Im Prozess um den hundertfachen Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde sind die Angeklagten zu hohen Haftstrafen und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Landgericht Detmold verhängte am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren gegen den 56-jährigen Andreas V., der 34-jährige Mario S. erhielt zwölf Jahre. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung für die beiden Männer an – zu groß sei das Risiko, dass sie sich nach der verbüßten Haft wieder an Kindern vergehen würden, begründete das Gericht.

Auf dem Campingplatz im lippischen Lügde hatten die beiden jahrelang und hundertfach insgesamt 32 Kinder sexuell missbraucht. Die Pressestimmen.

„Mitteldeutsche Zeitung“ (Halle)

„Der Kinderschutz in Deutschland wird künftig in eine Zeit vor und nach Lügde eingeteilt werden. Auf den Behörden, der Polizei und allen, die mit Kindern zu tun haben, ruht jetzt eine neue Last: Ist künftig wirklich ausgeschlossen, dass Jugendamtsmitarbeiter schutzbefohlene Kinder in falschen Hände geben? Ist ausgeschlossen, dass sie alle Hinweise auf Missbrauch ignorieren? Ist wirklich ausgeschlossen, dass die Polizei Hinweise auf solch grauenvolle Taten auf die leichte Schulter nimmt und am Ende sogar bei der Beweissicherung schlampt? Versprechen kann dies niemand. Aber Politik und Behörden sollten alles dafür tun, dass sich ein solcher Fall von Staatsversagen nicht wiederholt.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“

„Der Staat kann nicht jedes Verbrechen verhindern, schon gar nicht jedes, das in „Nähebeziehungen“ und gesellschaftlichen Schutzräumen begangen wird. Hier aber gab es mehrere Hinweise, dass es sich bei dem Haupttäter um einen Kinderschänder handeln könnte. Schon aufgrund der äußeren Umstände muss man sich fragen, wie der Mann als Pflegevater eines kleines Mädchens anerkannt werden konnte – das er dann als eine Art Lockvogel für weitere Opfer einsetzte. Nicht nur wurden Warnungen nicht beachtet; es gab Ermittlungspannen, Beweismittel verschwanden. Nun muss darauf nicht gleich eine große Polizeireform folgen. In Fall eines jeden Versagens muss gesondert geprüft werden, ob strukturelle Defizite vorliegen. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages arbeitet den Komplex (partei)politisch auf.“

„Aachener Zeitung“

„Mit der Verurteilung der Täter ist Lügde keineswegs beendet. Entscheidend wird sein, dass nach der Erkenntnis die richtigen Konsequenzen aus dem Skandal auch tatsächlich gezogen werden. Künftig werden wir von einer Zeit vor und einer nach Lügde sprechen. Und nach Lügde kann es nur heißen: mehr Prävention, mehr Personal, mehr Aufmerksamkeit.“

„Badische Zeitung“ (Freiburg)

„Strafrechtlich ist der Fall Lügde mit dem Urteil des Landgerichts Detmold zumindest vorerst abgeschlossen. Die beiden Hauptbeschuldigten müssen lange Zeit in Haft, und sie werden auch nach Verbüßung erst einmal nicht freikommen. Das Unbehagen an diesem Richterspruch liegt weniger am Urteil als am Verfahren. Wie etwa im Fall Staufen saßen in Detmold nur zwei Beschuldigte auf der Anklagebank. Wieder einmal blieben jene unsichtbar und nicht belangt, die eine Mitverantwortung tragen. Die Mitarbeiter zweier Jugendämter, Polizisten, aber auch Eltern, die nicht so genau wissen wollten, was mit ihren Kindern geschieht.“

„Hannoversche Allgemeine“

„Das Urteil fällt so hart aus, wie es die Gesetze in Deutschland eben ermöglichen: Die Täter werden in ihrem Leben nicht mehr auf freien Fuß kommen. Die Justiz also hat funktioniert im Missbrauchsfall von Lügde. Das sollte selbstverständlich sein in einem Rechtsstaat – aber die immer neuen Horrorgeschichten vom Wohnwagen mit Bretterverschlag, in dem Kinder gequält wurden, haben viele Selbstverständlichkeiten zerstört. Dem Staat und seinen Organen möchte man nur allzu gern vertrauen. Man kann es aber nicht immer, sie haben ausgerechnet dann versagt, als es um den Schutz der wehrlosesten Mitglieder der Gesellschaft ging. Mit Lügde wird daher immer eine tiefe Verstörung und Fassungslosigkeit verbunden sein. Daran kann auch ein noch so hartes Urteil nichts ändern.“

„Stuttgarter Zeitung“

„Eine Kommission muss eingesetzt werden, die das Versagen der Behörden aufklärt. Nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern mit dem professionellen Interesse, Fehler in der Zusammenarbeit der Behörden auszumachen – und künftig zu verhindern. Sollten die noch laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Vermutung bestätigen, müssen die Verantwortlichen bei Jugendamt, Polizei und Jugendhilfeträgern wegen Verletzung der Fürsorgepflicht strafrechtlich belangt werden.“

„Allgemeine Zeitung“ (Mainz)

„Das Urteil ist eine Warnung an alle Täter. Aber es ist auch eine Mahnung für alle Ermittler (…). Ebenso für die Politik, weil die Behörden, die Missbrauch verhindern und ahnden sollen, nicht in dem Maße auf ihre Aufgabe vorbereitet sind, wie sie es sein müssten. Und es ist eine Mahnung für die gesamte Gesellschaft. Man weiß es doch: Die meisten Missbrauchsfälle gibt es im Familien- oder Bekanntenkreis. Und die meisten Täter kommen deshalb davon, weil andere wegsehen. Mit alldem muss Schluss sein. Auch im Namen der Opfer von Lügde.“

„Süddeutsche Zeitung“ (München)

„Mit den Urteilen gegen die Hauptangeklagten ist der in Lügde geschehene massenhafte sexuelle Missbrauch von Kindern strafrechtlich erledigt, vorerst. Zu klären bleibt, inwieweit womöglich behördlicher Gleichmut dazu beigetragen hat, dass das unerhörte Treiben auf einem Provinz-Campingplatz nicht früher gestoppt wurde. (…) In jeder Schulkasse sitzen statistisch betrachtet ein bis zwei Kinder, die solche Erfahrungen machen mussten. All diese Fälle zusammen sind Tausende Mal größer als Lügde. Sie zu erkennen, schützt Kinder. Dazu müssen diese von Lehrern beobachtet werden, die Missbrauchsanzeichen deuten können. Sozialarbeiter in Jugendämtern müssen sicher urteilen und sich trauen, konsequent zu handeln. Um die Polizei einzuschalten, darf nicht Mut erforderlich sein, sondern fachliche Überzeugung. Solche Fachkräfte gibt es zu wenige.“

„Reutlinger General-Anzeiger“

„Der wohl schlimmste bekannt gewordene Fall von Kindesmissbrauch in der jüngeren deutschen Geschichte ist mit dem gestrigen Urteil aber noch lange nicht zufriedenstellend aufgearbeitet. Allzulange ließen die Behörden die Sexualstraftäter gewähren. Hinweisen wurde nicht nachgegangen. Dem Dauercamper wurde sogar noch eine Pflegetochter anvertraut. Zudem sollen Akten manipuliert worden sein. Hier hat offensichtlich der Staat versagt. Er ist seiner Aufgabe, die Kinder so gut wie möglich zu schützen, nicht nachgekommen und hat sich mit schuldig gemacht. Auch dies muss gründlich aufgearbeitet werden. Ähnliches darf nie wieder geschehen.“

„Stuttgarter Nachrichten“

„Bleibt die Frage, wann die Behörden Lehren ziehen aus Missetaten wie in Lügde oder Staufen. Es braucht eine Kultur des Hinschauens, flankiert von kriminologischer Expertise, die um die perfiden Täterstrategien weiß. Es kann gerade der kinderliebe Nachbar sein, der Stiefvater oder die eigene Mutter. Beamte müssen ihr Vorstellungsvermögen erweitern, misstrauischer werden. Gefordert sind aber auch Eltern – indem sie ihre Kinder ernst nehmen, ihnen zuhören, sie aufklären. Selbstbewusstsein kann schützen.“

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