Die 76-Tage-Bilanz des Trainers Jürgen Klinsmann fällt eigentlich nicht schlecht aus. Zumindest dann, wenn man nur auf die Zahlen blickt.

In neun Bundesligaspielen unter ihm holte Hertha BSC zwölf Punkte, in einer Klinsmann-Tabelle vom 13. bis zum 21. Spieltag wären die Berliner Zehnter, tatsächlich sind sie Tabellen-14. Hertha muss man nach wie vor zu den Abstiegskandidaten zählen, aber Klinsmann hat in kurzer Zeit grundsätzliche Dinge verbessern können.

Er stabilisierte die Abwehr: Waren es unter Vorgänger Ante Covic noch 2,1 Gegentore pro Ligaspiel, fielen unter Klinsmann im Schnitt nur noch 1,3. Das ging zwar auf Kosten des Offensivspiels, doch eine starke Defensive ist im Abstiegskampf viel wert. Im Kampf um den Ligaverbleib sind andere Teams in einer schlechteren Position.

Doch nun ist Klinsmann als Hertha-Trainer Geschichte, und was bleibt, werden nicht seine sportlichen Ergebnisse sein. Es bleiben Klinsmanns unvollendete Träume von Herthas Zukunft, seine Taten abseits des Platzes. Denkt man beim FC Bayern noch heute an Klinsmanns Buddha-Figuren zurück (auch wenn die laut eigener Aussage gar nicht seine Idee gewesen sein sollen), wird in die Berliner Vereinschronik nun die Großspurigkeit des 55-Jährigen aufgenommen. Stichwort: „Big City Club.“

Klinsmann wurde nicht müde, Hertha BSC als das nächste große Ding zu verkaufen. Er sieht sich nicht allein als Trainer, der täglich auf dem Trainingsplatz steht und seinem Team das Umschaltspiel erklärt. Er ist auch Motivator und will Fans begeistern, ist Querdenker und will Strukturen aufreißen. Das funktionierte vor allem in seiner Zeit als deutscher Nationaltrainer gut. Nun wollte er auch über Transfers entscheiden. Bei Hertha kam das offenbar nicht gut an.

Wenn Defensivfußball auf die Zukunft trifft

In Berlin erinnerte Klinsmanns Rolle neben dem Trainingsplatz eher an die eines unseriösen Investmentbankers. Er versprach den Anhänger Großes, aber er verkaufte ihnen B-Ware. Denn Herthas Realität ist normalerweise das Liga-Mittelfeld, in dieser Saison heißt sie sogar Abstiegskampf, der Alltag der Berliner ist jedenfalls ziemlich grau. Zuletzt gegen Mainz kamen nur 35.000 Zuschauer ins Olympiastadion, 75.000 Fans passen rein. Das ist keine Aufbruchsstimmung.

Aber so etwas muss sich auch entwickeln, der Berliner springt nicht gleich ins Hertha-Trikot, nur weil der Trainer den großen Namen Klinsmann trägt. Das Problem: Klinsmann hat versucht, einige Schritte in dieser Entwicklung zu überspringen. Der Kader wurde im Winter ordentlich aufgepeppt, aber unter den neuen Profis sind vor allem welche, die Vorgriffe auf die nächste Saison sind.

Der spannende Stürmer und 22-Millionen-Euro-Zugang Krzysztof Piatek gehört dazu – weil Hertha mit ihm nun ein Dutzend Offensivspieler im Kader hat, aber praktisch keinen Gestalter, der die Stürmer auch bedienen kann. Auch der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte gehört auf diese Liste, Lucas Tousart (25 Millionen Euro), weil er direkt zurück nach Lyon verliehen wurde. Solche Spieler sind keine Soforthilfen. Sie sind erstmal nur ein Risiko. Eine Wette auf eine große Zukunft.

Die große Zukunft konnte für Klinsmann nicht schnell genug kommen, er selbst soll auf die namhaften Transfers gedrängt haben. Auf Spieler für Abende im Europapokal. Doch das Vorpreschen ist gefährlich, vor allem wenn die Gegenwart noch Abstiegskampf heißt.

Genau dort steckt der Klub trotz einer Stabilisierungsphase noch immer, seit der vergangenen Woche sogar wieder etwas mehr; das jüngste 1:3 gegen Mainz war eine erschreckende Vorstellung, die zuvor starke Abwehr plötzlich wieder wackelig. Vor den kommenden vier Spielen gegen die direkten Abstiegskonkurrenten Paderborn, Köln, Düsseldorf und Bremen zumindest ein Hinweis darauf, dass es schnell wieder in die falsche Richtung gehen könnte.

Klinsmann konnte und durfte sich nie bis zum Schluss beweisen

Die Geschehnisse in Berlin nähren den Eindruck, dass die Idealposition von Klinsmann nicht auf der Trainerbank eines Bundesligaklubs zu finden ist. In seiner Zeit beim FC Bayern 2008/2009 hatte der Klub schnell genug, nach nicht einmal einem Jahr war wieder Schluss. Diesmal zog sich Klinsmann selbst zurück, noch früher. Geduld scheint nicht seine Stärke zu sein, aber auch nicht die der Vereine. Keine beruhigende Verbindung.

In beiden Fällen sah sich aber Klinsmann als das Opfer der Trennung, die Klubs seien es gewesen, die seinen Qualitäten und Ideen nicht vertraut hätten. So könne er sein „Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen“, hieß es in der Rücktrittserklärung von Klinsmann am Dienstag, der angeblich gern noch über den Sommer hinaus Hertha-Trainer geblieben wäre.

Vielleicht trifft ein Teil seiner Auffassung sogar zu – es gibt zumindest keinen Gegenbeweis, noch konnte Klinsmann in der Bundesliga kein Projekt zu Ende führen. Aber Nachtreten mag kein ehemaliger Arbeitgeber. Vor allem verschreckt es künftige. Eine erneute Trainerrückkehr von Jürgen Klinsmann in die Bundesliga ist unwahrscheinlich.

Icon: Der Spiegel

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