Herbert Schoner musste sterben, weil er seinen Beruf ernst nahm. Am 22. Dezember 1971 bald nach acht Uhr morgens begleitete der 32-jährige Polizeiobermeister in der Fackelstraße am Rande der Innenstadt von Kaiserslautern einen Beamten der örtlichen Regierungskasse bei einem Geldtransport zu Fuß. Vor dem Eckhaus zur Straße Fackelrondell fiel ihm ein roter VW-Bus auf, der im Halteverbot stand.

Schoner sah, dass der Fahrer am Steuer saß. Er trat an die Beifahrertür und wollte ihn gerade auffordern, seine Fahrzeugpapiere vorzuzeigen, als der Bus zurücksetzte und dabei ein Halteverbotsschild umriss. Im nächsten Moment gab der Fahrer mehrere Schüsse durch das rechte Seitenfenster auf Schoner ab; mindestens eine Kugel traf den Polizisten unterhalb des Herzens.

Herbert Schoner
Der Polizist Herbert Schoner wurden von Terroristen beim Bankraub in Kaiserslautern ermordet
Quelle: picture-alliance / dpa

Schwer verletzt durch einen Lebersteckschuss taumelte er durch die Tür der Fackelstraße 29, in die Schalterhalle der örtlichen Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank. Doch kaum hatte der uniformierte Beamte die Schwelle übertreten, traf ihn ein weiterer Schuss in den Rücken. Denn diese Bank wurde gerade in diesem Moment überfallen, und der rote VW-Bus war der Fluchtwagen der Räuber.

Was war geschehen? Etwa fünf Minuten nach der regulären Öffnung der Filiale um acht Uhr waren mehrere bewaffnete Täter in olivgrünen Parkas und mit Wollmützen über den Köpfen in den Schalterraum gestürmt. Sie schrien die 20 anwesenden Personen, Angestellte wie frühe Kunden, an: „Hände hoch, Überfall, Gesicht an die Wand!“

Einer der Maskierten, laut Zeugenaussagen ziemlich sicher eine Frau, stellte ein Tonbandgerät auf den Tresen, aus dem Beatmusik in voller Lautstärke dröhnte. Diese Person bedrohte die Menschen in der Bank mit einem Karabiner, weitere Bankräuber rafften das Geld in der Kasse zusammen, der letzte stand mit einer Maschinenpistole am Eingang – und schoss, als Schoner hereintaumelte.

Fahndungsplakat Baader-Meinhoff-Gruppe Terroriste: RAF. Baader-Meinhof Gruppe. - Fahndungsplakat des Bundeskriminal- amts, 1972.
Fahndungsplakat für die Baader-Meinhof Gruppe, veröffentlicht im Mai 1972
Quelle: picture-alliance / akg-images

Wenige Sekunden später flüchteten die Täter mit einer Beute von fast 134.000 DM, davon etwa 98.000 DM in Devisen, vor allem französischen Francs. Draußen sprangen sie in den mit laufendem Motor wartenden VW-Bus, der sofort durch die Innenstadt losraste. Einen halben Kilometer vom Tatort entfernt wechselten zwei der Täter den Fluchtwagen und fuhren mit einem beigen VW mit Mainzer Kennzeichen weiter, die übrigen ließen den roten Bus in der nächsten Straße stehen und verschwanden mit einem Mercedes

Die Polizei hatte keine Chance, mit ihren Streifenwagen die Verfolgung aufzunehmen, denn ein grauer Käfer und ein roter Alfa Romeo blockierten an diesem Morgen die beiden Ausfahrten der örtlichen Direktion in der Lauterstraße 8, gerade einmal 400 Meter Fußweg von der überfallenen Bank. Das Ausrücken von Funkstreifenwagen wurde damit um entscheidende Sekunden verzögert. Beide Autos waren gestohlen und mit entwendeten Kennzeichen versehen.

So waren Polizisten zu Fuß und ein Sanitätswagen zuerst am Tatort. Für Herbert Schoner jedoch kam jede Hilfe zu spät: Es konnte nur noch sein Tod festgestellt werden. Er hinterließ seine Frau sowie zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren.

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Als der Fluchtwagen mit dem zerschossenen Beifahrerfenster wenig später gefunden wurde, stellte die Kaiserlauterer Polizei durch eine schnelle Halterabfrage fest, dass zwar tatsächlich unter dem Kennzeichen NK-N 728 ein roter VW-Bus in Neunkirchen angemeldet war – nicht aber dieser Wagen. Es handelte sich um eine „Doublette“, ein 1971 bereits typisches Vorgehen der Baader-Meinhof-Gruppe.

Erst wählten die Terroristen den für einen bestimmten Zweck aus ihrer Sicht „geeigneten“ Fahrzeugtyp aus. Dann suchte ein Helfer der Gruppe ein anderes Fahrzeug desselben Modells in derselben Farbe und notierte das Kennzeichen. Anschließend wurde der ursprünglich ausgesuchte Wagen gestohlen und mit nachgemachten Nummernschildern für das notierte Kennzeichen versehen. Auf diese Weise stand den Baader-Meinhof-Mitgliedern ein Wagen zur Verfügung, der nicht ohne Weiteres als gestohlen erkennbar war.

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Seit dem Abtauchen von Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und ihren Anhängern im Mai 1970 waren bereits mehr als ein Dutzend derartige „Doubletten“ im Zusammenhang mit Straftaten der selbst ernannten „Rote Armee Fraktion“ sichergestellt worden. Spätestens um die Mittagszeit des 22. Dezember 1971 wussten die Ermittler vor Ort von diesem Detail, und so antwortete der Kaiserslauterer Polizeipräsident Karl-Heinz Stichter auf Journalistenfragen: „Es ist nicht auszuschließen, dass die Baader-Meinhof-Gruppe ihre Hände im Spiel hatte.“

Eine Aussage, die ermittlungstaktisch gesehen ungünstig war – auch, weil die „Bild“-Zeitung am folgenden Morgen mit der Schlagzeile aufmachte: „Baader-Meinhof-Bande mordet weiter. Bankraub: Polizist erschossen“. Also relativierte ein Polizeisprecher die vage Mitteilung seines Chefs am folgenden Tag, als er das Ergebnis der Obduktion des ermordeten Beamten mitteilte. „Bisher“ gebe es „keine Anhaltspunkte“, dass „es sich bei den Räubern um Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe handeln“ könnte.

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Intern aber ging die Polizei davon aus, dass es sich bei dem Bankraub um eine Geldbeschaffung der RAF handelte. Darauf deuteten neben der „Doublette“ weitere Hinweise: Der zum Blockieren der Polizeidirektion benutzte Alfa-Romeo war im Februar 1971 in Stuttgart gestohlen worden – und als das Baader-Meinhof-Mitglied Astrid Proll am 6. Mai festgenommen wurde, fand sich in ihren Aufzeichnungen eine Notiz mit dem Konstanzer Original-Kfz-Nummer dieses Wagens. Noch ein Indiz: Die Berliner Polizei hatte wenig später Pakete mit Waffen und gefälschten Kraftfahrzeugbriefen für die Baader-Meinhof-Gruppe abgefangen, unter denen sich auch ein Dokument für diesen Alfa befand; das stand durch die eingetragene Fahrgestellnummer zweifelsfrei fest.

Direkt nach Weihnachten wurde diese ohnehin schon bestens begründete Annahme dann endgültig bestätigt. Am 27. Dezember 1971 nämlich meldete sich der Architekt Folker F. bei den Ermittlern. Er hatte vier Tage vor der Tat ein Apartment in Kaiserslautern an einen gewissen „Michael Schütz“ vermietet, der aus Düsseldorf stammte und am Telefon gesagt hatte, er wohne dort in der Hansastraße 82 (die es in Düsseldorf gar nicht gab). Nach dem Fest wollte F. nun nach dem Rechten sehen – und fand die Wohnung im Almenweg 7 „offen und verlassen vor“.

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Herb (Patrick von Blume; r), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek; l) und Ingrid (Anna Thalbach; M) in einer Szene des Films "Der Baader Meinhof Komplex" (undatierte Filmszene). Der Film erzählt die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren. Nach langer Heimlichtuerei ist der Film über die RAF nun kein Geheimnis mehr. Am Dienstag (16.09.2008) hat die Constantin Film in München zur ersten großen Pressevorführung des Films über die Terrorgruppe geladen. Dabei bekamen die Journalisten ein packendes Polit-Drama zu sehen in dem vor allem die hervorragenden Schauspieler überzeugen. Foto: Constantin Film dpa (ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über diesen Film!) +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
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Die Spurensicherung brauchte nicht lange, um Fingerabdrücke zu finden, die bewiesen: Hier hatte sich gerade erst der in die Illegalität abgetauchte Linksextremist Klaus Jünschke aufgehalten. Die Verbindung zum Banküberfall am 22. Dezember und zum Mord an Schoner war durch eine in der Wohnung entdeckte Mütze hergestellt, wie sie die Täter in der Fackelstraße 29 getragen hatten – vier weitere, identische waren im Fluchtbus gefunden worden.

Die Ermittlungen über den Jahreswechsel ergaben, dass ziemlich sicher auch Ulrike Meinhof sowie die RAF-Mitglieder Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann im Apartment Almenweg 7 für einige Tage untergekommen waren. Am 10. Januar 1972 gab Kaiserslauterns Oberstaatsanwalts Erwin Denger deshalb bekannt, dass nach Jünschke gefahndet werde.

Am selben Tag erschien im Heft 3/1972 des Hamburger Magazins „Der Spiegel“ eine wütende Stellungnahme des bekennend linken Schriftstellers Heinrich Böll zugunsten der Baader-Meinhof-Gruppe. Die Überschrift lautete: „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ Es war der erste Skandal des neuen Jahres.

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