Inhaltsverzeichnis
Der Urlaub auf der italienischen Mittelmeerinsel ist für die Familie aus Österreich ein Lichtblick. Im ersten Jahr der Coronapandemie finden die Eltern und ihre elf und sieben Jahre alten Töchter hier glasklares Wasser in zerklüfteten Buchten, schroffe Felsen, Sonne. Zunächst zieht es sie zu einem hellblauen Vulkansee. Es ist windig, die Kinder wollen in dem warmen Wasser baden.
Nach einigen Tagen bekommt die Elfjährige Schmerzen. Sie klagt über Brennen und Juckreiz in der Scheide, und sie hat Ausfluss, den sie nicht kennt. Zwar werden die Beschwerden in den folgenden Tagen nicht schlimmer, aber jedes Mal, wenn das Mädchen schwimmen will, brennt es so sehr, dass es aufgibt und nicht ins Wasser geht. Die Eltern kaufen für ihre Tochter ein Antipilzmittel; die Symptome werden zwar etwas besser, aber sie verschwinden nicht ganz.
Zwei Wochen später fährt die Familie nach Hause und sucht Rat bei der Kinderärztin. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig, das Mädchen hat kein Fieber, sein Herzschlag ist normal, die Ärztin findet keine anderen Zeichen für eine Infektion. Auch bei der vaginalen Untersuchung gibt es keine Besonderheiten. Einen Abstrich schickt die Ärztin zur mikrobiologischen Untersuchung.
Das Ergebnis einige Tage später zeigt: Das Kind hat eine Gonokokkeninfektion, auch bekannt als Geschlechtskrankheit Tripper. Weil die Familie und die Ärztin an eine Verwechslung glauben, wird ein weiterer Abstrich genommen und eingeschickt – das Resultat ist dasselbe.
Alle Familienmitglieder werden untersucht
Gonokokken sind Bakterien, die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden und sowohl beim Mann als auch bei der Frau Entzündungen der Harnwege und der Geschlechtsorgane verursachen. Gelangen die Erreger in den Blutkreislauf, kann es zu einer gefährlichen Sepsis kommen. Bei Männern bleibt eine Infektion in 10 bis 30 Prozent der Fälle unerkannt, bei Frauen sogar in 50 Prozent der Fälle.
Mit der Diagnose steht sofort ein schwerwiegender Verdacht im Raum: Wurde das Kind sexuell missbraucht – und wenn ja: von wem? Von den Eltern, von Fremden? Das Mädchen selbst verneint vehement sexuellen Kontakt, die Eltern bestreiten den Verdacht ebenso. Dennoch wird die ganze Familie untersucht, um eine mögliche Infektionskette zu finden, wie in dem Fallbericht in einer medizinischen Fachzeitschrift berichtet wird.
Als die Ärztin der Elfjährigen erklärt, was ihre Beschwerden ausgelöst hat, fängt sie an zu weinen. Am größten ist ihre Angst, dass ihre neuen Klassenkameraden herausbekommen könnten, was für eine Krankheit sie hat. Direkt nach den Sommerferien ist sie auf die weiterführende Schule gewechselt und gewöhnt sich – vermutlich auch vor dem Hintergrund der Infektion – nur schwer an die neue Situation. Vor der Antibiotikainfusion, die die Ärztin ihr zur Behandlung geben will, hat sie große Angst.
Die richtigen Antibiotika auswählen
Sobald die Diagnose einer Gonokokkeninfektion feststeht, ist die Therapie normalerweise nicht schwierig, allerdings bilden die Erreger immer häufiger Resistenzen aus. Daher ist es wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte wirksame Antibiotika wählen. Die Leitlinie »Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe« empfiehlt eine Kombinationstherapie aus den Antibiotika Ceftriaxon und Azithromycin.
Nach beruhigenden Gesprächen mit der Ärztin lässt sich das Mädchen in Anwesenheit seiner Eltern auf die Therapie ein. Es verträgt sowohl die erste Infusion mit Ceftriaxon gut als auch die Azithromycin-Infusion, die es einen Tag später bekommt.
Weitere zwei Tage später kommen die Abstrichergebnisse der Familie. Vater, Mutter und Schwester sind negativ.
Ausbreitung über Handtücher, Windeln, Bettlaken
Weil es auch keine anderen Hinweise auf sexuellen Kontakt oder Missbrauch gibt, beginnen die Überlegungen, wo das Kind mit den Erregern in Kontakt gekommen sein könnte. Bei vorpubertären Mädchen gibt es laut Robert Koch-Institut (RKI) eine Besonderheit: Weil die vaginale Schleimhaut von jungen Mädchen noch einen höheren pH-Wert hat als die von Frauen, finden Gonokokken hier sehr günstige Voraussetzungen – sie brauchen dann nicht unbedingt den direkten Schleimhautkontakt.
In ihrem Case Report berichten die Autoren, dass in der medizinischen Literatur Gonorrhö-Ausbrüche etwa in Kinderheimen beschrieben wurden, bei denen sich die Bakterien in Bädern und über Handtücher, Bettlaken, Windeln oder Verbände ausbreiteten.
Die Familie berichtet erneut von dem Aufenthalt am Vulkansee. An den Ufern bauen Besucher immer wieder Steinwände ins Wasser, wodurch kleine, warme, flache Becken entstehen.
Als die Familie aus Österreich dort badet, gibt es fünf solcher etwa 20 Zentimeter tiefen Pools, die von bis zu fünf Menschen gleichzeitig genutzt werden. Gemeinsam mit seinem Vater stellt sich das Mädchen an einem der Becken an, die Mutter und die Schwester gehen zu einem anderen. Das Mädchen liegt insgesamt eine Stunde darin zusammen mit verschiedenen Menschen. Nach dem Bad spült es sich nicht mit frischem Wasser ab – zwei Tage später beginnen der Juckreiz und das Brennen.
Das Bad im Becken
Die Autoren sind überzeugt, dass sich das Kind beim Baden in dem Becken infiziert hat, auch wenn sie den Nachweis im Wasser nicht erbringen können. Theoretisch denkbar ist auch, dass es sich auf einer öffentlichen Toilette angesteckt haben könnte. Das Wasser in dem Vulkansee jedoch sei ähnlich warm wie der menschliche Körper und »enthält mineralische und organische Partikel, die möglicherweise das Überleben von Gonokokken« begünstigen, schreiben sie. Welcher der Mitbadenden das Kind angesteckt haben könnte und ob er oder sie von einer Infektion wusste, ist unklar. »Entscheidend für die Weiterverbreitung der Gonorrhö ist der oftmals symptomlose Verlauf der Erkrankung«, schreibt das RKI.
»Alle Fälle von Gonokokkeninfektionen bei Kindern müssen unbedingt vollständig untersucht werden, einschließlich der Untersuchung aller anderen Familienmitglieder, um festzustellen, ob sexuelle Übergriffe stattgefunden haben«, schreiben die Autoren in ihrer Diskussion. Es sei jedoch neben der sexuellen sehr selten auch eine nicht sexuelle Übertragung möglich.
Dem Mädchen geht es nach der Behandlung gut. Nach wenigen Tagen verschwinden die Beschwerden, vier Wochen später sind im Kontrollabstrich keine Bakterien mehr nachweisbar.
Artikel in der gleichen Kategorie:
- A8 bei Holzkirchen – Frau bekommt Kind auf Autobahnzufahrt
- Indien: Baby wird in Kornfeld ausgesetzt – und überlebt die Nacht dank einer streunenden Hündin und deren Welpen
- Der Fall Schwesta Ewa – Wann müssen Kinder mit Müttern hinter Gitter?
- Lele Pons: Youtube-Star dreht lustiges Video – ihre schlafende Mutter ist der Hit
- Reportage: Nicht mehr als ein Funken Hoffnung