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„Hattet ihr auch so eine harte Nacht?“, fragt der Moderator scherzhaft die fast voll besetzte Konferenzhalle in einem Berliner Kongresshotel. Doch der Witz schlägt nicht besonders ein. Auch seine Bemerkung, er könne sich an die Exzesse der letzten Nacht nicht einmal mehr erinnern, entlockt den Besuchern nur ein müdes Lächeln. Vielleicht war der Witz einfach schlecht, vielleicht ist das Publikum der International Cannabis Business Conference in Berlin auch einfach zu erwachsen für solche Gags.
Denn wer hier nur Kiffer erwartet hat, der liegt falsch. Zwar weht vom Eingangsbereich hier und da eine Brise Gras-Geruch in die Konferenzhalle, doch die meisten der knapp 1000 Teilnehmer sind vor allem wegen des Geschäfts hier. Laut den Veranstaltern sind sie aus fast 50 Ländern angereist, um sich auf der Konferenz über das Business rund um Cannabis auszutauschen. Viele tragen Anzug, Hemd und Joggingschuhe. Knapp 700 Euro kostet das Ticket für die zweitägige Veranstaltung.
Cannabis von Lesotho nach Deutschland
Lana Korneva kommt aus München. Sie ist Geschäftsführerin von Drapalin. Das Unternehmen hat einen neuen Produktionsort für Cannabis aufgetan. Als erste Firma überhaupt bringt Drapalin medizinisches Cannabis vom afrikanischen Kontinent in deutsche Apotheken. Die Produktionsstätte liegt im von Südafrika umschlossenen Königreich Lesotho.
„Wir haben eine kalifornische Blüte mit einer lokalen Blüte gekreuzt und bringen nun ein komplett neues Produkt in die Apotheken“, sagt Korneva, die sich freut, nach der langen Corona-Pause ihre Geschäftspartner wieder zu treffen. „Im Grunde ziehen wir hier alle am gleichen Strang: Wir wollen, dass das Thema Cannabis als Medizin in der Mitte der Gesellschaft ankommt“, sagt die 40-Jährige.
Seit 2017 ist Cannabis in Deutschland bei bestimmten Erkrankungen auf Rezept erhältlich. Die Nachfrage ist seitdem kontinuierlich gestiegen, doch Patienten klagen immer wieder über Engpässe bei der Versorgung. Vor allem Unternehmen aus Ländern, die schon lange vor Deutschland medizinisches Cannabis oder auch Marihuana zum Freizeitkonsum freigegeben haben, wollen die Lücke schließen. Zu den Vorreitern zählen Kanada, die USA und auch Israel.
Politik will Anbau „Made in Germany“ stärken
An einem der knapp 30 Stände im Untergeschoss des Berliner Hotels steht Damian Nixon von Paradise Phytogenetics. Das holländische Unternehmen ist eine Art Hidden Champion der Branche und versorgt die großen Cannabisfirmen mit sogenannten Klonen – genetisch baugleichen Pflanzenzöglingen, deren Wirkstoffgehalt an THC und CBD auf Wunsch angepasst werden kann. In insgesamt 26 Länder hat das Unternehmen nach eigenen Angaben bereits Lizenzen für seine Klone verkauft.
„Die Messe in Deutschland ist für uns interessant, weil unsere Lizenznehmer verstärkt auf den deutschen Markt wollen“, sagt Nixon. Er sei hier, um ein Gespür für den Markt und die Kunden zu bekommen.
Etwas weiter sitzen drei Männer und preisen eine neue Bestrahlungstechnik zur Abtötung von Keimen auf Cannabisblüten an. Angereist sind die drei aus den USA, wo sie bereits etliche Cannabis-Produzenten mit ihren Maschinen beliefern. Der Cannabis-Markt in den USA hat sich zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Deutschland hinkt da noch weit hinterher.
Dominik Ziegra vom Datendienstleister Insight Health geht davon aus, dass der Umsatz mit cannabishaltigen Produkten in Deutschland bei 200 Millionen Euro liegt. „Der Markt ist verhältnismäßig klein“, sagt Ziegra. Optimistischere Schätzungen liegen bei rund 300 Millionen Euro.
Doch die Politik hat das Thema für sich entdeckt. So fordert der FDP-Politiker Wieland Schinnenburg auf einem Podium, Deutschland zum „Cannabis-Exportland“ zu machen. „Kanada und Israel – zieht euch warm an! Wenn die FDP an die Regierung kommt, gibt es Konkurrenz aus Deutschland“, ruft er und erntet dafür Applaus. Auch die auf dem Panel vertretenen Vertreter von SPD und CDU wollen den Anbau in Deutschland weiter ausbauen. Mit der Freigabe von medizinischem Cannabis hat die Bundesrepublik auch drei Unternehmen eine Lizenz zur Produktion von medizinischem Cannabis in Deutschland erteilt. Nach vielen Verzögerungen konnte vor Kurzem das erste Unternehmen Cannabis Made in Germany ernten – die Anbaumengen sind bisher allerdings gedeckelt.
Alle blicken auf die Bundestagswahl
Doch die Cannabis-Euphorie der Jahre 2018 und 2019 ist auf der Berliner Konferenz etwas verflogen. Damals gingen vor allem kanadische und US-amerikanische Unternehmen an die Börse und erzielten teilweise schwindelerregende Bewertungen. Mit dem Börsengeld gingen sie dann in Europa auf Einkaufstour.
Peter Homberg von der Kanzlei Dentons hat in den Anfangsjahren die Übernahmen des kanadischen Unternehmens Canopy Growth in Deutschland als Anwalt begleitet. „Es ist ein Markt, der sich anfangs rasant entwickelt hat und jetzt ein stetiges Wachstum übergeht.“ Deutschland werde in Europa genau beobachtet. „Viele Länder überlegen, nach dem Vorbild Deutschlands Medizinalcannabis zu legalisieren“, so Homberg.
Insgesamt fehlen der Branche aber derzeit die großen Signale. Homberg, der auch lange für die Pharmaindustrie gearbeitet hat, sieht die wirklich großen Spieler noch in Wartestellung. „Die Pharmaindustrie beobachtet den Markt, aber er ist ja auch noch mit einer gewissen Stigmatisierung verbunden.“ Als erstes größeres Pharmaunternehmen hat Stada im Frühjahr ein Cannabisprodukt auf den Markt gebracht. Nun müsse man abwarten, ob auch andere große Player sich dafür entscheiden.
Je nach Regierungskonstellation könnte die Bundestagswahl in Deutschland klare Öffnungsschritte beim Freizeitkonsum von Cannabis hervorbringen. Die Konferenz-Vertreter von SPD, Grüne, Linke und FDP haben sich bereits für Modellprojekte mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene ausgesprochen. Erwin Rüddel, Gesundheitspolitiker der CDU, wollte sich da nicht abschließend festlegen. Zuerst müsse erforscht werden, dass eine Freigabe auch keine negativen Effekte habe – beispielsweise beim Konsum durch Minderjährige.
Für Drapalin-Geschäftsführerin Lana Korneva wäre eine staatlich kontrollierte Abgabe an Erwachsene ein wichtiger Schritt auch für den therapeutischen Bereich. „Das könnte weiten Teilen der Gesellschaft die Vorurteile nehmen und so auch zu mehr Anerkennung des medizinischen Nutzens beitragen.“
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