unsichtbare Barriere, fast als würden alle vor dem Schrecken zurückweichen. Doch immer wieder überwinden Menschen den Raum, bleiben vor den Fotos der Toten stehen, schweigend. Für ein Paar gehört dieses Innehalten zu den Besuchen auf dem Weihnachtsmarkt dazu. Die beiden waren nur wenige Tage vor dem Anschlag hier. Für sie fühlt es sich an, als hätten auch sie überlebt. Sie kommen jedes Jahr wieder und bleiben stehen. Bis heute, so erzählen sie, ist es schwer, die Tat zu begreifen.  

„Ist etwas passiert?“  

Auf der anderen Seite sind da Menschen, die gar nicht wissen, was damals passiert ist. Die wirken überrascht, wenn sie die Blumen und Kerzen sehen. Vor zwei Jahren wurde Feuerwehrmann Frank Hoedt am Jahrestag auf dem Platz gefragt, warum so viele Feuerwehrleute dort sind. „Ist etwas passiert?“ – eine Frage, die bei ihm und den anderen Feuerwehrleuten großes Unverständnis auslöste. Wie kann jemand ein Ereignis, das so viele Menschenleben zerstört, das ihr Leben so erschüttert hat, das diese Stadt so getroffen hat, einfach vergessen? 

Es war der bislang schlimmste islamistische Terroranschlag in Deutschland. Es war der Moment, in dem auch dieses Land, nach den USA, nach Spanien, Frankreich, Großbritannien zum Ziel von Terroristen wurde. Inzwischen verblassen diese Erinnerungen – kamen ein Jahr nach dem Anschlag noch 1000 Menschen zum  öffentlichen Teil der Gedenkveranstaltung dazu, waren es im vergangenen Jahr vielleicht knapp 100.  

13 Namen: die Toten des Anschlags. Bild: rbb

13 Glockenschläge

In diesem Jahr werden es wieder mehr sein. Zum Ökumenischen Gedenkgottesdienst wird auch der Bundespräsident erwartet. Die Sicherheitsvorkehrungen sind dementsprechend hoch. Der Breitscheidplatz wird weiträumig abgesperrt. Der Gottesdienst wird für die, die nicht kommen können oder wollen, live übertragen. Auch Angehörige der Opfer, Retter, Ersthelfer werden dort sein. So wie in jedem Jahr. Eines aber hat sich verändert: Am Abend um 20:02 Uhr werden auch in diesem Jahr die Glocken der Gedächtniskirche für die Toten läuten – doch statt wie bisher zwölf Schläge sind es jetzt 13. Dann ist Stille.

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