Auf den Lehrer kommt es an. Das wusste schon der Renaissance-Humanist Erasmus von Rotterdam. „Die Lehrer-Schüler-Beziehung gehört zu den wirkungsmächtigsten Einflüssen auf die Lernleistung von Schülern“, so formulierte es der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie.

Er wertete in akribischer Kleinarbeit über zehn Jahre lang 800 Metastudien aus, in die die Lernergebnisse von über 250 Millionen Schülern einflossen und kam 2013 zu dem Schluss: Ob Schüler erfolgreich lernen, bestimmt vor allem ihre Lehrerin oder ihr Lehrer. An ihm oder ihr liegt es, den Unterricht so zu gestalten, dass der Lerneffekt groß ist.

Aktuelle Studien legen nun den Schluss nahe, dass diese Erkenntnis auch auf Distanz gilt. Ob deutsche Schüler während der Corona-Schließungen digital weiter lernen durften, hing vor allem vom Können und Engagement der einzelnen Lehrkräfte ab. Das ist ein Ergebnis einer gemeinsamen Studie der Initiative D21 und der TU München.

Quelle: Infografik WELT

Danach gaben 54 Prozent der befragten Eltern an, Lehrerinnen und Lehrer hätten den Unterricht auf eigene Initiative digital gestaltet. 42 Prozent dagegen bemängelten, dass die Lehrkräfte nicht über die notwendigen Digitalkompetenzen verfügten.

Die Schule wurde dabei in vielen Fällen sogar als Bremser wahrgenommen. Ein Drittel der befragten Eltern gab das an. Tatsächlich hatten viele Schuldirektionen ihren Lehrern im Frühjahr digitale Untätigkeit verordnet.

Mal hieß es, Online-Unterricht sei „aus Datenschutzgründen“ nicht erlaubt, mal wollte man eine Verordnung des zuständigen Kultusministeriums abwarten. Bundesweite Standards jedenfalls, wie Unterricht in Zeiten vor Schulschließungen digital ablaufen sollte, gibt es bis heute nicht.

Quelle: Infografik WELT

Das bemängelt auch die Initiative D21, ein gemeinnütziger Verein mit rund 200 Mitgliedsunternehmen und politischen Partnern aus Bund und Ländern, der sich 1999 mit dem Ziel gründete, die digitale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Bei der digitalen Schule ist das offensichtlich noch längst nicht gelungen.

„Die bestmögliche Unterstützung der Schüler beim digitalen Lernen darf nicht dem Zufall überlassen werden“, appellierte der Präsident der Initiative D21, Hannes Schwaderer. „Wir brauchen bundesweite Standards, um sicherzustellen, dass Lehrkräfte über notwendige Digitalkompetenzen verfügen. Das Aus- und Weiterbildungssystem muss zwingend ein ,digitales ABC’ vermitteln, ohne geht es heute nicht mehr.“

Wie sehr Konzepte und Weiterbildungen der Lehrer zum digitalen Lernen Not tun, zeigte Anfang August auch eine Studie der Bildungsforscher des Münchner Ifo-Instituts. Danach hatten 57 Prozent der Schüler in der Corona-Schließzeit seltener als einmal pro Woche gemeinsamen Online-Unterricht, nur sechs Prozent täglich.

Quelle: Infografik WELT

Noch seltener hatten die Schüler individuellen Kontakt mit ihren Lehrkräften. Zwar erhielten fast alle Kinder wöchentlich Arbeitsblätter. Ein Drittel allerdings bekam für ihre Aufgaben kein regelmäßiges Feedback.

Rückmeldung aber ist zentral für die Motivation und das Lernen an sich. Das wissen Bildungsforscher seit Generationen. Oder wie es der Neurowissenschaftler Joachim Bauer, Entdecker der Spiegelneuronen, formuliert: „Die stärkste Motivationsdroge für den Menschen ist der andere Mensch.“

Lesen Sie auch
Von Schulen und Lehrern aus eigener Erfahrung als Väter enttäuscht: WELT-Autoren Holger Zschäpitz und Nando Sommerfeldt
Digitaler Fernunterricht

„Der Versand von Arbeitsblättern per E-Mail ist ungenügend“, klagt auch Helmut Krcmar, Mitautor der D21-Studie und Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU München. „Bildung lebt von der Interaktion zwischen Schülern und Lehrkräften.“ Deshalb müssten interaktive Formate des Austausches „der Normalfall sein“, auch in Zeiten von Corona.

Von tatsächlicher Interaktion berichtete laut D21-Studie allerdings nur eine Minderheit der Eltern. 44 Prozent gaben an, es seien Lerninhalte über Videoplattformen wie Zoom, Skype oder Teams übermittelt worden. In 14 Prozent der befragten Haushalte mit Schulkindern hatten sich Lehrer telefonisch gemeldet. 81 Prozent bekamen E-Mails von den Lehrern, 60 Prozent konnten sich Aufgaben vom Schulserver oder anderen Plattformen herunterladen.

Schnelle Umstellung ist wichtig

Drei Viertel der befragten Eltern berichten von Hürden beim digitalen Unterricht. Am häufigsten nannten sie die fehlende Unterstützung durch die Schulen, gefolgt von Problemen mit der Geschwindigkeit und Stabilität des Internets sowie den „mangelnden Digitalkompetenzen der Lehrer“.

Die eigene, zu schlechte Ausstattung mit digitalen Geräten nannten dagegen nur 14 Prozent als Hürde. Das allerdings mag auch daran liegen, dass die D21-Befragung online durchgeführt wurde, Haushalte ohne Internet-Zugang also gar nicht teilnahmen.

Lesen Sie auch
Andria Zafirakou erhielt 2018 den Global Teacher Prize
Super-Lehrerin

Wie wichtig im Falle von Schulschließungen die schnelle Umstellung auf Online-Unterricht ist, zeigte zuletzt die Studie des Ifo-Instituts. Danach hat sich die Zeit, in der sich Kinder in Deutschland täglich mit der Schule beschäftigt haben, während Corona auf 3,6 Stunden pro Tag halbiert.

38 Prozent der Schüler lernten höchstens zwei Stunden am Tag, 74 Prozent höchstens vier Stunden. Gerade leistungsschwache Kinder ersetzten die Unterrichtszeit durch Beschäftigungen ohne Lerneffekt, wie Computerspiele, Zeit am Handy oder fernsehen.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Podigee
Um mit Inhalten aus Podigee und anderen sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung.

Längerer Unterrichtsausfall behindert ganze Karrieren

„Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass wir unter Beachtung der Schutzmaßnahmen wieder zum normalen Schulunterricht zurückkehren. Wo Schließungen unvermeidlich sind, sollten die Schulen direkt auf Online-Unterricht umstellen“, forderte Ludger Wößmann, Leiter des Ifo Zentrums für Bildungsökonomik.

Er hat in einer anderen Studie auch aufgezeigt, wie schwerwiegend die Folgen von längerem Unterrichtsausfall für ganze Karrieren sind. Gehe etwa ein Drittel eines Schuljahres an Lernstoff verloren, sinke das Erwerbseinkommen im gesamten Berufsleben um durchschnittlich drei bis vier Prozent. Das gilt es zu verhindern.

Die Schule geht wieder los – und die Sorgen sind groß

In vielen Bundesländern heißt es jetzt: Ranzen aufsetzen und zurück ins Klassenzimmer. Mancherorts wurden jedoch wieder Schulen wegen Coronafällen geschlossen.

Quelle: WELT/Perdita Heise

Artikelquelle

Artikel in der gleichen Kategorie: