Weltweit forschen Wissenschaftler an möglichen Therapien gegen das neuartige Coronavirus. Große Hoffnungen ruhen auf sogenanntem therapeutischem Plasma mit Antikörpern. Neu ist der Ansatz nicht, berichtet Professor Cornelius Knabbe im Interview. Er ist Direktor des Instituts für Laboratoriums- und Transfusionsmedizin am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, Universitätsklinik der Ruhr-Uni Bochum.

Herr Professor Knabbe, seit vergangener Woche sollen sich Patienten in Ihrem Institut melden, die von einer Infektion mit dem Coronavirus genesen sind. Auf dem Info-Flyer dazu heißt es: „Ihre Plasmaspende könnte Leben retten: Helfen Sie jetzt!“. Wie genau kann ein ehemaliger Corona-Patient helfen?

Die Menschen, die eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus überstanden haben, haben spezielle Antikörper gegen das Virus im Blut. Antikörper sind Abwehrstoffe, und zwar spezielle Eiweiße, die der Körper gegen Erreger bildet, um sie unschädlich zu machen. Hat sich jemand mit einem Erreger infiziert, beginnen bestimmte weiße Blutkörperchen spezielle Antikörper zu bilden. Auch nach überstandener Erkrankung bilden die Zellen weiter diese Antikörper. Im Falle des neuartigen Coronavirus scheinen diese Antikörper das Virus teilweise bekämpfen zu können. Die Antikörper können also hilfreich für Covid-19- Patienten mit schweren Erkrankungsverläufen sein, die Unterstützung bei der Abwehr des Virus benötigen. Wir wollen jetzt Blutplasma mit den speziellen Antikörpern von Genesenen gewinnen, um dieses dann Schwerkranken als Therapie zu geben. Das Prinzip ist eine Behandlung mit therapeutischem Plasma. Aufrufe wie unseren gibt es inzwischen von mehreren Unikliniken in Deutschland, auch vom Deutschen Roten Kreuz in verschiedenen Bundesländern. Aber wir waren mit die ersten, die die Herstellung und Anwendung dieses therapeutischen Plasmas Ende März genehmigt bekommen haben.

Ist denn nachgewiesen, dass die Gabe von therapeutischem Plasma bei Covid-19 hilft?

Die Situation im Moment ist ja anders als sonst, wo man in Ruhe große klinische Studien durchführt. Es gibt aus China kleine Beobachtungsstudien mit Hinweisen darauf, dass diese Methode helfen kann. Für uns gilt derzeit: Den Patienten sollte es eine Woche nach der Gabe der Plasmapräparate besser gehen. Sonst hat es wohl nichts genützt.

Wie muss man sich das Prozedere ganz praktisch vorstellen?

Die Gesundheitsämter in Ostwestfalen-Lippe schreiben ehemalige Corona-Patienten an, die sich von der Krankheit erholt haben. Sie werden gebeten, sich bei unseren zugehörigen Blutspende-Diensten in Bielefeld, Minden, Bad Oeynhausen, Bünde und Herford zu melden. Ein Arzt befragt die Menschen, die sich melden, zunächst telefonisch. Wichtig ist, dass diejenigen wirklich eine nachgewiesene Corona-Infektion hatten. Dann bestimmen wir mit einer kleinen Blutabnahme, ob, wieviel und welche Antikörper gegen das neue Coronavirus vorhanden sind. Etwas später werden dem Spender über eine sogenannte Plasmapherese in kleinen Portionen insgesamt etwa 750 Milliliter Blut über eine Vene entnommen und dann aufbereitet. Die Zellen des Blutes, rote und weiße Blutkörperchen, werden wieder an den Spender zurückgegeben. Das Plasma, also die Flüssigkeit des Blutes mit den Antikörpern, fließt in einen Sammelbeutel. Die Prozedur dauert 30 bis 40 Minuten. Nach der Aufbereitung und späteren Verarbeitung können schwer kranke Covid-19-Patienten 250-Milliliter-Beutel mit therapeutischem Plasma als Tropf bekommen. Man kann sagen: Ein Spender kann mit einer Spende einem Covid-19-Patienten helfen.

Wenn man das Plasma mit den Antikörpern spendet – hat man selbst dann noch genug Antikörper im Blut?

Der Spender muss sich keine Sorgen machen. Die speziellen Antikörper werden ständig nachgebildet. Theoretisch könnte man die Prozedur jede Woche durchführen, ohne dass es dem Spender schadet. Zur normalen Blutspende hingegen soll man ja nur einmal im Quartal gehen.

Mikroskopaufnahme des Corona-Virus

Welchen Stellenwert hat das therapeutische Plasma im Moment?

Bislang gibt es keine speziellen Therapien für Covid-19. Ein paar Arzneien werden jetzt in Studien getestet: Remdesivir, ein Ebola-Medikament, und Chloroquin, ein Malaria-Mittel. Aber teils gibt es sie nur in eingeschränkter Menge, teils ist nicht klar, wie gut sie wirken und mit welchen Nebenwirkungen. Therapeutisches Plasma ist bei Sars CoV-2 eine Brückentechnologie für besonders schwere Fälle: Wir versuchen, mit dem Verfahren Zeit zu überbrücken, bis es andere Möglichkeiten der Therapie gibt. Therapeutisches Plasma wurde aber auch schon in der Vergangenheit bei anderen Epidemien eingesetzt: etwa 2009 bei Influenza H1N1, der „Schweinegrippe“, und in einzelnen Fällen bei dem Sars-Virus, das 2002/2003 grassierte. Und die Methode hilft derzeit im klinischen Alltag zum Beispiel auch bei Patienten nach einer Herztransplantation, wenn die sich mit einem bestimmten Virus infiziert haben. Das Prinzip therapeutisches Plasma oder aus Plasmaspenden gewonnene Antikörpern ist also durchaus bekannt.

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