Mehr als 30 Jahre nach dem Tod eines kleinen Jungen in einer Sekte in Hessen wird der rätselhafte Fall von Dienstag an in einem Prozess aufgearbeitet. Wegen Mordes angeklagt ist eine nun 72-jährige Frau, die als Anführerin der Gruppe gilt. Sie soll den vierjährigen Jan, der in ihrer Obhut gestanden haben soll, am 17. August 1988 in einem über dem Kopf zusammengebundenen Leinensack eingeschnürt und im Badezimmer ihres Wohnhauses abgelegt haben. Die Angeklagte soll den Jungen als „von den Dunklen besessen“ angesehen und deshalb beschlossen haben, ihn zu töten, wie das Landgericht Hanau in einer Ankündigung mitteilte.

Nach Gerichtsangaben soll der Junge panisch geworden und laut um Hilfe geschrieben haben. Doch die Angeklagte habe ihn seinem Schicksal überlassen. Sie soll zudem an dem Sommertag mit Temperaturen von mehr als 30 Grad Tag sogar die Luftzufuhr des Raumes verringert haben. Kurze Zeit später starb der Junge nach einem „erbitterten Todeskampf“, wie das Gericht mitteilte. Die Staatsanwaltschaft sieht das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt. Zudem habe die Frau aus niedrigen Beweggründen gehandelt.

Leiche des Jungen wurde im Juli 2017 exhumiert

Erneut aufgerollt wurde der Fall im Frühjahr 2015 wegen neuer Aussagen von ehemaligen Mitgliedern der Sekte. Mitte September 2017 wurde Anklage erhoben. Um Informationen zur Todesursache zu bekommen, war die Leiche zuvor im Juli 2017 auf dem Friedhof im Stadtteil Kesselstadt exhumiert worden. Zum Ergebnis der Untersuchungen machte die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Eine Obduktion wurde nach dem Tod im Jahr 1988 nicht vorgenommen.

Die Ermittler gingen davon aus, dass der Junge an Erbrochenem erstickt war. Ergebnis: keine Fremdeinwirkung. Wie der Junge nun tatsächlich ums Leben kam, soll die Beweisaufnahme klären, wie ein Gerichtssprecher sagte. Die wahrscheinlichste Todesursache ist, dass der Junge erstickt ist. Der Verteidiger der Angeklagten hatte den Mordvorwurf stets zurückgewiesen.

Angeklagte soll Sekte mit Ehemann gegründet haben

Nach jahrelangen Recherchen und Berichten der „Frankfurter Rundschau“ hatte die Frau mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann die Sekte gegründet. Der als Pastor tätige Mann sollte wegen radikaler Ansichten aus dem Kirchendienst entlassen werden. Er kam diesem Schritt zuvor und schied auf eigenen Wunsch aus.

Die Gruppe soll von psychischer und physischer Gewalt geprägt gewesen sein, wie die Zeitung berichtete. Ihre Mitglieder hätten ihr Leben dem Willen ihrer strengen Anführerin untergeordnet. Die gelernte Krankenschwester habe angegeben, mit Gott kommunizieren zu können und Botschaften von ihm zu empfangen, die die Gruppe dann zu befolgen hatte. Nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft hatte sich die Sekte unter anderem mit „Traumdeutungen“ beschäftigt.

Neben dem gestorbenen Vierjährigen lebten die leiblichen Kinder der Frau sowie Adoptiv- und Pflegekinder in der Gemeinschaft, wie die „Frankfurter Rundschau“ berichtete. Der vierjährige Junge soll extrem unterernährt gewesen, misshandelt und erniedrigt worden sein. Die mutmaßliche Sekten-Anführerin habe den Jungen als „Schwein“ und „Reinkarnation Hitlers“ bezeichnet, berichtete die Staatsanwaltschaft Hanau im Laufe der Ermittlungen. Zum Prozess-Auftakt sollen bereits erste Zeugen vernommen werden.

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