Die Union ist just im Superwahljahr in einem miserablen Zustand. Lobbyverfehlungen und Korruptionsfälle in CDU und CSU häufen sich. Längst ist es unübersichtlich geworden. Eine Bestandsaufnahme.

Wer regiert uns da eigentlich? Das mag sich so manche Wählerin, so mancher Wähler nicht nur der Unionsparteien in den vergangenen Wochen gefragt haben. Bereicherung am Corona-Maskenverkauf, Kungeleien, Ermittlungen, Mandatsverzichte und Parteiaustritte – CDU und CSU geben zu Beginn des Superwahljahres ein verheerendes Bild ab. Die Fälle von Korruptionsverdacht und Lobbyverfehlungen haben Ausmaße angenommen, die den Parteichefs Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) nur wenige Argumente gegen den Vorwurf eines strukturellen Problems lassen.

Die sogenannte Transparenz-Offensive als Reaktion auf die ersten Fälle der Maskenaffäre ist verpufft. Die am vergangenen Freitag von allen Bundestagsabgeordneten der Union abgegebene Ehrenerklärung konnte nicht beruhigen, die zur Schau gestellte Erleichterung ist längst wieder verflogen. Denn weitere Fälle von Lobbyverfehlungen sind bekannt geworden oder weiter anhängig. Längst ist die Lage unübersichtlich geworden.

Eine Bestandsaufnahme der aktuell bekannten Fälle zeigt: Es häuft sich.

Am Anfang der Maskenaffäre: Georg Nüßlein (CDU)

Ende Februar wird das Bundestagsbüro des CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein durchsucht; Korruptionsermittlungen werden aufgenommen. Es geht um 660.000 Euro, die Nüßlein über eine Beraterfirma als Provision kassiert haben soll, ohne diese steuerlich geltend zu machen. Er soll sich im Sommer 2020 für die Vergabe von Aufträgen für Corona-Schutzmaßnahmen an eine hessische Firma eingesetzt haben. Nüßlein war seinerzeit Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Inzwischen ist er von allen Ämtern zurückgetreten und hat auch die CSU verlassen.

Der Fall Nikolas Löbel (CDU)

Schnell wird klar, dass Nüßlein kein Einzelfall ist. Auch gegen den Mannheimer CDU-Abgeordneten Nikolas Löbel werden Anfang März Vorwürfe bekannt. Löbel gibt schließlich zu, dass seine Firma für die Vermittlung von Aufträgen für FFP2-Masken Provisionen in Höhe von rund 250.000 Euro erhalten hat. Löbel bezeichnete die Provision als marktgerecht, bekannte aber, ihm sei nicht klar gewesen, wie heikel der Deal in Pandemie-Zeiten sei. Als Folge der Vorwürfe zieht Löbel sich aus der CDU/CSU-Fraktion und dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags zurück. Erst auf anhaltenden politischen Druck gibt er auch sein Bundestagsmandat sofort zurück und nicht erst zum Ende der Legislaturperiode am 31. August. Zudem tritt er aus der CDU aus.

Aserbaidschan-Lobbyismus: Mark Hauptmann (CDU)

Der Thüringer CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann entzieht sich der Abgabe der geforderten Ehrenerklärung der Unionsabgeordneten, indem er einen Tag zuvor sein Mandat niederlegt und sich aus der Politik zurückzieht. Hauptgrund: Hauptmann soll aktiv Lobbyarbeit für autokratische Systeme, vor allem Aserbaidschan, geleistet haben. Er bestreitet zwar öffentlich, von Aserbaidschan für seine Leistungen Geld erhalten zu haben oder korrupt zu sein, eine Offenlegung seiner Nebeneinkünfte lehnt er aber ab. Auch in der Maskenaffäre bestreitet Hauptmann, Geld bekommen zu haben. Allerdings bestätigt die CDU Thüringen zumindest, dass ein Frankfurter Maskenlieferant im Januar 2021 7000 Euro an Hauptmanns CDU-Kreisverband gezahlt habe, dessen Vorsitzender das damalige Bundestagsmitglied war. Der Betrag soll nun gespendet werden.

Die „Aserbaidschan-Affäre“

Hauptmann schlägt den Bogen hin zu einer seit Jahren schwelenden Affäre der Union, in der es um fragwürdigen Lobbyismus zugunsten des autoritären Systems in Aserbaidschan geht. Zuletzt dabei im Fokus: Der CDU-Abgeordnete Axel Fischer, dessen Immunität der Bundestag vor zwei Wochen aufgehoben hat, um Ermittlungen gegen den 54-Jährigen zu ermöglichen. Fischer wird vorgeworfen, sich gegen Geldzahlungen positiv über das Regime in Baku geäußert zu haben, was er bestreitet. Am Mittwoch wird bekannt, dass die CDU-Fraktion die Ablösung Fischers als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestags beantragen will. Andere Namen von CDU-Politikern, die unter anderem im Zusammenhang mit der Affäre genannt werden: Karin Strenz, gegen die wegen des Verdachts der Bestechlichkeit, Bestechung und Geldwäsche ermittelt wird. Die 53-Jährige hatte 2014 und 2015 eine fünfstellige Summe von einer Firma erhalten, die als Finanzier aserbaidschanischer Lobbyarbeit gilt. Diese wurde wiederum geführt vom CSU-Abgeordneten Eduard Lintner, gegen den ebenfalls wegen des Verdachts der Korruption ermittelt wird. 

Maskenaffäre: Alfred Sauter (CSU) fünfter Verdächtiger

Die Maskenaffäre erreicht auch den bayerischen Landtag. Am Mittwoch lässt die Generalstaatsanwaltschaft München das Abgeordnetenbüro von Alfred Sauter durchsuchen, der Mitglied im CSU-Vorstand ist, früher bayerischer Justizminister war und als Vertrauter von Bundesinnenminister Horst Seehofer gilt. Die CSU-Parteiführung fordert von Sauter den Verzicht auf alle Parteiämter und das Ruhenlassen seines Mandats. Insgesamt ist Sauter der fünfte konkret Verdächtige im Maskenskandal. Auch bei ihm geht es um den Anfangsverdacht der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchen zehn Objekte in München und im Regierungsbezirk Schwaben, darunter das Abgeordnetenbüro, die Geschäftsräume und die Privaträume des 70-jährigen Sauter, gegen den auch der bayerische Landtag ein Prüfverfahren eröffnet. Laut „Augsburg Allgemeinen“ soll Sauter über ein Treuhand-Konstrukt 1,2 Millionen Euro bezogen haben. Der CSU-Politiker bestreitet die Vorwürfe.

Maskenaffäre und Co.: Es häuft sich: Die Lobby-Verfehlungen der Union im Überblick

Maskenaffäre: „Alte Seilschaften“ der JU

Laut Recherchen des ARD-Magazins „Report München“ und der „Augsburger Allgemeinen“ steht hinter dem Maskenskandal offenbar ein Netzwerk aus Junge-Union-Zeiten in Bayern. Georg Nüßlein, mit dem die Affäre ihren Anfang nahm, und ein in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ebenfalls als Beschuldigter geführte Geschäftsmann Michael K. waren in den 1990er-Jahren in benachbarten Kreisen jeweils Chefs der örtlichen JU – Nüßlein übrigens im Landkreis Günzburg, für den der jüngste Beschuldigte Alfred Sauter im bayerischen Landtag sitzt. Nüßlein machte weiter Politik-Karriere, Michael K. ging in den Lobbyismus. Aus den Recherchen des TV-Magazins und der Tageszeitung geht weiter hervor, dass E-Mails und Aussagen von Betroffenen vorliegen, wonach K. zusammen mit einem weiteren Beschuldigten in der Maskenaffäre Druck auf Unternehmen gemacht hätten, Masken-Geschäfte über sie und Nüßlein abzuwickeln, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Das alles ist Gegenstand von Ermittlungen.

Joachim Pfeiffer: Beratungsfirmen über Wahlkreisbüro?

Auffällig wird der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer aufgrund von Recherchen von „Zeit online“. Danach trennt der Politiker seine politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten nicht sauber, was er bestreitet. Während der Recherchen seien die Beratungsfirmen Pfeiffers über die Telefonnummer des Wahlkreisbüros erreichbar gewesen, heißt es. Zudem sei die Nummer des Büros bei Wirtschaftsauskunfteien als Firmenanschluss gelistet. Pfeiffer bestreitet, damit etwas zu tun zu haben. Konkrete Vorwürfe gegen den Abgeordneten gibt es nicht, die SPD-Bundestagsfraktion sagt wegen der Konstellation aber die bereits überfälligen Verhandlungen über die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetz ab. Daran wäre Pfeiffer als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher maßgeblich beteiligt. Nun aber befürchten die Sozialdemokraten weitere Lobbyverstrickungen, da Pfeiffer sich immer wieder kritisch zu erneuerbaren Energien geäußert habe. Auch Georg Nüßlein war an den Verhandlungen beteiligt, ehe er sie wegen der Ermittlungen gegen ihn verlassen musste.

Philipp Amthor: Aktienoptionen für Lobbyarbeit

Angesichts der jüngsten Fälle fast schon vergessen ist der Fall Philipp Amthor. Der junge Shooting Star der Union gerät im Sommer vergangenen Jahres in die Kritik, weil er sich über CDU-Kanäle bis in Bundesministerien hinein für das US-Unternehmen „Augustus Intelligence“ eingesetzt hatte, bei der der frühere Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Vorstand tätig war. Für seinen Einsatz werden Amthor lukrative Aktienoptionen gewährt. Amthor gibt wegen der Affäre und angesichts des öffentlichen Drucks schließlich seine Kandidatur für den Vorsitz der CDU in Mecklenburg-Vorpommern auf. Erst kürzlich wird er jedoch mit großer Mehrheit auf Platz eins der Landesliste für die kommende Bundestagswahl gewählt.

Die Häufung der Fälle seit dem vergangenen Sommer trifft die Union im Superwahljahr ins Mark. Jüngste Umfragen sehen CDU und CSU erstmals seit Beginn der Coronakrise wieder unter 30 Prozent im Bund. CDU-Chef Armin Laschet verurteilte die Beteiligten am Maskenskandal mit harschen Worten. Dabei war er selbst im vergangenen Jahr noch Teil eines Vorgangs mit Geschmäckle. Das Land Nordrhein-Westfalen hatte zu Zeiten der ersten Corona-Welle bei einer ebenfalls in dem Bundesland ansässigen Textilfirma Stoffmasken bestellt – für satte 1,25 Millionen Euro. Den Kontakt zu der Firma stellte Joe Laschet her, der Sohn des Ministerpräsidenten.

Tobias Zech: mögliche „Interessenkollisionen“

Die jüngste Hiobsbotschaft für die Union kam am Freitag mit dem Rücktritt des CSU-Manns Tobias Zech. Der Bundestagsabgeordnete legte wegen möglicher „Interessenkollisionen“ sein Mandat und seine Parteiämter nieder, bestätigte CSU-General Markus Blume entsprechende Medienberichte. Zech begründete seinen Schritt in einer SMS an Parteifreunde: „Ich tue dies zum Schutz meiner Familie und um Schaden von meiner Partei durch mögliche pauschale Vorverurteilungen abzuwenden.“

Mit der aktuellen Affäre um Corona-Schutzmasken hat der Rücktritt aber offenbar nichts zu tun. Hintergrund sind vielmehr Vorwürfe, Mandat und unternehmerische Tätigkeiten miteinander verquickt zu haben: Laut der „Passauer Neuen Presse“ war Zech mit seiner Beraterfirma damals etwa im mazedonischen Wahlkampf für die konservative Regierungspartei VMRO tätig, nahm parallel aber auch einen Wahlkampftermin als Abgeordneter wahr.

„Tobias Zech hat sich an den Ethikausschuss der CSU mit der Bitte gewandt, mögliche Interessenkollisionen zu prüfen. Diese Prüfung dauert an“, sagte CSU-General Blume. Dass Zech unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung unmittelbare Konsequenzen ziehe, sei folgerichtig, um Schaden von der CSU abzuwenden. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt begrüßte den Schritt. 

Quellen: Nachrichtenagenturen DPA, AFP, „Die Zeit“; Bayerischer Rundfunk, „Augsburger Allgemeine“/Fall Nüßlein, „Augsburger Allgemeine“/Fall Sauter, RND, ZDF

DPA

Artikelquelle

Artikel in der gleichen Kategorie: