In der Corona-Krise wird Deutschland zu einem tief gespaltenen Land. Auf der einen Seite steht die große Mehrheit der Bevölkerung, die gar keine oder nur geringe Einbußen infolge der Pandemiebekämpfung spürt und sich wenig Sorgen um die eigene Zukunft macht. Vor allem Rentner, Beamte und ein Großteil der Arbeitnehmer zählen zu dieser begünstigten Gruppe.

Auf der anderen Seite erlebt ein Teil der Gesellschaft einen beispiellosen wirtschaftlichen Absturz. Besonders Selbstständige in extrem getroffenen Branchen sowie Beschäftigte, denen krisenbedingt gekündigt wurde, gehören in Corona-Zeiten zu den großen Verlierern. Noch ist diese Gruppe stark in der Minderheit, doch sie wächst, denn die Arbeitslosigkeit breitet sich rasant aus.

Wie tief die neue Kluft in der Gesellschaft ist, belegen die aktuellen Daten des Haushaltskrisenbarometers, das vom Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Nielsen und der Goethe-Universität Frankfurt erstellt wird.

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Seit Ende März werden dafür regelmäßig Haushalte befragt, die Ergebnisse sind repräsentativ. Mit 81 Prozent muss das Gros der Bevölkerung bisher keinen Einkommensrückgang verkraften, und 72 Prozent erwarten dies auch für die kommende Zeit nicht. 14 Prozent rechnen sogar mit steigenden Einkünften.

Damit hat sich die Stimmung gegenüber der ersten Umfrage Ende März weiter entspannt. Zu Beginn des Shutdowns der Wirtschaft hatten noch 17 Prozent finanzielle Einbußen erwartet, nun sagen dies nur noch zwölf Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Die Entspannung schlägt sich auch im Konsumverhalten nieder. So wollen derzeit knapp zwei Drittel der Bevölkerung auf geplante größere Anschaffungen im Wert von mindestens 250 Euro weder verzichten noch diese verschieben. Vor sechs Wochen war die Verunsicherung in der Bevölkerung noch deutlich größer gewesen.

Damals hatten nur 54 Prozent angegeben, an größeren Käufen unverändert festhalten zu wollen. Offensichtlich sehen die meisten Deutschen auch keine Notwendigkeit, wegen der Corona-Krise besondere Vorsorge zu betreiben. Drei Viertel der Befragten haben ihr Sparverhalten nicht verändert.

Finanzielle Einbußen für 3,5 Millionen Deutsche

Während der eine Teil der Gesellschaft also bislang erstaunlich gut durch die schwerste Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs kommt, treffen die politisch veranlassten Kontaktbeschränkungen und die Schließung vieler Betriebe Millionen andere Menschen dafür umso brutaler. 2,1 Millionen Bürger erleiden bereits existenzbedrohende finanzielle Verluste.

Dies ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag der Postbank, wie die WELT AM SONNTAG berichtete. Weitere 3,5 Millionen Deutsche verzeichnen erhebliche finanzielle Einbußen, 14,4 Prozent immerhin leichte Kürzungen. Insgesamt muss damit mehr als ein Fünftel der Bevölkerung mit weniger Geld auskommen als vor der Krise.

Das Haushaltskrisenbarometer zeigt, dass es vor allem die Selbstständigen sind, die vielfach in arge finanzielle Schwierigkeiten geraten – trotz der zur Rettung der Wirtschaft bereitgestellten umfangreichen staatlichen Hilfen. So erzielen lediglich 38 Prozent der Freischaffenden unveränderte Einkünfte.

Quelle: Infografik WELT

Bei elf Prozent der Selbstständigen sind die Einkommen um mehr als 80 Prozent weggebrochen; weitere elf Prozent registrieren einen Rückgang um 50 bis 80 Prozent. Auch die Perspektive wird von vielen Erwerbstätigen, die auf eigene Rechnung arbeiten, derzeit deutlich düsterer eingeschätzt als von den angestellten Beschäftigten.

Gravierend sind die wirtschaftlichen Schäden schon jetzt etwa für den Tourismussektor oder die Gastronomie. Im Handel haben die Geschäftsschließungen tiefe Spuren hinterlassen. Auch die gesamte Veranstaltungs-, Kultur- und Messebranche leidet schwer unter der Krise.

„Deutschland ist in der Krise zweigeteilt“, sagt Andreas Hackethal vom Leibniz-Institut SAFE. „Besonders diejenigen, die als Selbstständige unternehmerisches Risiko eingegangen sind, müssen Einkommenseinbußen und unsichere Aussichten verkraften“, sagt der Finanzwissenschaftler.

Andere Bevölkerungsgruppen wie etwa Rentner oder Beamte müssten sich dagegen überhaupt keine Sorgen machen, denn sie seien in der Krise sicher. „Und beide Welten haben oftmals gar nichts miteinander zu tun, weshalb die enormen Probleme der stark Betroffenen von vielen anderen Menschen gar nicht gesehen werden“, sagt der Ökonom.

Allerdings dürften sich viele Angestellte sicherer wähnen, als sie es tatsächlich sind. Denn wie jüngste Daten des Ifo-Instituts verdeutlichen, macht sich die Corona-Krise immer stärker auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar.

Quelle: Infografik WELT

Zwar puffert das Kurzarbeitergeld, das die Unternehmen für mehr als zehn Millionen Arbeitnehmer beantragt haben, die Wucht des historischen Konjunktureinbruchs derzeit noch stark ab. Doch der massive Konjunktureinbruch wird in vielen Branchen Jobs kosten.

Laut Ifo-Konjunkturumfrage haben im April bereits 58 Prozent der Betriebe in der Gastronomie, 50 Prozent in Hotels und 43 Prozent der Reisebüros beschlossen, Beschäftigte zu entlassen oder befristete Verträge nicht zu verlängern. In der Autobranche sind es 39 Prozent der Betriebe. „Von nun an schlägt die Krise auf den deutschen Arbeitsmarkt durch“, stellt Ifo-Ökonom Klaus Wohlrabe fest.

Jeder fünfte Betrieb will Jobs abbauen

Unter den Zeitarbeitsfirmen und Personalvermittlern reduzieren fast 60 Prozent ihre Belegschaften, bei den Lederwaren- und Schuhherstellern entlässt jedes zweite Unternehmen Mitarbeiter, in der Metallherstellung sind es wie bei Druckereien rund 30 Prozent.

Quer über alle Branchen ist fast jeder fünfte Betrieb dabei, Stellen zu streichen – ein beispielloser Absturz. Auf viele Beschäftigte, die sich trotz Rezession noch gut geschützt wähnen, kommen bald schwere Zeiten zu.

Dennoch gibt es etliche Bereiche, denen die schlechte wirtschaftliche Lage tatsächlich nichts anhaben kann. So sind etwa Beschäftigte in Rechtsanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkanzleien derzeit kaum von Entlassungen betroffen. Das Gleiche gilt für das Wohnungswesen, den Bau sowie die Chemie- und Pharmaindustrie. In vielen Unternehmen, die Corona-bedingt den Betrieb heruntergefahren haben, läuft inzwischen die Produktion wieder an.

Für Gaststätten, Hotels und andere Betriebe wie etwa Fitness- und Nagelstudios sind zumindest Lockerungen beschlossen worden oder werden vorbereitet. Dabei gelten je nach Bundesland Unterschiede, zumal die Zahl der Infektionen regional stark variiert.

Quelle: Infografik WELT

Mit den beschlossenen Lockerungen ändert sich auch der Arbeitsalltag vieler Beschäftigter. Wie das Haushaltskrisenbarometer zeigt, kehren bereits viele Mitarbeiter aus dem Homeoffice zurück an den Arbeitsplatz. Von den Befragten, die prinzipiell im Homeoffice arbeiten können, nutzt dies inzwischen nur noch knapp die Hälfte ausschließlich.

Ende März waren es 62 Prozent. Stattdessen häufen sich die Fälle, in denen das Homeoffice manchmal, aber nicht ausschließlich genutzt wird: Dies geben 34 Prozent an, gegenüber 23 Prozent zu Beginn des Shutdown.

Dazu passt, dass nur noch 58 Prozent der Befragten in der aktuellen Umfrage angaben, die Öffentlichkeit zu meiden. Ein deutlicher Rückgang gegenüber Ende März, als noch fast 80 Prozent sich aus Angst vor einer Ansteckung kaum in die Öffentlichkeit wagten.

Kaufprämien oder Konsumgutscheine bringen wenig

Für den Frankfurter Ökonomen Roman Inderst gibt das Haushaltskrisenbarometer einen Hinweis darauf, welche staatliche Konjunkturförderung die Politik auf jeden Fall unterlassen sollte: „Unsere Daten zeigen, dass eine Ankurbelung der Binnennachfrage wenig bringen würde.“

Solche Konjunkturanreize setzten voraus, dass selbst dann, wenn die Produktion wieder normal verlaufe und die Geschäfte geöffnet seien, die Nachfrage krisenbedingt ausbleibe. „Unsere Umfrageergebnisse bestätigen diese Befürchtungen nicht oder zumindest nicht in dieser Schärfe“, betont Inderst.

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Dabei kommen immer neue Vorschläge zur Ankurbelung der Konjunktur. So pocht die Automobilindustrie auf eine staatliche Kaufprämie, um der schwer angeschlagenen Schlüsselbranche auf die Beine zu helfen. Die Grünen schlagen Konsumgutscheine für alle Bürger vor, mit denen Händler in der Region unterstützt werden sollen.

Andere Länder haben gar schon sogenanntes Helikoptergeld unters Volks gestreut: In Hongkong und den USA erhalten alle Bürger einen Geldbetrag vom Staat.

Kritiker rechnen allenfalls mit einem Strohfeuereffekt. Entscheidend für das Konsumklima in den nächsten Wochen und Monaten dürfte in der Corona-Krise ohnehin vor allem die Frage sein, ob die jeweiligen Länder die Pandemie nachhaltig in den Griff bekommen.

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