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Berlin – Erst die Probe aus der Nase, dann Pauken mit Maske. An Berlins Schulen gilt ab Montag eine Corona-Testpflicht. Alle Schüler und Schülerinnen holen nicht nur ihre Füller aus den Federtaschen, sondern davor den Teststab aus der Plastikhülle.
Erst nach Nasenabstrich und negativem Antigen-Schnelltest auf das Sars-CoV-2-Virus dürfen sie am Unterricht teilnehmen. So will es Schulsenatorin Sandra Scheeres (51, SPD). Zwei Tests pro Woche sind ab sofort Pflicht.
Doch statt für mehr Sicherheit der Kinder, sorgen die Tests erst mal für Riesenzoff unter den Erwachsenen. Undurchdacht und rechtlich unsicher sagen viele Eltern und Pädagogen.
„Rechtlich ist in Bezug auf die kommende Selbsttestung ganz viel unklar“, sagt die Rektorin einer Grundschule in Kreuzberg anonym zu BILD: „Die Eltern haben mich mit Beschwerdebriefen bombardiert. Sie sind extrem empört. Es steht im Raum, dass Lehrer angezeigt werden, wenn etwas schiefgeht.“
Viel Lärm um nichts oder berechtigte Aufregung? BILD erklärt die Diskussion um die Tests und beantwortet die wichtigsten Fragen.
► Wer wird getestet?
Ab Montag müssen alle Schüler zweimal die Woche einen Antigen-Schnelltest machen. Sonst dürfen sie nicht am Unterricht teilnehmen. So sollen infizierte Kinder schneller erkannt und die Verbreitung des Virus an den Schulen verringert werden.
► Wo wird getestet?
Die Schulen können eigene Testräume einrichten, die meisten setzen aber auf Tests im Klassenzimmer vor dem Unterricht. Jutta Niefeldt (61), Rektorin an der Grundschule an der Peckwisch in Reinickendorf: „Ab Montag sitzen die Kinder dann zusammen mit ihrer vertrauten Lehrerin im Klassenzimmer. Es gibt einen Film mit einer Anleitung und dann testen die Schüler sich selbst mit den Stäbchen. Ich bin sicher, dass das klappt. Wir sollten unseren Kindern vertrauen und ihnen Mut machen.“
► Welche Tests werden eingesetzt?
Antigen-Schnelltests, wie man sie seit einigen Wochen auch beim Discounter oder in der Apotheke kaufen kann.
► Wovor haben die Eltern Angst?
Sechsjährige, die sich selbst testen und dann vielleicht mit einem positiven Ergebnis ängstlich auf Mama oder Papa warten müssen? Für viele Eltern eine schreckliche Vorstellung.
Norman Heise (42), Vorsitzender des Landeselternausschuss Berlin und selbst Vater von zwei Kindern: „Wir befürchten, dass Kinder gemobbt oder stigmatisiert werden, wenn sie inmitten ihrer Klasse positiv getestet werden. Viele sind auch unsicher, wie groß die Gefahr ist, wenn sich alle Kinder gleichzeitig in einem Raum testen und dafür auch die Masken ablegen müssen. Was ist, wenn jemand in diesem Moment niesen muss?“
► Sind die Eltern gegen eine Testpflicht?
Norman Heise: „Nein, die meisten nicht. Ich halte das für eine gute Sache, aber viele Eltern sind verunsichert. Die Vorbereitungen sind desolat und wieder einmal wurde von Seiten der Schulverwaltung schlecht kommuniziert. Im Februar war das Testen in der Schule laut Senat noch zu unsicher, jetzt geht es auf einmal. Wir fordern deshalb, dass die Tests weiterhin auch zuhause durchgeführt werden können. Es gibt schon zwei Petitionen von Eltern, die gegen die Testpflicht in Berlin protestieren.“
Dem Berliner Vater Jochen Kolbe (41) reicht das nicht. Er hat für seine beiden Kinder einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gegen die Coronatestpflicht im Klassenzimmer eingereicht. Das Urteil steht noch aus.
► Warum wird nicht mehr zu Hause getestet?
Tom Erdmann (38), Lehrer und Vorsitzender der Gewerkschaft für Wissenschaft und Erziehung (GEW) in Berlin: „Es gibt Schulleiter aus Neukölln und anderen Bezirken, die berichten, dass bis zu 40 Prozent der Schüler angibt, zu Hause keinen Test gemacht zu haben, weil die Eltern nicht wollen oder von den Tests nichts wissen.“
► Warum sind die Lehrer trotzdem gegen die neue Regelung?
Tom Erdmann: „Die Testpflicht ist rechtlich und organisatorisch schlecht umgesetzt. Es bräuchte dafür mehr Personal. Viele Kollegen haben Angst, sich in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen. Es gilt die Schulpflicht, aber man soll Kinder nach Hause schicken. So kann es nicht gehen.“
► Dürfen Kinder, die sich nicht testen wollen, trotzdem am Unterricht teilnehmen?
Rektorin Jutta Niefeldt: „Nein, Kinder, die an der Testung nicht teilnehmen, können nicht am Präsenzunterricht teilnehmen. Wir setzen aber darauf, dass fast alle Eltern ein gemeinsames Interesse an den Tests und der Gesundheit aller Kinder haben.“ Aber: an vielen Schulen laufen Eltern Sturm. 10 bis 15 Eltern haben an der Grundschule (600 Kinder) angekündigt ihre Kleinen zu Hause zu lassen.
► Muss ich mein Kind testen lassen?
Nein. Aber dann darf das Kind nicht in die Schule, sondern muss zu Hause lernen. Die Präsenzpflicht ist in Berlin weiterhin ausgesetzt. Das heißt, die Kinder dürfen weiterhin im Homeschooling angeleitet von den Lehrern lernen. So, wie es während des Lockdowns für alle Schüler galt. Allerdings fürchten Experten, dass die Qualität des Fernunterrichts schlechter ist, als in der Schule vor Ort. Außerdem fehlt der Kontakt zum Rest der Klasse.
► Kann ich auch in ein Testzentrum gehen?
Ja, mit dem negativen Ergebnis aus einem offiziellen Testzentrum, das nicht älter als 48 Stunden ist, darf das Kind am Unterricht teilnehmen.
► Was ist, wenn mein Kind körperlich nicht in der Lage ist, den Test zu machen?
Bei Kindern, die aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, sich zu testen, greift die Härtefall-Regelung. In diesem Fall darf der Test zu Hause durchgeführt und von den Eltern bestätigt werden.
► Wie ist die Lage in den anderen Bundesländern?
12 Länder setzen auf Pflicht, nur Thüringen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz setzen noch auf Freiwilligkeit.
► Was passiert bei einem positiven Testergebnis?
Die Kinder müssen von den Eltern abgeholt werden und einen PCR-Test machen lassen. Die anderen Kinder bleiben im Unterricht.
► Was ist mit der Privatsphäre der Kinder?
„Kinder haben Ängste und sind bei einem positiven Testergebnis im Klassenraum großer Scham ausgesetzt“, sagte Christian Neumann vom Berliner Kinderschutzbund.
Rektorin Jutta Niefeldt ist gelassener: „Sollte es bei einem Kind ein positives Ergebnis geben, informieren wir die Eltern umgehend. Die Kinder können warten und werden während dieser Zeit betreut. Ich denke, dass die Lehrer das gut auffangen können. Und die Eltern können den Kindern helfen, in dem sie sie darauf vorbereiten. Die Schüler wissen, dass ein positiver Test nicht heißen muss, dass man infiziert ist und vor allem nicht, dass man krank wird. Und es ist besser, wir erkennen es, als dass ein Kind andere ansteckt. Das wäre viel schlimmer.“
► Sind die Tests sicher?
„Die Schnelltests schlagen erst am Tag eins nach Symptombeginn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös“, sagte Deutschlands führender Virologe Christian Drosten in der neuesten Folge des Podcasts „Coronavirus-Update“.
Heißt: „An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentest eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen“, so Drosten. Trotzdem sagt der Experte der Charité: „Wir brauchen diese Schnelltests unbedingt“.
Masken und Lüften bleiben aber ebenso wichtig. Eine Studie in Österreich ergab, dass nur rund ein Viertel der infizierten Kinder durch Schnelltests erkannt wurde.
► Gehen die Tests auf Kosten der Unterrichtszeit?
Ja. Die GEW bemängelt das, fürchtet Unterrichtsausfall von bis zu einer Stunde pro Test. Rektorin Jutta Niefeldt sieht das weniger dramatisch: „Man kann das in den Unterricht einbauen und ich bin sicher, dass es sehr schnell geht, wenn sich alle daran gewöhnt haben.“
Auch hier gilt für sie: „Weniger Aufregung durch die Erwachsenen hilft den Kindern. Es bringt nichts, sie ständig zu verunsichern. Im Leben gibt es immer mal Krisen. Es gehört dazu, Kinder darauf vorzubereiten. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, nicht immer nur Probleme sehen, gewinnen alle. Vor allem unsere Kinder.“
Dann gilt: nicht für die Schule, für das Leben testen wir!
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