Stand: 02.11.2021 14:20 Uhr

Es ist kein neues Virus, doch viele Kinderkliniken bringt es derzeit an die Belastungsgrenze. Warum das RS-Virus in diesem Jahr besonders weit verbreitet ist, wie man sich davor schützt – und wie gefährlich es ist.

Von Anke Hahn, rbb

Seit einigen Wochen bestimmt neben Corona ein anderes Virus die Diskussionen. Das RS-Virus, das vor allem Kinder trifft, verbreitet sich deutschlandweit sehr stark. Medizinern ist es nicht neu. Es gehört zu den Erkältungserkrankungen, die in jedem Herbst und Winter vorkommen. Doch in diesem Jahr hat die Krankheitswelle deutlich früher eingesetzt, sie ist stärker als in der Vergangenheit und führt zu mehr Komplikationen.

Anke Hahn
Anke Hahn

Was ist das RS-Virus und wie wird es übertragen?

RS-Virus steht für Respiratorisches-Syncytial-Virus. Es befällt vor allem die Atemwege und verursacht eine laufende Nase, Fieber, Husten und Keuchatmung. Es kann auch Bronchien und Lunge befallen. Die Ansteckung erfolgt meist über Tröpfcheninfektion. Wenn Erkrankte niesen, husten, sich schnäuzen oder laut reden, gelangen kleine Tröpfchen in die Luft, die dann von anderen eingeatmet werden.

Auch auf Oberflächen hält sich das Virus. Wer hineinfasst und danach mit der Hand ins Gesicht greift, kann sich auch auf diesem Weg infizieren. Zudem kann das Virus bei der Berührung einer infizierten Person übertragen werden.

Wer erkrankt und wie oft?

Grundsätzlich kann sich jeder Mensch infizieren, doch die Mehrzahl der Erkrankten sind Kinder. Vor allem kleine Kinder stecken sich an.

Kinderärzte sagen, spätestens bis zum vierten Lebensjahr hat fast jedes Kind mindestens eine Infektion mit RS-Viren durchgemacht. Nach einer Erkrankung entsteht keine Immunität. Wer einmal infiziert war, kann wieder erkranken, allerdings dann weniger schwer. Deshalb verläuft ein Infekt mit RS-Viren bei älteren Kindern und Erwachsenen meist glimpflich.

Wie gefährlich ist das RS-Virus und für wen?

Die meisten Menschen erkranken nur leicht und entwickeln die typischen Erkältungssymptome. Auch die große Mehrzahl der kleineren Kinder übersteht eine Infektion ohne größere Probleme. Gefährlich kann das RS-Virus für Kinder mit einem geringen Immunschutz sein, für Frühgeborene, Säuglinge und Kinder mit Vorerkrankungen, zum Beispiel einem Herzfehler. Es kann zu Atemnot kommen und Sauerstoffmangel im Blut.

Wenn der Körper das Virus nicht effektiv bekämpft, kann es die Bronchien und die Lunge schädigen. Einige wenige Betroffene tragen bleibende Schäden davon, in sehr seltenen Fällen sterben Kinder an der Infektion.

Wie kann ich mein Kind vor einer Ansteckung schützen?

Dem Virus aus dem Weg zu gehen, ist fast unmöglich. Kinder halten normalerweise keinen Abstand und RS ist sehr leicht übertragbar. Da RS ein Virus ist, helfen auch Antibiotika nicht. Nur für Risikogruppen wie kranke Frühgeborene gibt es eine Impfung mit einem Medikament, das zwar nicht die Ansteckung verhindert, aber einem schweren Verlauf vorbeugt.

Die Impfung ist extrem teuer, deshalb wird sie nicht häufiger eingesetzt. Kinderärzte wie Jakob Maske, der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, raten auch davon ab, in jedem Fall eine Ansteckung zu vermeiden. Die allermeisten Kinder hätten nichts Ernstes zu befürchten. Für sie seien Infektionen im frühen Kindesalter wie ein Training für das Immunsystem und beugten später schweren Erkrankungen vor, könnten vor auch Allergien schützen.

Warum tritt RS gerade jetzt so gehäuft auf?

Das RS-Virus wie alle anderen Erkältungserkrankungen, die durch Viren übertragen werden wie Influenza- oder Rhinoviren, braucht den nahen Kontakt mit Infizierten. Im vergangenen Jahr fehlte dieser Kontakt fast vollständig. Wegen der Corona-Pandemie waren Kitas und Schulen lange Zeit geschlossen. Auch private Treffen fanden seltener statt. Zudem hielten sich die meisten Menschen an die AHA-Regeln und trugen eine Maske.

Die Folge: Es gab so gut wie gar keine Erkältungskrankheiten. In diesem Jahr gibt es diese nahen Kontakte wieder, sodass die Viren erneut übertragen werden können. Es sind also zwei Jahrgänge von Säuglingen und Kleinkindern, die zum ersten Mal auf das Virus treffen. Das erhöht die Zahl der komplizierten Verläufe genauso wie die Tatsache, dass die Immunsysteme der anderen Kinder im vergangenen Jahr keine Erfahrung mit der Bekämpfung des Erregers sammeln konnten.

Wie ist die Lage in den Kinderkliniken?

Ins Krankenhaus kommen meist Kinder im Alter bis vier Jahre. Das war auch schon in den vergangenen Jahren so. Allerdings begann die RS-Virus-Saison 2021 deutlich eher als in den vergangenen Jahren und ist heftiger – vermutlich aufgrund des Nachholeffekts wegen Corona. Deshalb sind fast alle Kinderkliniken deutlich voller als normalerweise im Herbst. Immer mehr Kliniken kommen bereits an ihre Grenzen. So muss zum Beispiel die Kinderstation im Evangelischen Krankenhaus Ludwigsfelde bei Berlin kleine Patientinnen und Patienten aus der nahen Hauptstadt aufnehmen, weil dort schon einige Kinderstationen voll sind.

Chefarzt Georg Reinholz warnt aber, auch die Kapazitäten seiner Abteilung seien fast ausgeschöpft. Es bestehe die Gefahr, dass bald Erkrankte abgewiesen werden müssten. So wie in Berlin und Brandenburg ist es in den meisten Bundesländern, die Lage ist angespannt, aber aktuell noch zu meistern. Philipp Stock, Chefarzt der Kinderklinik Altona, sagt: „Die Sorge muss niemand haben, dass man Kinder nicht versorgen würde. Aber die Bettenkapazitäten sind angespannt und keine Kinderklinik kann garantieren, dass Kinder an Ort und Stelle aufgenommen werden können.“

Warum wird die Auslastung der Kinderkliniken gerade jetzt schon diskutiert?

Auch in den vergangenen Jahren hat die Saison für Erkältungskrankheiten die Kinderstationen gefüllt. Doch in diesem Jahr kommt eine Reihe von Faktoren zusammen, die Ärzte wie Reinholz in Ludwigsfelde, Stock in Hamburg oder ihre Kollegin Beatrix Schmidt vom Berliner Sankt-Joseph-Krankenhaus sorgenvoll in die Zukunft schauen lassen. Die Kliniken und Kinderstationen sind schon jetzt gut ausgelastet, die Erkältungssaison hat aber gerade erst begonnen. Es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen zunehmen wird. Zudem gibt es neben RSV auch noch viele andere Diagnosen, die eine Behandlung im Krankenhaus nötig machen. Die Intensivstationen in den Häusern sind wegen Corona ohnehin schon in Sorge.

Das größte Problem aber ist in den Augen der Ärztinnen und Ärzte der Mangel an Pflegekräften. Corona habe das Problem nur verschärft, sagt Schmidt. Es gebe zu wenige Pflegende mit einer Qualifikation für Kinderstationen. Dazu käme, dass seit Februar Pflegepersonaluntergrenzen für die Belegung von Kinderstationen und Kinderintensivstationen gälten.

Das sei eigentlich eine gute Sache, um die Qualität der Pflege sicherzustellen, doch in der jetzigen Situation führe es vor allem dazu, dass weniger Betten zur Verfügung stünden, obwohl die Nachfrage wachse. Hier müsse die Politik handeln und kurzfristig Ausnahmen der starren Personaluntergrenzen ermöglichen.

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